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Donnerstag, 25. April 2024
VW Scirocco - der Wüstenwind aus Osnabrück Drucken E-Mail
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

Heft bestellen - Der Wüstenwind aus Osnabrück

Wolfgang M. Buchta hat sich drei Generationen des VW Scirocco angesehen, und Ulli Buchta hat photographiert

Text: Wolfgang M. Buchta
Photos: Ulli Buchta

  ImageIm Jahre 1971 hatte der VW Käfer mit 1.291.612 Stück sein bestes Produktionsjahr alles Zeiten, aber zumindest firmenintern war klar, das das Ende nahe war. Europas größter Automobilhersteller durfte sich nicht länger einer Monokultur ausliefern. Seit 1971 saß Rudolf Leiding am Steuer des VW Konzerns und er "erfand" für Wolfsburg das Baukastenprinzip, das bei VW bis heute perfektioniert wird. Leiding nahm aus den Teileregalen der Konzerntöchter die jeweils besten Teilen - häufig fand er diese bei Audi - und "braute" daraus neue Modelle für den ganzen Konzern. Den Anfang machte 1973 der VW Passat, der technisch im wesentlichen ein Audi 80 mit Heckklappe war. Es folgte der VW Polo, der sich bis auf die Aufschriften kaum vom Audi 50 unterschied. Und bereits am 12. Oktober 1971 segnete der Vorstand den Entwicklungsauftrag EA337 ab, ein Mittelklassemodell, das über das zuküftige Schicksal des Konzerns entscheiden sollte. Da so ein Volumsmodelle eine beträchtliche Entwicklungszeit benötigt, wollte VW das Interesse der Kunden schon vorab wecken, beispielsweise mit einem Sportmodell. Dies war kein wirklich neuer Zugang, denken wir nur an Jaguar, die den für die neuen Limousinen entwickelten Motor erst einmal im XK 120 präsentierten.
ImageWie auch immer, praktische zeitgleich mit dem Beginn von Projekt EA337 erhielt Karmann in Osnabrück, die sich ja mit dem Karmann Ghia große Verdienste um VW erworben hatten, den Auftrag ein Sportcoupe zu entwickeln und später dann einmal zu fertigen - hausintern hatte VW weder Entwicklungs- noch Produktionskapazitäten frei. Die Karosserie zeichnete Meister Giorgio Giugiaro, der auch für die Form des EA337, auch als VW Golf bekannt, verantwortlich war. Die Mechanik des EA337 war eine radikale Abkehr vom Käfer: Wassergekühlter Motor, vorne und quer eingebaut und Antrieb auf die Vorderräder. Karosserie und Innenraum boten ganz neue Qualitäten - Kanten statt Rundungen und Sachlichkeit statt Blumenvase am Armaturenbrett. Im März 1974 präsentierte VW am Autosalon in Genf ein keilförmiges Sportcoupe, das auf den Namen Scirocco, ein heißer Wind, der aus der Sahara in Richtung Mittelmeeer weht, getauft worden war. Der Scirocco (VW Typ 53) war ein rundherum modernes Auto, nicht nur um Vergleich zum Käfer. Der effiziente Vierzylindermotor mit obenliegender Nockenwele und Zahnriemen, der, natürlich vielfach modifiziert, bis heute gebaut wird, war vorerst in zwei Varianten erhältlich. Aus 1,5 Liter Hubraum leistete der Motor im S 70 PS - ausreichend für eine Spitze von 164 km/h und eine Zeit von 12,5 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h. Mit gleichem Hubraum leistete der TS gar 85 PS und erreichte "Traumwerte" von 175 km/h und 11,0 Sekunden. Quasi als Konzession an die erste Benzinkrise bot VW einen Scirocco L mit 1,1 Liter Hubraum und 50 PS an. Damit war das nur 780 kg schwere Basismodell mit 144 km/h umd 16 Sekunden für 0-100 kaum schneller als der letzte Karmann Ghia.
Image"Der Scirocco ist, das darf man ohne Übertreibung konstatieren, das derzeit modernste Auto nicht nur in Europa, sondern dieser Erde ..." war in der Zeitschrift "Gute Fahrt" zu lesen, deren Objektivität aufgrund der Nähe zum VW Konzern allerdings angezweifelt werden darf. All die Qualitäten konnte der Scirocco am Markt auch gut brauchen, denn er kam als Nachzügler ins dicht gedrängte Feld der viersitzigen "Familiensportwagen". Ford Capri, Opel Manta, BMW 02, Alfa Romeo Bertone Coupe,... die Liste der Konkurrenten war lange. Die Werbung zögerte natürlich nicht, die "perfekte Synthese" aus sportwagenhaftem Fahrspaß und voller Familientauglichkeit - vier Sitze, Heckklappe, sparsamer Verbrauch,... - hervorzuheben. Stolz waren die Marketingleute von VW auch auf luxuriöse Extras wie abblendbarer Innenspiegel, Kopfstützen, Alufelgen oder einen Teppich-Bodenbelag - vor 35 Jahren waren wir noch etwas bescheidener.
Bereits im ersten Produktionsjahr 1974 liefen bei Karmann 24.555 Exemplare vom Band, teilweise unter abenteuerlichen Bedingungen. Durch Lieferengpässe bei den Komponenten "erfand" VW ganz unfreiwillig die "just in time" Fertigung. 1975 waren es bereits 58.942 Exemplare... Zur IAA 1975 präsentierte VW in Frankfurt mit dem Golf GTI ein Auto, das zur Legende werden sollte - 110 PS aus 1,6 Liter Hubraum reichten für eine Spitze von 185. Damit konnte man Mitte der 1970er Jahre auch einige "echte" Sportwagen "verblasen". Ab Sommer 1976 war auch der Scirocco mit dem 110 PS Motor erhältlich - als sportliche GTI mit verbreiterter Spur und innenbelüfteten Scheibenbremsen oder als GLI mit luxuriöserer Ausstattung und serienmäßiger Metallic-Lackierung. Die Verkaufsliteratur sprach von einem "Sportcomfortcoupe". Motor und Ausstattungsvarianten wurden im Folgejahr bunt gemischt und mit phantasievollen Buchstaben bezeichnet und 1977 erschien mit dem "schwarz-weißen" Scirocco das erste Sondermodell, ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Modell sich dem Ende des Produktzyklus näherte.
ImageFür 1978 stand noch ein Facelift am Programm, der optische an den mit schwarzm Kunststoff überzogenen Stoßstangen und größeren Blinkern erkennbar ist. Mit weiteren Sondermodellen blieb der Scirocco I in Produktion, die im Februar 1981 mit einer stolzen Bilanz endete: 504.153 Stück. Im Mai 1981 hatte der Nachfolger (Typ 53B) sein Debut, der, wie so oft bei neuen Modellen, unter den Kunden für Unmut sorgte. War die Form des Scirocco I im sonnigen Italien entstanden, so war der Scirocco II hausintern in Wolfsburg gestylt worden,was man ihm, mit Verlaub, auch ansah. Unter einer durchaus gefälligen (und aerodynamisch günstigeren) aber keinesfalls atemberaubenden Karosserie fand sich Vertrautes. Auch der Nachfolger verwendete die Mechanik des Golf I und hatte daher den exakt gleichen Radstand und eine um 19 cm längere Karosserie. Auch die Motoren waren anfangs die gleichen, allerdings war der Wagen im Schnitt um etwa 50 bis 100 kg schwerer geworden.
Die Motorpresse war höflich enthusiastisch, die Käufer etwas weniger, nicht zuletzt deshalb weil der Scirocco mittlerweile einer der teuersten seiner Klasse war. Neue Motoren, neue "Buchstaben", sprich Motor- Ausstattungs-Varianten, Preisreduktionen und Sondermodelle, beispielsweise der "White Cat" im Windschatten der Erfolge von Boris Becker, bescherten der Serie 2 sogar ein längeres Produktionsleben als "dem Original". 1985 bekam der Scirocco einen neuem Motor. Am Kühlergrill standen jetzt stolz die Buchstaben "16 V" und mit 129 PS durchbrach der Volks-Sportler endlich die magische 200 km/h Grenze und erreichte nach nur 8,1 Sekunden 100 km/h. 1987 wurde der VW Corrado (Typ 53i) präsentiert. Das Sportcoupe baute auf der Technik des Golf II auf und wurde in Wolfsburg gebaut. Stärker, luxuriöser und teurer konnte der Corrado nicht so recht die Rolle des Scirocco übernehmen. Im Jahre 1995 schließlich wurde die Produktion des Doch-Nicht-Nachfolgers nach 97.521 Stück wieder eingestellt.
ImageDie Fertigung des Scirocco II lief bis September 1992 und es wurden exakt 291.497 Exemplare gebaut. Für VW kein großer Erfolg - andere Hersteller hätten sich wohl solche "Flops" gewünscht. Damit war das Thema "Sportcoupe" im Hause VW vorerst einmal erledigt und es sollten rund 15 Jahre vergehen bis im August 2006 in Berlin eine Studie namens IROC präsentiert wurde. Zwei Jahre später war der Wagen als Scirocco III (technische Basis ist der Golf V) käuflich erhältlich. Der Typ 13 wird im VW Werk in Portugal gefertigt, hat natürlich Frontantrieb, eine elegante zweitürige und viersitzige Karosserie die formal einen Sportkombi mit Heckklappe darstellt. Motorisiert wird der "Familiensportler" durch Benzin- oder Dieselmotoren zwischen 1,4 und 2,0 Liter Hubraum. Die Leistung geht bis zu 200 PS. Als Getriebe dient entweder ein konventionelles 6-Gang-Schaltgetriebe oder ein 7-Gang- DSG (Direktschaltgetriebe) mit Schaltwippen am Lenkrad. Beim Spitzenmodell enden die Beschleunigung bei 250 km/h. Seine Sportlichkeit unterstrich der jüngste Scirocco auch 2008 beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring. VW brachte ein Team von drei speziellen Scirocco GT24 an den Start und wurde mit einen Doppelsieg in der Klasse belohnt und konnten, was vielleicht noch höher zu bewerten ist, sich unter 200 Startern auf die Ränge 11 und 15 platzieren.
 
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