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Donnerstag, 28. März 2024
Der "Asien Steyr" des Max Reisch Drucken E-Mail
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

Heft bestellen - Wir fahren Geschichte, Folge 1:

Der "Asien Steyr" des Max Reisch

Wolfgang M. Buchta hat gelesen, geschrieben und durfte fahren; Max Reisch und Ulli Buchta - jeder zu seiner Zeit - haben photographiert

 

ImageAm 2. Oktober 1934 so gegen 15:10 schritt ein frecher, junger Student der Hochschule für Welthandel durch die Korridore des Verwaltungsgebäudes der Steyr-Daimler-Puch AG zum Büro des Herrn Generaldirektors, und an diesem Tag war dieser sonst vorlaute Student alles andere als vorlaut, eher kleinlaut. Aber beginnen wir am Anfang ...
Maximilian Felix Gottfried Reisch, so der volle Name des angesprochenen, kleinlauten Studenten wurde am 2. Oktober 1912 in Kufstein geboren - der schicksalsschwere Tag war also auch noch sein Geburtstag - und war nach der Schulausbildung in Kufstein und Bozen zum Studium nach Wien gekommen.
Da er aber ein abenteuerlustiger, sportlicher junger Mann war und das Reisen mit dem Motorrad in seiner Familie eine gewisse Tradition hatte, zog es ihn eher in die Ferne als an die Hochschule für Welthandel.
1932 trat er mit der sogenannten "Stilfserjoch-Puch" eine Reise über 12 Alpenpässe an, 1932 durchquerte er die Sahara und 1933 führe ihn eine "Motorradtour" auf dem Landweg von Wien bis nach Indien.
Max Reisch war 1934 in Österreich schon eine Art Berühmtheit und so kam er auf die Idee, der Steyr-Daimler-Puch AG, immerhin war er auf allen seiner Reisen der Marke Puch treu gewesen, die nächste Reise schmackhaft zu machen - mit dem Motorrad bis nach China.
Er schrieb, rechnete, plante und kalkulierte, stellte ein "Exposé" zusammen und schickte das Machwerk an die Steyr-Daimler-Puch AG mit der Bitte um wohlwollende (und finanzielle) Unterstützung - und dann wartete er und wurde von Tag zu Tag nervöser. Und dann schließlich, genau an seinem Geburtstag, lud ihn der Generaldirektor zu einem Gespräch - nicht irgendein Direktor, sondern gleich der Generaldirektor, ob das ein gutes Zeichen war?
Nun, es war ein gutes Zeichen. Der Herr Generaldirektor war begeistert - was ein Generaldirektor natürlich nicht durch unbändigen Enthusiasmus sondern mit viel Würde zeigt - und begehrte nur eine kleine Änderung: Der Herr Student Reisch möge doch bitte statt eines Motorrads ein Automobil nehmen, und zwar den neuen Steyr 100, für den die Firma gerne weltweit die Werbetrommel gerührt hätte.
ImageNun, dazu war Max Reisch leicht zu überreden und bekam vorerst einmal "zum Üben" einen Steyr 100 geliehen, eine Wohltat, die seinem Stand bei den durchwegs automobil-losen Professoren - das gute Stück kostete immerhin öS 7.000,- - nicht eben zuträglich war.
Max Reisch begann seine Expeditionsvorbereitung einmal mit dem Erwerb des Führerscheins, denn trotz tausender Kilometer mit dem Motorrad, hatte er keine Lenkerberechtigung für Automobile - ein Umstand, den er dem Herrn Generaldirektor wohlweislich verschwiegen hatte.
Der Steyr 100 war 1934 "der letzte Schrei der Automobil-Technik: Ein robuster Motor, Vier-Zylinder, 1360 ccm, 32 PS, in einem soliden Rahmen mit Schwingachsen an allen Rädern, Öldruck-Bremsen und Zentralschmierung. Der Druck auf ein Pedal genügte und alle Gelenke wurden gleichzeitig mit Öl versorgt.  Die Karosserie war die erste serienmäßige Stromlinien- Karosserie der Welt und die beiden Türen auf jeder Seite wurden durch keinen Mittelpfosten eingeengt. Der ’hunderter Steyr‘ war genial. Konstruktion des Porsche- Schülers Ing. Jentschke in den Steyr-Werken." Soweit ein enthusiastischer Max Reisch. Auch ihm als Noch-Nicht-Automobilist war klar, dass eine viertürige Stromlinen-Limousine vielleicht nicht ganz das richtige Fahrzeug zur Durchquerung von Wüsten und Urwäldern war und so erbat er sich von Steyr ein Chassis, auf das es sich vom Karosseriebauer Ferdinand Keibl einen Aufbau nach eigenem Entwurf setzten ließ.
Die Motorhaube blieb wie in der Serie, in der ersten Sitzreihe gab es drei Sitzplätze, von denen der mittlere etwa 25 cm zurückversetzt war. Statt der Türen gab es Seitenwände, die dank einer Ausnehmung den Ein- und Ausstieg ermöglichten - wir zitieren wieder Max Reisch "Auf Türen verzichtete ich zur Gänze. Zwei, wie mir schien, sehr elegante Ausnehmungen in den Seitenwänden, an deren ’Schwung‘ ich lange und mit Liebe gezeichnet hatte, ermöglichten einen erträglich bequemen Einstieg."
ImageDer hintere Teil des Wagens war als Ladefläche mit einer Plane ausgeführt - heute würden wir von einem "Pick Up" sprechen - wo Wassertank, Benzinkanister, Ersatzteile und das persönliche Gepäck untergebracht waren.
Durch einen glücklichen Zufall lernte Reisch Helmuth Hahmann kennen, der nicht nur ein guter Techniker und ein verträglicher Mensch war, sondern auch bei den Steyr-Werken einen Spezialkurs besuchte, der auch so gravierende Dinge wie die Reparatur des Differentials lehrte.  Letztere Fähigkeit sollte Hahmann im Laufe der Reise gleich dreimal - in Arabien, im Dschungel von Thailand und in Mexiko - anwenden können.  Am 23. April 1935 begann die große Reise, die von Wien über Palästina - Syrien - Irak - Iran - Afghanistan - Pakistan - Indien - Burma - Thailand - Laos - Vietnam schließlich in Shanghai ihr (ursprünglich geplantes) Ende fand - Fahrtstrecke; 23.000 km, Fahrtzeit: 14 Monate.
Neben unzähligen Abenteuern und - zu unserem Glück - unzähligen Photos und einem gewissenhaft geführtem Reisetagebuch, konnten sich Reisch/Hahmann auch rühmen, als Erste mit einem Automobil Hinterindien, also die Strecke von Rangoon nach Hanoi quer durch Burma und Siam, durchquert zu haben.
Aber weil man jetzt schon einmal so weit gekommen war, und der treue Steyr noch immer in einem Stück und fahrfähig war, lag es nahe, die Reise ganz einfach fortzusetzen. Mit dem Schiff übersetzten sie nach Japan, erkundeten die japanischen Inseln ehe sie den Pazifik Richtung USA überquerten.
Die folgende Reise durch die US A mit einem kurzen Abstecher nach Mexiko bot, nach der vorhergehenden Leistung natürlich kaum mehr neue Herausforderungen und aus den Aufzeichnungen liest man fast so etwas wie eine leichte Enttäuschung heraus.
ImageSchließlich ging‘s wieder aufs Schiff zur Querung des Atlantiks mit der "Bremen" nach Bremerhaven.  Nach einem grandiosen Empfang durch den Deutschen Automobilclub sollten die letzten 1.000 oder so Kilometer nach Wien eigentlich kein Problem sein. Telephonisch wurde schon die Ankunft avisiert. Aber ...
In Deutschland wurde rechts gefahren und Österreich hatte eine besonders "geniale" Regelung: Zwischen 1921 und 1928 würde in fünf(!) Etappen das Land zonenweise von Linksverkehr auf Rechtsverkehr umgestellt. Im Salzburgischen galt zum Zeitpunkt der Heimkehr unserer Helden noch Linksverkehr, ein Umstand, der Reisch natürlich bewusst war und er konzentrierte sich auf die richtige, also die linke, Straßenseite.
Nach rund 40.000 km und 19 Monate Reisezeit kommt in einer unübersichtlichen Kurve ein Wagen auf der falschen Straßenseite entgegen.  Reisch fuhr noch weiter nach links, der "Gegner" aber, offenbar ein den Rechtsverkehr gewohnter zog nach rechts und es passierte das Unvermeidliche.  Das Empfangskomitee in Wien hat an diesem Tag vergeblich gewartet ...
Nun, wie die Bilder dokumentieren hatte die Geschichte mit einer leichten Verzögerung doch noch ein Happy End. Unsere beiden Weltreisenden überlebten den Unfall mit leichteren Blessuren und Max Reisch schloß sein Studium kurz darauf erfolgreich ab. Nur den treuen Steyr hatte es erwischt. Statt eines Ehrenplatzes im Technischen Museum landete in irgendeiner Halle oder einem Keller der Steyr-Daimler-Puch AG. Dort stand er und stand er, überlebte mit viel Glück den Krieg, wurde weder von den Deutschen noch von den Russen beschlagnahmt - wer will schon einen Unfallwagen? - und wurde irgendwann in den 50er Jahren der Familie Reisch geschenkt und wieder in Stande gesetzt. Dabei wurde er zum Glück nicht total restauriert im klassischen Sinn - also komplett neu lackiert, tapeziert und poliert, sondern blieb so weit als möglich im Originalzustand ...
ImageUnd irgendwann im Sommer 2010 trudelte ein Mail aus Bozen bei Austro Classic ein, in dem in etwa stand:
"Das Reisch-Archiv feiert das 75-Jahr-Jubiläum der Weltfahrt von Max Reisch. Aus diesem Anlass habe ich den Steyr 100 wieder einmal auf "Vordermann" gebracht und mit dem gültigen Pickerl versehen.  Heute möchte ich das Angebot einer Probefahrt für Ihre (unsere) Austro Classic aussprechen, falls Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter einmal nach Südtirol kommen:
Herzlich Willkommen, der Steyr 100, versichert natürlich, steht gerne zur Verfügung. Der Wagen lässt sich leicht fahren und hat schon Zuverlässigkeit bewiesen.  Bei Gelegenheit höre ich gerne von Ihnen, wenn Sie wollen kann ich Ihnen auch einen Bericht senden und gewünschtes Fotomaterial dazu.
Mit freundlichen Grüßen aus Bozen!
Ihr Peter Reisch"
Nun, was macht unser eins mit so einem Angebot?  Am - mehr oder weniger - schnellsten Weg mit Kind und Kegel ab nach Bozen, denn erstens bekommt man so eine Chance nicht jeden Tag, zweitens braucht man einen guten Photographen mit, der das historische Geschehen würdig zu dokumentieren weiß und drittens wissen auch die "kleinen Buchtas" die historische Bedeutung (und das Shopping in Bozen) zu schätzen.
Naheliegende Frage, wie fährt sich der Steyr, der schon einmal die Welt umrundet hat? Nun, im Stadtverkehr von Bozen ist er, solange der Motor kalt ist, etwas "unrund" und ruppig und stirbt das eine oder andere Mal ab, aber das ist sicherlich eine Verkehrssituation die im Jahre 1935 auf der Weltreise wohl eher rar war. Außerhalb des Ortsgebiets zwischen den malerischen Südtiroler Wein- und Obstgärten ist der Wagen die reine Freude zu fahren. Ein und Ausstieg sind wirklich fast so problemlos, wie Max Reisch einst ganz begeistert über seine Konstruktion geschrieben hat und drinnen sitzt man leidlich bequem auf historischem Sitz. Die Sicht nach vorne ist ausgezeichnet und das reduzierte Blickfeld nach hinten war einst wohl auch kein schwerwiegendes Problem.
ImageDie Lenkung ist, zumindest mit anderen Fahrzeugen dieses Alters verglichen, hinreichend exakt und die Motor ist überraschend dreh- und leistungsfreudig. Mit ausreichend langem Anlauf sollten knappe 100 km/h möglich sein. Bei vorausschauender Fahrweise, und die sollte bei einem 75 Jahre alten Fahrzeug selbstverständlich sein, reichen die "Öldruck-Bremsen" auch für heutige Verkehrsverhältnisse ...
Fazit: Eine Fahrt mit dem "Asien-Steyr" ist ein luftiges Vergnügen und wenn wir dereinst - 2035 liegt das 100-Jahr-Jubiläum an - eingeladen werden, die Weltumrundung zu wiederholen - ratet einmal, was unsere Antwort sein wird?

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