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Donnerstag, 25. April 2024
Ferdinand Porsche & österreichische Leitbetriebe Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Shamiyeh   

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Ferdinand Porsche und österreichische Leitbetriebe: Warum gerade die Wiener Lohnerwerke und Austro Daimler so förderlich waren für die Genesis des Innovators.

Text: Michael Shamiyeh

 

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Diagrammatische Darstellung der Produktlebenszyklen von Pferdewagen und Automobilen sowie Ferdinand Porsches Stärken im Bereich der Innovation. Die Position der Firmenlogos geben den Innovationsbedarf Porsches Arbeitgeber wieder. Quelle: Michael Shamiyeh
Das Oeuvre von Prof. Dr. h. c. Ferdinand Porsche wurde bereits vielfach reflektiert. Eine Fülle an Werkdokumentationen und Biographien berichten ausgiebig von seine technischen Errungenschaften und zeichnen seinen Lebensweg akribisch nach. Die Entfaltung seiner persönlichen Innovationskraft fand bisweilen jedoch eine spärliche Betrachtung. Erörterungen in der Literatur beschränken sich hierbei meistens auf kurze Anmerkungen zur besonderen Bedeutung der Praxis in Porsches Schaffen. Kaum thematisiert wird sein Gespür für die richtige Auswahl seiner Arbeitgeber, bei denen er sich sehr geschickt Freiräume für die Entwicklung neuer Ideen erobern konnte und sich damit letztendlich auch die Grundsteine für seinen Weltruhm als technisches Genie legte. Österreichische Leitbetriebe spielten hierbei eine ganz zentrale Rolle.
Der folgende Artikel stellt den Versuch dar, diese Lücke zu schließen. Jene Firmen, denen sich Ferdinand Porsche bis zu seiner Selbstständigkeit im Alter von 55 Jahren angeschlossen hatte, weisen eine ganz bestimmte unternehmerische Situation auf: Sie alle waren mehr oder weniger gezwungen, Porsches Experimente mit neuen Ideen zu finanzieren, weil sie dringend gänzlich neue Produkte bedurften - entweder, um in die Jahre gekommene Produkte durch radikal neue zu substituieren und damit vorhersehbaren Absatzschwierigkeiten zuvorzukommen, oder um sich als relativ junges Unternehmen in einem stark wachsenden Markt zu etablieren. Anders formuliert, Ferdinand Porsche verstand es, die prekäre Situation von Unternehmen für seine eigenen Ziele und Interessen mit viel Weitblick zu nutzen.
Die Darlegung Ferdinand Porsches geschicktem Zugang im Entfalten seiner eigenen Innovationskraft bedarf einleitend einer kurze Besprechung der Innovationsarten und deren strategische Rolle im Herausbringen, Vermarkten und letztendlichem Erneuern von Produkten. Die anschließende Betrachtung der Stärken Porsches im Zusammenhang mit Innovation bildet die Basis für die finale Ausführung zur Wahl seiner Arbeitgeber und deren dringliche Situation, neue Produkte zu entwickeln.

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1910, Ferdinand Porsche mit Planmappe vor einem Etrich-Rumpfgerüst am Werksgelände Austro Daimlers. Das starke Engagement des Unternehmens auf dem Gebiet der Luftfahrt ließ Wiener Neustadt zum Zentrum der österreichischungarischen Luftfahrt werden. Quelle: Archiv Porsche Museum.
Arten der Innovation. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Innovation meist eine Idee oder die Erfindung eines neuen Angebotes oder Verfahrens verstanden. Man differenziert zwischen der Produktinnovation, mit der ein Unternehmen Ideenreiches hervorbringt, und Prozessinnovation, der ideenreichen Art und Weise wie das Produkt hergestellt wird. Hier von Bedeutung ist die besondere Betrachtungsweise der Wirtschaftswissenschaften, in denen Innovationen erst dann aus Ideen oder Erfindungen resultieren, wenn diese auch tatsächlich eine erfolgreiche wirtschaftliche Umsetzung erfahren; das heißt, neue Produkte oder Prozesse werden erst dann zu Innovationen, wenn diese tatsächlich eine Anwendung finden und den Markt auch durchdringen, wobei unter Produkte auch Dienstleistungen oder Erlebnisse verstanden werden können. Ferner wird Innovation nicht ausschließlich mit Forschung und Entwicklung gleichgesetzt. Eine effektive Innovation erfordert die Synthese von Marktbedürfnissen mit technologischen Möglichkeiten und fertigungsspezifischen Fähigkeiten. Die Einführung von neuen Ideen, Techniken oder Methoden umfassten daher ebenso den Bereich des Marketings, des Verkaufs sowie die der Produktion.  Ferdinand Porsches Innovationskraft war nicht in allen Bereichen gleich stark ausgeprägt, wie an späterer Stelle ausführlich erörtert wird.
Von Bedeutung für unsere Betrachtung ist die Tatsache, dass die beiden Arten von Innovationen eine unterschiedliche strategische Rolle beim Hervorbringen, Vermarkten und gegebenenfalls Erneuern von Produkten einnehmen. In der Einführungsphase von einer neuen Kategorie, wie etwa dem Automobil, besteht ein substantieller Bedarf an radikaler Produktinnovation, da in der Regel eine Reihe unterschiedlicher Varianten um eine Marktdominanz wetteifern.  Im Zuge der Erfindung des Automobils wurde zum Beispiel mit mindestens drei unterschiedlichen Antriebsformen (Verbrennung, Wasserdampf und Elektrizität) experimentiert und jede Variation buhlte für sich um die Vorherrschaft auf einem noch relativ kleinen Markt. Erst um 1900 kristallisierte sich das mit Verbrennungsmotor ausgestattete Automobil als das bis heute vorherrschende Paradigma der Industrie heraus.
Alsbald sich der Wettbewerb für die Überlegenheit einer Technologie entscheidet und sich eine dominierende Form zu etablieren beginnt, änderte sich in der Regel auch der Innovationsfokus bei den wetteifernden Unternehmen. Die zunehmende Standardisierung von Produkteigenschaften und -konfigurationen ebnet nun den Weg für einen Wettbewerb auf der Ebene des Preises, der Qualität und der Fertigung. Der Fokus auf radikale Produktneuerung verändert sich zu Gunsten weitreichender Prozessinnovationen.
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1914, Elektrotrain System Dailer-Landwehr, Typ B. Die erste Version (Typ A) entstand bereits 1910. Der von Ferdinand Porsche erdachte Lenkmechanismus gestattete perfekte Wendemanöver in beide Richtungen. Der Einsatz auf Schienenwegen war ebenso möglich, wenngleich der Landwehrtrain ursprünglich wegen des schlecht ausgebauten Schienennetzes Österreich-Ungarns entstanden war. Quelle: Archiv Porsche Museum.
Letztere ermöglicht in Kombination mit kleinen Produktadaptierungen die Deckung der Bedürfnisse einer vielfältigen Kundenbasis und damit eine rasche Eroberung eines wachsenden Marktes. Gottfried Daimlers Rückzug aus dem operativen Geschäft und spätere Ausscheiden von der eigenen Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) in den frühen 1890er Jahren kann hier als treffendes Beispiel angeführt werden: Hatte er sich in den frühen Jahren nach der Umgründung seines Unternehmens in eine Aktiengesellschaft noch um eine aktive Einbindung in die Produktpolitik bemüht, so musste er bald erkennen, dass seine Einflussnahme bei den Teilhabern weder erwünscht noch möglich war. Fernab von Liquidationsproblemen mit denen DMG zu kämpfen hatte, war man nicht an der Verbesserung und Leistungssteigerung des schnelllaufenden Benzinmotors für den Einbau in Fahrzeugen interessiert; vielmehr wollte man an der Verwertung vorhandener, marktfähiger Daimler-Entwicklungen in ihrer bestehenden Bandbreite verdienen.
Der Fokus auf Prozessinnovationen hält üblicherweise solange an, bis das Produkt und die zugehörigen Fertigungsprozesse so miteinander verflochten sind, dass nur noch kleine Verbesserungen möglich sind. Erst substantielle Veränderungen in der Umwelt, wie zum Beispiel eine Deregulierung, ein technologischer Wandel oder ein neuer Mitbewerber, löst eine neue Welle von großen Produktinnovationen aus. Die Entwicklung der Verbrennungsmotoren am Ende des 19.  Jahrhunderts kann als ein solcher Moment für die Fortbewegungsindustrie, vertreten durch die Kutschenmanufakturen, betrachtet werden.
Folglich ist Innovation ein komplexes und unsicheres Unterfangen, dessen Fokus sich von der Produktentstehung, -entwicklung, -einführung und -vermarktung bis hin zur -erneuerung verschieben muss. Es bedarf einer engen Zusammenarbeit von Forschung und Entwicklung, Marketing, Vertrieb und Produktion. Wohingegen in der Entstehung und am Ende des Lebenszyklus eines neuen Angebotes eine radikale beziehungsweise diskontinuierliche Erneuerung notwendig ist. Im Zuge der Verbreitung und Marktdiffusion von neuen Angeboten waren vor allem große Prozessinnovationen von Nöten.  Nur jene Unternehmen, die alle Innovationsarten beherrschen, sind in der Lage erfolgreich am Markt zu bestehen.
Nicht selten sahen daher Betriebe in Ferdinand Porsche den Retter in der Not. Es spricht aber auch für den genialen Techniker, dass er sich jenen Unternehmen anschloss, die eine Entfaltung seiner spezifischen Fähigkeiten und Interessen ermöglichten, denn auch Porsche war nicht in allen Innovationsarten stark, wie im Folgenden dargelegt werden soll.

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1900, Ferdinand Porsche als Beifahrer auf einem Lohner-Porsche Elektromobil mit vier Radnabenmotoren mit jeweils 2,5 PS Leistung für Renneinsätze. Ferdinand Porsche lieferte dieses Fahrzeug selbst bei dem Käufer E. W. Hart in Luton, nördlich von London ab. Quelle: Lohnerwerke.
Innovationskraft des Genius.
Ferdinand Porsche war ein großartiger Produktinnovator - großartig, weil er parallel zur Automobilbranche bahnbrechende Neuerungen in den benachbarten Domänen, wie etwa in der Luftfahrt, der Schifffahrt oder des Eisenbahnwesens einführte.  Schon Richard von Frankenberg, der unter dem Pseudonym Herbert A. Quant eine der ersten Biographien über Ferdinand Porsche herausbrachte, merkte 1951 treffend an, dass trotz der Tatsache, dass alle grundsätzlichen Erfindungen für den Automobilbau bereits von Männern vor ihm gemacht wurden, der Konstrukteur Weltruhm erlangte. So führte, zum Beispiel, Nikolaus August Otto bereits ein Jahr nach Porsches Geburt, im Jahre 1876, den Viertaktmotor zur Serienreife. Während der junge Ferdinand noch die Volksschule besuchte, wetteiferten bereits Gottlieb Daimler mit Wilhelm Maybach und Karl Benz um die Vorherrschaft im Automobilbau; und auch Diesels Werk war großteils abgeschlossen, als Porsche erstmals im Rahmen der Weltausstellung von 1900 groß an die Öffentlichkeit trat.

Worin lag nun die Großartigkeit Ferdinand Porsches? Eine umfassende Beantwortung dieser Frage im Rahmen dieser Ausführung kann dem Konstrukteur nicht gerecht werden; viel zu facettenreich ist sein Werk. Dennoch lässt sich zur erfolgreichen Entfaltung seiner persönlichen Innovationskraft ein grundsätzliches Charakteristika herausarbeiten: Wie nachstehend im Detail dargelegt wird, gelang es Ferdinand Porsche mehrmals mit seinen Ideen über Jahrzehnte hinweg bestehende Konventionen zu revolutionieren und Paradigmenwechsel in der Industrie einzuleiten:
Innovation werden oft nur in Verbindung mit großen Erfindungen gesehen, wie zum Beispiel bei der Erfindung des Buchdruckes, der Glühbirne oder des Telefons. Die überwiegende Mehrheit der erfolgreichen Erneuerungen ist aber auf die kumulative Wirkung inkrementeller Innovationen bei Produkten und Prozessen zurückzuführen. Diese kleinen Veränderungen an bestehenden Angeboten bieten zwar neue Versionen oder Erweiterungen zu einer ansonsten standardisierten Produktlinie, sie stellen jedoch das vorherrschende Designprinzip als solches nicht grundsätzlich in Frage. Gottlieb Daimlers Weiterentwicklung des stationären Otto-Motors für den Antrieb von Booten und später auch für Automobile, kann als eine inkrementelle Erneuerung verstanden werden.
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1900, Ferdinand Porsche am Steuer eines Lohner-Porsche-Elektro-Rennwagens, auf dem hinteren Sitz Karl Paulal, Betriebsleiter der Firma Jacob Lohner & Co im Werk Wien. Mit diesem Wagen stellte Ferdinand Porsche am 23. September 1900 auf dem Semmering, südlich von Wien, seinen ersten Fahrrekord mit einem von ihm konstruierten Elektrofahrzeug auf. Quelle: Lohnerwerke.
Eine zweite Art der Erneuerung, die radikale oder disruptive Innovation, umfasst eine Entwicklung oder Anwendung, die substantiell Neues in die Welt bringt und somit zu einem Bruch bestehender Konventionen führt. Die wesentliche Veränderung von Kundenerwartungen, oder der Einsatz neuer Technologien und Methoden, führt so letztendlich zu einer bahnbrechenden Umwälzung in der Industrie. Die Erfindung des Automobils und die damit einhergehende Krise der Pferdewagenmanufakturen kann als ein derartiger Umbruch verstanden werden. Der entscheidende Aspekt der radikalen Erneuerung im Unterschied zur inkrementellen ist: Sie erfordert neue Fähigkeiten, Prozesse und Systeme auf allen Ebenen des Unternehmens.
Die Bestrebungen des österreichischen Wagenfabrikanten Ludwig Lohner mit dem Motorenbauer Gottlieb Daimler, Emile Levasseur, Rudolf Diesel und mit damals auf Elektromotoren spezialisierten Ferdinand Porsche zusammenzuarbeiten, gehen auf diese substantiellen Veränderungen in der Industrie zurück. Jene Unternehmer, die mit ihren bewährten Kompetenzen damals nicht in den Ruin gehen wollten, waren gefordert, sich anzupassen und sich rasch die notwendigen Ressourcen aus der neuen Domäne anzueignen.
Ferdinand Porsches Beitrag für die Automobilbranche entstand nun mindestens eine Generation nach den wesentlichen Erfindungen anderer Konstrukteure im Automobilbau. Und dennoch gelangen ihm Paradigmenwechsel in der Industrie - nämlich nicht auf dem Wege der radikalen Erneuerung, sondern über die kreative Kombination bereits bestehender Technologien und Ideen.
Porsches frühe Produktinnovationen, wie etwa der lenkbare Vorderradantrieb mit einem Radnabenmotor, das Elektrofahrzeug mit Vierrad- Antrieb oder der Mixte-Wagen mit gemischt benzin-elektrischem Antrieb, erforderten alle keine grundsätzlich neue Technologie. Vielmehr wurde bei diesen Innovationen Bestehendes durch kreative Kombination in einen neuen Zusammenhang gesetzt und serienreif auf den Markt gebracht. Zum Beispiel experimentierte die Wiener Automobilwerkstatt Gräf & Stift mit dem Problem des gleichzeitigen Lenkens und Antreibens der Vorderradachse bereits zwei Jahre lang, bevor Porsche seine Lösung im Jahre 1900 präsentierte.
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1900. Radnabenmotoren-Produktion bei der Firma Jacob Lohner & Co, Wien. Zweiter von rechts, der schlanke Herr mit Hut: Ing. Ludwig Lohner. Quelle: Lohnerwerke.
Auch war das Konzept des Radnabenmotors bekannt.  Mehrere Patente waren in den US A seit 1884 angemeldet. Die serienreife Kombination einer lenkbaren Vorderachse mit einem in die Radnabe gesetzten Elektromotor war hingegen gänzlich neu. Der noch 25 Jahre junge Porsche und der Wagenfabrikant Ludwig Lohner brachten diese Innovation weltweit erstmalig in Serie auf den Markt. Zahlreiche Anwendungen in den unterschiedlichen Fahrzeugtypen folgten, angefangen vom Lastkraftwagen, Ambulanzwagen, Feuerwehrwagen bis hin zum Omnibus.  Die über 130 Jahre andauernde Konvention der Trennung von Antrieb und Lenkung auf Hinter- und Vorderradachse fand in Porsches serienmäßig produzierter Lösung eine überzeugende Erneuerung. Der Paradigmenwechsel in der Industrie war unaufhaltsam.
Eine entscheidende Frage blieb bislang offen: Inwieweit war Ferdinand Porsche in allen Innovationsarten bewandert? Anders formuliert, inwieweit war der Ingenieur innovativ fernab der Erfindung neuer Technologien und Produkte, also in den notwendigen Wertschöpfungsprozessen wie etwa der serienreifen Fertigung seiner Ideen oder einer wirtschaftlich profitablen Etablierung seiner Konstruktionen am Markt?
Die zur Verfügung stehende Literatur vermittelt ein weniger ausgeprägtes Bild im Bereich der wirtschaftlichen Verwertung von seinen Erfindungen wieder. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass Ferdinand Porsche etwa kein Interesse an der Honorierung seiner Kompetenzen und Werke hatte - ganz im Gegenteil, wie schon seine frühen Geschäftsgebarungen in Hinblick auf die Lizenzierung seiner Patente und Ideen belegen. Ein eigenes spannendes Thema, auf das hier nicht weiter eingegangen werden kann. Vielmehr lassen die Archivalien auf einen intensiv und leidenschaftlich arbeitenden Konstrukteur schließen, dessen oberste Prämisse die Perfektionierung von zweckmäßigen, alltagstauglichen und beständigen Ingenieursleistungen war. Über die ästhetische Perfektionierung seiner zumal äußerst ausgewogen anmutenden Pläne wurde noch wenig geforscht.
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1897, Ferdinand Porsche (links stehend, ohne Hut) bei der Firma Bela Egger & Co, später Vereinigte Elektrizitäts AG, Wien. Im Vordergrund ein Umformer von Dreh- auf Gleichstrom. Quelle: Archiv Porsche Museum.
Erst in zweiter Instanz dürfte bei dem genialen Konstrukteur die Frage nach der wirtschaftlichen Verwertung respektive Innovationen gestanden haben. Ferdinand Porsche hatte zwar jene, die seine Ingenieurleistungen in Anspruch nehmen sollten, stets im Fokus. Die technische Lösung von Problemen war der eigentliche Antrieb seiner Arbeit. Prozessinnovation in der nachfolgenden Wertschöpfungskette (Finanzierung, Fertigung, Logistik, Marketing, Verkauf usw.) dürften bei ihm aber nicht denselben Stellenwert eingenommen haben, wie der eigentlichen Ingenieurleistung von Produkten.
Folgende Episoden mögen dies exemplarisch kurz beleuchten: Am Ende des 19. Jahrhunderts setzte der zunehmende Automobilismus den Kutschenmanufakturen stark zu. Wie den öffentlichen Medien aus jener Zeit zu entnehmen ist, wurde die Hälfte der Arbeiter der Lohner Wagenfabrik entlassen und die übrige nur zu viereinhalb Tagen der Woche eingeteilt. Im Gegensatz dazu gab es in der von Porsche betriebenen Autofabrik Ludwig Lohner Überstunden.
Jegliches Verständnis für einen Zusammenhang von Entwicklungskosten und Ertrag offenkundig missend, experimentierte der Konstrukteur dort mit neuen Elektroautos, deren Variationen immer typenreicher wurden und von noblen Stadtwagen bis zu Lastkraftwagen und Omnibussen reichten. Neben den nächtlichen Erprobungsfahrten, für die wenige ein Verständnis aufbrachten, wurde zum Beispiel ein Doppeldeckerbus, der nicht den Erwartungen des Ingenieurs entsprach, entgegen der Weisung Lohners nicht einfach partiell verbessert und zum Kauf angeboten, sondern von Porsche zu Schrott gefahren.
Eine Neuentwicklung wurde notwendig und Porsche erlangte sein Ziel. Auch der geringe Absatz von 37 Elektroautos und zehn benzin-elektrisch angetriebenen Mixte-Wagen zwischen 1898 und 1904 ließ bald Kritik an dem Konstrukteur laut werden. Wenngleich diese leistungsstarken Fahrzeuge technisch aufwendig und damit auch teuer waren, so musste man für einen Mixte-Wagen, der je nach Ausführung zwischen 15.000 und 34.000 Kronen kostete, ein Vielfaches von dem aufbringen, was ein Fahrzeug herkömmlicher Bauart kostete. Ein Kleinwagen kostete damals gar nur etwa 5.000 Kronen. Als Nutzfahrzeuge waren diese Wagen daher nicht zu verkaufen.
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1910, Prinz-Heinrich-Fahrt. Ferdinand Porsche (am Steuer) nahm selbst an dieser Langstreckenfahrt mit seinem Prinz-Heinrich-Wagen teil und belegte gegen eine scharfe internationale Konkurrenz sensationell im Gesamt-Klassement den ersten Platz. Zweiter wurde Eduard Fischer und Dritter Heinrich Graf Schönfeld, beide ebenfalls auf Austro-Daimler. Quelle: Archiv Porsche Museum.
Einer ähnlichen Fehleinschätzung unterlagen Porsche und Lohner gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Emil Jellinek. Als sie sich in der gemeinsam 1906 gegründeten Vertriebsgesellschaft Société Mercedes Electrique für die Vermarktung von Elektro- und Mixte-Wagen zusammenschlossen, setzen sie sich für die Produktion ein optimistisches Ziel von 100 Stück pro Monat. Entgegen ihrer Erwartungen wurden nach nur zwei Jahren weniger als 255 Fahrzeuge insgesamt verkauft. Verstärkt vom Rezessionsklima des Jahres 1907 und dem Maja-Flop ging die Gesellschaft in Windeseile zugrunde.
Eine Liste an Beispielen von Ferdinand Porsches sekundär ausgeprägtem Interesse an Prozessinnovation ließe sich hier ausgiebig fortführen.  Wie im Folgenden aber dargelegt werden soll, war sich der Ingenieur seiner Stärken und Schwächen offenbar sehr bewusst und hat sich aus diesem Grunde im Laufe seiner Karriere auch nahezu immer jenen Unternehmen angeschlossen, die dringend neue Produkte bedurften. Ihm war dadurch die Möglichkeit der Entfaltung seiner Innovationskraft für bahnbrechende technische Lösungen sicher. Auch der spätere Zusammenschluss mit seinem kaufmännisch versierten Schwiegersohn und Anwalt Anton Piëch lässt Rückschlüsse auf dieses intelligente Kalkül zu.

Leitbetriebe in Not. Auf die Bemühungen Ludwig Lohners am Ende des 19. Jahrhunderts mit Motorenbauer zusammenzuarbeiten, um den gravierenden Absatzrückgang seiner Pferdewagenmanufaktur mit selbst gebauten Automobilen Einhalt zu gebieten, wurde kurz eingegangen.  Lohner brauchte dringend eine radikale Produktinnovation, um auf dem Markt bestehen zu können. Die Suche nach Personen mit Fähigkeiten im Motorenbau, also fernab der eigenen Domäne des Kutschenbaus, wurde notwendig.  Unerwähnt blieb bisweilen, dass just in dieser Krisenzeit, der junge Elektrotechniker Ferdinand Porsche sich mit Ludwig Lohner in eine unternehmerische Partnerschaft zusammentat - ein Schritt, der aufgrund der ungleichen Voraussetzungen der Partner aus vielerlei Sicht ungewöhnlich anmutet:
Auf der einen Seite steht ein junger Ingenieur mit großen Ambitionen im Automobilbau aber geringer Erfahrung, auf der anderen Seite ein gesellschaftlich etablierter Industrieller mit einem traditionsreichen Leitbetrieb der österreichischen Monarchie; dass sich dieser Zusammenschluss aus der Perspektive Ludwig Lohner lohnen könnte ist naheliegend. Mit anfänglich vermutlich geringen Kosten kauft er sich einen neuen jungen Partner ein, der das von der Krise gebeutelte Unternehmen möglicherweise aus der Not führen kann. Aus der Perspektive Ferdinand Porsches bleibt der Schritt aber ungewöhnlich.
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1929, Fabrikation von Autos am laufenden Band in den Werkshallen der Steyrwerke. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek.
Welches junge Talent schließt sich schon gerne einem Betrieb an, dessen Angebote der Vergangenheit angehören und schon längst ihren Zenit am Markt erreicht haben - insbesondere dann, wenn die Karriereaussichten beim derzeitigen Arbeitgeber vielversprechender sind? In weniger als vier Jahren avancierte Porsche bei der Vereinigten Elektrizitäts-AG Béla Egger in Wien vom Mechaniker zum Leiter der Prüfabteilung. Auch ließ der rapide Expansionskurs des im Jahre 1910 von Brown Boveri übernommen Unternehmens schon zu Zeiten Porsches ein Betätigungsfeld in einem riesigen Markt vermuten. Lohners Zugeständnisse an Porsche ihn in den Namenszug "System Lohner-Porsche" der neuen Fabrikate aufzunehmen, konnten da sicherlich nur bedingt einen Anreiz für eine Partnerschaft bieten, war doch ein derartiges Vorgehen zwischen Karosserie- und Motorenbauer zu jener Zeit üblich.
Welches Kalkül veranlasste daher Porsche seine chancenreichen Karriereaussichten in einem Pionierbetrieb mit einer Einstellung in einem von der Krise bereits gezeichnetem Unternehmen auszutauschen? Allen voran wird es Ferdinand Porsches zutiefst verankerte Leidenschaft für technische Innovation gewesen sein. Ludwig Lohner hatte sich im Sommer 1898 mit Béla Egger anlässlich der Konstruktion von elektrisch betrieben Fahrzeugen zusammengeschlossen.  Porsche hatte damals Gelegenheit, konstruktiv an der Entwicklung teilzuhaben und auch wesentliche Verbesserungen einzubringen. Ein Übertritt zu Lohner bot demnach die Chance, sich eingehend mit diesem noch relativ neuen Thema des Automobilbaus zu befassen.
Nichtdestotrotz mussten die beruflichen Aussichten bei einem Kutschenbauer nicht notwendigerweise attraktiver sein als jene bei der Vereinigten Elektrizitäts-AG. Egger war wie Lohner ein Pionier, jedoch im Bereich der Elektrotechnik.  Ohne Rücksicht auf Erfolg griff er in seinem 1867 in Wien gegründeten jungen Unternehmen alle Zweige der Schwach- und Starkstrom-Elektrotechnik auf, erzeugte Glühlampen, Dynamomaschinen, Elektromotoren, Stromregulatoren und entwickelte sie unermüdlich weiter.
Entscheidend ist jedoch, dass sich beide Unternehmer, Lohner wie Egger, in verschiedenen Lebenszyklen ihrer Produkte befanden und daher einen unterschiedlichen Bedarf an Arten der Innovation hatten. Während Lohner einen stark saturierten und rückwärtsläufigen Markt für Pferdewagen bediente und durch das Aufkommenden des Automobilismus dringend eine radikale Produktinnovation notwendig hatte, war Egger im Begriff einen noch jungen aber riesigen Markt mit seinen heiß begehrten Angeboten zu erobern. Ab den 1880er Jahren baute Egger im In- und Ausland zahlreiche komplette Anlagen für Beleuchtung und Kraftübertragung für Fabriken, Geschäftshäuser, Hotels und bald auch Elektrizitätswerke. Bereits mit Ende des 19. Jahrhunderts erlangte Egger durch mehrere Gründungen und Übernahmen von Fabriken und Beteiligungen eine dominante Stellung am Markt, deren Führung weniger durch neue radikale Produktinnovationen zu behaupten war, sondern vielmehr durch eine innovative Lenkung der Prozesse. So beließ Egger zum Beispiel die Führung übernommener Betriebe weiterhin in seiner Hand beziehungsweise bei seinen österreichischen Fachleuten, oder trachtete danach, dass der überwiegende Aktienbesitz an seine Vereinigte Elektrizitäts-AG in Wien überging.  Für Ferdinand Porsche bot der Elektrizitätsbetrieb daher wenig Aussicht auf die Entfaltung seiner Stärken im Bereich technischer Produktinnovation im Allgemeinen und im Bereich des zukunftsträchtigen Themas des Automobils im Besonderen. Wie wir aus erst jüngst der Öffentlichkeit zugänglichen Aufzeichnungen wissen, wurde der junge Ingenieur gegen seinen eigenen Willen von Béla Egger abgehalten, Entwicklungen eines motorbetriebenen Wagens voranzutreiben.
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1927, Großer Preis von Deutschland auf dem Nürburgring, Siegerehrung von Otto Merz in Stuttgart-Untertürkheim, Ferdinand Porsche unterhalb des 2. Mercedes-Sterns von links. Quelle: Archiv Porsche Museum.
Auch geben diese Aufzeichnungen ein deutliches Bild von einem Betrieb wieder, der wenig Interesse an neuen Entwicklungen hatte, sondern Prozesse effizienter zu gestalten versuchte, um gewinnbringend operieren zu können. Eine mögliche Wahl zwischen Lohners Schwerpunkt auf Produktinnovation und Eggers Schwerpunkt auf Prozessinnovation konnte angesichts Porsches Stärken nur zu Gunsten des Ersteren ausfallen.
Charakteristisch für Ferdinand Porsches Wahl der Arbeitgeber ist, dass jede demselben Muster folgt. Jedes Unternehmen, dem sich der Konstrukteur anschloss, hatte einen dringenden Bedarf an Produktinnovation. Als sich jedoch die Agenden hin zur Prozessinnovation verschoben hatten und man Porsches Leidenschaft für die Entwicklung neuer technischer Lösungen zu hemmen versuchte, zog er rasch den Hut und suchte nach neuen Herausforderungen. Mit Ausnahme von den Steyr Werken waren die österreichischen Leitbetriebe besonders förderlich für die Genesis des Innovators. Austro Daimler soll in diesem Zusammenhang noch eine kurze Erwähnung finden:
1906 ging Porsche als Entwicklungs- und Produktionsleiter und Nachfolger von Paul Daimler zur Österreichischen Daimler-Motoren-Gesellschaft (Austro-Daimler) in Wiener Neustadt.  Ohne den Patenten des Stuttgarter Werkes von Gottlieb Daimler, von denen man sich ein Jahr zuvor losgelöst hatte, galt es Entwicklungsarbeiten zu leisten und für Vertriebsfirmen auf Auftrag zu produzieren. Das Ende der Ära Emil Jellineks durch die Maja-Katastrophe und dem endgültigen Ausstieg aus der Automobilwelt im Jahre 1909 zwang den Wiener Neustädter Betrieb zu einer kompletten Neuorientierung.  Anfangs nicht viel mehr als ein Montagewerk, galt es für den neuen technischen Direktor Ferdinand Porsche nun eine eigene Produktpalette zu schaffen - ein Paradeauftrag für den innovativen Konstrukteur mit einer Leidenschaft für neue Erfindungen. Von nun an befasste er sich sehr erfolgreich mit der Entwicklung von Personenfahrzeugen, Flugmotoren, Zugmaschinen und Sportwagen, die alle für sich ein Paradigma in der Industrie brachen.
Ein jähes Ende fand seine ruhmhafte Tätigkeit für Austro Daimler im Februar 1923 mit dem Sascha-Wagen. Dieses Pionierwerk hatte das Potential zur Revolutionierung des in Europa noch nicht etablierten Konzepts des Kleinwagens.  Das hohe Risiko aufgrund enormer Investitionskosten, die man für die Modernisierung der Fabriken hätte aufbringen müssen, stand im Widerspruch zu den kurzfristigen finanziellen Interessen des Aufsichtsrates. Porsche ging und versuchte von nun an Stuttgart zu erobern.  Ferdinand Porsches Entscheidung nach Stuttgart zu gehen hat vielversprechend begonnen, wurde jedoch von der Interessensgemeinschaft zwischen Daimler und Benz getrübt. In den Nachkriegsjahren begann sich die Automobilindustrie wieder auf die Friedensproduktion umzustellen.
Die in der Produktion befindlichen Flugzeugmotoren, U-Boot-Motoren sowie halb fertig gestelltes Material wurde unter der Aufsicht der alliierten Militärbeobachter zerstört.  Trotz der Inflationsjahre begann man wieder mit dem Bau von Automobilen - allerdings mit Vorkriegsmodellen. Bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim konzentrierte man sich unverändert auf Luxus- und Sportwagen in der Modellpolitik, da man sich hier vor allem durch weitere technische Verbesserungen Wettbewerbsvorteile gegenüber im Ausland gefertigten Produkten versprach. Porsche schien der geeignete Mann zu sein, der der alten Vorherrschaft der Marke auf diesem Gebiet konstruktiv wieder neu zu unterbauen vermochte. Neben Lastwagen und Sonderkonstruktion entstanden Serienwägen, aus denen sich großartige Sportwägen entwickelten.  Porsche war in seinem Element.
Nach der Währungsumstellung im November 1923 traten die strukturellen Schwächen der deutschen Automobilindustrie deutlich zutage und der Zwang zur Größe veranlasste Daimler und Benz ihre Unternehmungen vorerst in einer Interessengemeinschaft zu bündeln. Ferdinand Porsche geriet dadurch zwischen die Fronten zweier konkurrierender Unternehmen und deren Entwicklungsabteilungen. Die Organisation einer großen Modellvielfalt und die Führung zahlreicher Produktionsstandorte hatten seine Fähigkeiten in einem für ihn nicht zu bewältigenden Maße gefordert, sodass er im Winter 1929 nach Österreich zurückkehrte. Sein Aufenthalt als technischer Direktor bei den Steyr Werken währte aber nur wenige Monate. Die Auswirkungen des "Schwarzen Freitags" an der New Yorker Börse führten zum Zusammenbruch der österreichischen Bankenlandschaft und damit auch dort zu einem Zusammenschluss der Automobilhersteller. Die geringen Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Innovationskraft bei Steyr führten schließlich zu Ferdinand Porsches Entschluss seinen eigenen Weg zu gehen - von nun an als unabhängiger Konstrukteur und Berater für Motoren und Fahrzeugbau.
 
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