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Donnerstag, 25. April 2024
Mercedes-Benz 600 Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Wiedmaier   

Heft bestellen - Mercedes-Benz 600 - Man sieht sich immer zweimal - mindestens!

Der Mercedes-Benz 600 feierte 2013 sein 50-Jahre-Jubiläum.

Text: Michael Wiedmaier
Photos und Photorechte: Hermann Ries

  ImageIm Fall der Mercedes-Benz 600 Pullman-Limousine mit der Fahrgestellnummer 100.016-12-002530 aus dem Jahr 1978 waren es sogar dreimal, während derer ich ihr in ganz unterschiedlichen Situationen begegnete.
Das erste Kennenlernen fand im Jahr 1998 statt.  Ich recherchierte für mein erstes Buch über die Mercedes-Benz Baureihe W 100. Damals stand sie, eingereiht zwischen anderen interessanten Klassikern mit und ohne Stern, in der Verkaufsausstellung eines Händlers für automobile Raritäten.  Aufgrund eines Hinweises aus dem Kreis der W-100-Freunde war ich auf dieses außergewöhnlich attraktive und in seinem Erscheinungsbild überaus harmonisch wirkende Exemplar aufmerksam geworden. Mitglied der Mercedes-Benz-Familie, gehörig zur Gattung Typ 600, zählt sie zu der überaus seltenen Art der sechstürigen Pullman-Limousinen.
Um hochwertige Fotoaufnahmen für mein in der Produktion befindliches Buch zu erstellen, war die lange Anreise zu ihrem Standort nicht zu umgehen. Schließlich wollte ich sie ja persönlich kennen lernen. Überdies hatte der damalige Besitzer mir am Telefon zugesagt, dass es überhaupt kein Problem sei, die Limousine herauszufahren, um sie in einem angemessenen Ambiente zu fotografieren.
Umso größer war dann meine Enttäuschung, dass ich nur einige Fotoaufnahmen innerhalb des Verkaufsraumes erstellen konnte.  Etwa gegen 2003, als ich mit der Endbearbeitung meines Buches über die Mercedes-Benz Baureihe zu den Typen 300 befasst war, erhielt ich einen Anruf des Besitzers. Der mittelblaue Pullman sei fahrbereit und könne nun auch "ordentlich fotografiert" werden.
Selbstverständlich fand sich ein Zeitfenster, um die Pullman-Limousine ein zweites Mal zu besuchen.  Diese Reise hatte sich in jedem Fall gelohnt.  Das Wetter konnte besser nicht sein und ich genoss die sommerliche Genussfahrt mit der Nummer 2530 durch das Dahner Felsenland.  Bei meinen Recherchen lege ich stets größten Wert darauf, möglichst viele Informationen über die Biografie der von mir vorgestellten Wagen zu verifizieren. Zwar war der Besitzer durchaus
in der Lage, unterhaltsam zu parlieren, aber über den Werdegang der blauen Limousine wollte er sich nicht viel entlocken lassen.
Es war von einem Arzt die Rede, Inhaber einer privaten Klinik, welcher den Wagen zu Repräsentationszwecken einsetzte, diesen auch wichtigen Gästen zur Verfügung stellte oder damit weitere Ausfahrten oder gar Reisen unternahm.  Andere Informationen brachten einen adeligen Erstbesitzer ins Gespräch.  Das waren natürlich Hinweise, die sich hervorragend zur Bildung von Legenden hätten eignen können. Da es aber leider nur Gerüchte waren, die eher verdunkelten als erhellten, waren sie für die Präsentation der Pullman-Limousine in meinem zweiten Buch über die Mercedes-Benz Baureihe 600 nicht verwertbar.
ImageUmso größer war meine Begeisterung, als ich im Jahr 2012 gleich zweimal in veröffentlichten Fachbeiträgen etwas Neues über meine Favoritin unter den Pullman-Limousinen erfuhr.  Beide Gerüchte von damals waren nicht unwahr, wenngleich doch unvollständig und deshalb nicht verwertbar. Ich verrate im Folgenden kein Geheimnis, da die Identität des Erstbesitzers längstens seitens eines bekannten Restaurierungsbetriebes und Handelshauses, insbesondere für Klassiker mit dem Stern, gelüftet worden ist.
Da ich auch bei Erscheinen meines zweiten 600-Buches im Jahr 2008 über die Pullman- Limousine Nummer 2530 noch nichts Näheres aussagen konnte, freue ich mich nun umso mehr darüber, die symbolische Schutzdecke dieses Wagens lüften zu können.  Ebenso elegant und einmalig wie der Wagen ist auch sein ursprünglicher Standort.  Das Anwesen des erstmals 1439 erwähnten ehemaligen Rittergutes Wasserschloss Hüffe in der Ortschaft Lashorst der Stadt Preußisch Oldendorf im Kreis Minden-Lübbeckeder erwarb der Arzt Prof. Dr. med. Hartwig Krukemeyer im Jahr 1977 und ließ Schloss, Parkgelände und umliegende Gebäude umfassend restaurieren.  Ganz dem besonderen Ambiente der Schlossanlage entsprechend hielt dort im Jahr 1978 die hier gezeigte Pullman-Limousine ihren Einzug.
Prof. Dr. med. Hartmut Krukemeyer ist der Gründer der Paracelsus-Kliniken-Gruppe, die auf die Grundsteinlegung der Paracelsus-Klinik Osnabrück im Jahr 1968 zurückgeht. Hartmut Krukemeyer studierte Humanmedizin an den Universitäten Münster und Hamburg und war später als Radiologe tätig. "Die Paracelsus-Kliniken Deutschland zählen mit 17 Akut-Krankenhäusern, 11 Reha-Kliniken sowie mehreren ambulanten Einrichtungen zu den großen privaten Klinikträgern in Deutschland. Bundesweit betreuen insgesamt circa 5.000 Mitarbeiter jährlich mehr als 100.000 stationäre Patienten.  Die Konzernzentrale hat ihren Sitz in Osnabrück wo auch die Verwaltung untergebracht ist. Bereits in der zweiten Generation sind die Paracelsus-Kliniken inhabergeführt - und der Inhaber ist ein Arzt (Dr. med. Manfred Georg Krukemeyer, Gesellschafter der Paracelsus-Kliniken).
"Die Paracelsus-Kliniken sind an keiner Börse notiert und somit keinen Aktionären im klassischen Sinne verpflichtet." (Zitat: www.paracelsus-kliniken.de).
Nach dem Tod Hartmut Krukemeyers im Mai 1994 nutzte dessen Witwe, Katharina Gräfin von Schwerin-Krukemeyer den Mercedes-Benz 600 noch weitere Jahre, bis der Wagen dann 1998 zum Verkauf stand.  Beide anfangs erwähnten Gerüchte über den Erstbesitz der Pullman-Limousine Nummer 2530 ließen sich später verifizieren. Schwerin ist der Name eines alten mecklenburgischen und pommerschen Adelsgeschlechts. Zweige der Familie bestehen bis heute. Der Wagen stammt also aus adeligem Vorbesitz und der Ersteigner war ein berühmter und verdienstvoller Arzt, wodurch sich beste Referenzen ergeben.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich hinlänglich debattieren, keineswegs aber bei diesem Vertreter der 600 Pullman-Limousinen. Im nahezu perfekten Originalzustand konserviert lässt dieses seltene Exemplar der sechstürigen Variante vom Typ 600 (124 Stück) mit der Optik eines Viertürers kaum mehr Wünsche offen. Anhand der beeindruckenden Fotos, die von Kollege Hermann Ries, Chefredakteur des Magazins "Mercedes-Benz Classic", erstellt wurden, lässt sich auch der letzte Zweifel ausräumen. Diese Pullman-Limousine gehört zu den Schönsten ihrer Art.
ImageDie Farbwahl der Lackierung in Mittelblaumetallic ist nicht staatstragend wie etwa Schwarz oder Dunkelblau, hingegen nicht minder elegant und seriös. Die grün eingefärbte Verglasung unterstützt das distinguierte Erscheinungsbild und schützt außerdem vor Sonneneinstrahlung und vor allzu neugierigen Einblicken. Zur Unterstützung der harmonischen Seitenansicht wurde auf äußere Griffe an den beiden Mitteltüren verzichtet.  Problemlos können die Türen vom Wageninneren aus geöffnet werden, was bei einem chaffeurgepflegten Wagen kein Nachteil ist.
Wohin das Auge im weiten Innenraum auch schweift, bietet die Pullman-Limousine nur Erfreuliches.  Eine perfekte Harmonie von Farben und Materialien schafft die Synthese des pergamentfarbenen Leders mit dem rötlich schimmernden Makassar Ebenholz und den dunkelblauen, mit pergamentfarbenen Kedern aus Leder eingefassten Veloursteppichen.  Das originale, zeittypische Steuergerät für die Musikanlage im Frontbereich und im Fond weist auf das späte Baujahr 1978 hin. Das per Komforthydraulik automatisch verfahrbare Schiebedach über dem Fondbereich ermöglicht bei Bedarf das Einlassen von Licht und Sonnenwärme.  Als Sonderausstattungen gelten die im getrennten Fahrgastabteil umlaufenden Gardinen, die das völlige Abschirmen der Passagiere ermöglichen, sowie die abschließbaren Dokumentenfächer in den hinteren Türen.
Bei eingeklappter mittlerer Sitzreihe ergibt sich eine mehr als üppig bemessene Beinfreiheit.  Nachdem einer oder beide der mittleren Sitze ausgeklappt und die entsprechende Lehne nach vorne umgelegt bleibt, entsteht bei mittels Komforthydraulik entsprechend justierter Rücksitzbank eine bequeme halb liegende Position mit Beinauflage. Damit nimmt diese Variante des Mercedes-Benz 600 Pullman die später im Maybach 62 angebotene Liegesitzeinrichtung praktisch vorweg.
Der bei entsprechender Handhabung durch den Chauffeur seidenweiche Bewegungsablauf während der Fahrt und die kaum wahrnehmbaren Außengeräusche geben auch heute noch Aufschluss darüber, welcher Grad von Fahrkomfort schon während der 1960er und 1970er Jahre möglich war - und das alles ohne jegliche Elektronik.
 
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