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Donnerstag, 25. April 2024
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Geschrieben von Christian Sandler   

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Kurt Bergmanns Antwort auf die Dominanz der AUDI quattro in den 80er-Jahren.

Im März 1980 ließ der „Automann des Jahrhunderts“, Ferdinand Piëch, beim Genfer Automobil-Salon die sprichwörtliche Katze aus dem Sack. Audi präsentierte der Öffentlichkeit den Quattro mit permanentem Allradantrieb. Gleichzeitig gab es auch die Ankündigung seitens Audi, dieses Konzept im Rallye-Sport einzusetzen. Bei der vom Erfolg verwöhnten Konkurrenz, wie Opel, Fiat, Lancia, läuteten sofort die Alarmglocken. Wenn auf einmal an allen vier Ecken die Kraft sich in den Asphalt oder Schotter krallt, dann heißt es ab sofort hinten anstellen.

Der Chef von VW-Motorsport Klaus-Peter Rosorius war mit seinem alten Freund Kurt Bergmann ebenfalls in Genf. Das „Genie aus der Vorstadt“ und Rosorius verband eine jahrelange und ausgezeichnete Zusammenarbeit im Rahmen der Formel Vau. Audi war damals die „kleine“ Tochter von VW und hatte eigentlich im Motorsport eher ein stiefmütterliches Dasein gegenüber dem Mutterkonzern. Volkswagen war zu dieser Zeit bereits im Rallye Sport aktiv, mit dem Golf GTI (170 PS), den Fahrern Per Eklund und Hans Sylvan erreichte man immerhin bei der Monte Carlo Rallye den 5. Platz. Rosorius musste dem etwas entgegensetzen.

Das System „Quattro“ zu kopieren lag zwar auf der Hand, kam aber aus patentrechtlichen Gründen nicht in Frage. Also suchte Rosorius Rat bei seinem alten Freund Bergmann. Nun, bei diesem Gespräch kam es natürlich noch zu keiner Lösung, aber Kurt Bergmann ließ der Gedanke nicht mehr los, wie er wohl diese Aufgabe lösen könnte. Vielleicht mit zwei Motoren? Frei nach einem Motto aus der Steinzeit: Sollte ein Ochse die Fuhre nicht ziehen, so nehme man einen zweiten.


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Beispiele aus der Automobiltechnik gab es immer wieder. Die Firma Tempo-Vidal in Deutschland baute etwa im Jahr 1930 ein solches Versuchsfahrzeug, allerdings nur für rein militärische Zwecke. Auch Alfa Romeo versuchte sich, eher halbherzig, in diesem Metier. Der einzig bekannte und namhafte Hersteller einer Kleinserie solcher Fahrzeuge war der Autohersteller Citroen mit dem 2 CV 4x4 „Sahara“. Davon wurden zwischen 1958 und 1971 694 Stück produziert. Dieser „Deux-chevaux“ war all das, was die normale Ente nie sein wollte: teuer, selten und kompliziert. Heute sind die Allrad-Versionen mit ihren zwei Motoren gesuchte Raritäten und meistens fest in Sammlerhand. Der Bolide hatte sagenhafte Fahrleistungen. Es standen immerhin zweimal 16,5 PS aus zweimal 425 cm3 zur Verfügung und bei atemberaubenden 105 km/h im Bimotor-Betrieb war Schluss.

Kurt Bergmann hatte in seinem Betrieb an die 200 Formel Vau-Rennwagen gebaut, war Erfolg gewöhnt und begann ab nun, eine Version mit zwei Motoren zu planen. Aber welches Auto war dafür geeignet? Es sollte natürlich aus dem Hause VW stammen, das war klar.


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Einige Wochen später kam Inspektor Zufall ins Spiel. Bei einem Besuch am Österreichring parkte Bergmann neben dem grünen VW Jetta GLi des damaligen BOSCH-Motorsportverantwortlichen in Österreich, Norbert Jurkowitsch. Diesem Jetta hatte er bereits durch eine spezielle Nockenwelle mehr Leistung eingehaucht. Da hat Kurt Bergmann die zündende Idee, er borgte sich von Herrn Jurkowitsch ein Maßband und fing an zu messen. Der Jetta war hinten gleich breit wie vorne und genial, der vordere Motor passt samt Getriebe auch hinten in den großen Kofferraum rein. Bergmann fertigte ein paar grobe Skizzen an, packte seine Sachen und fuhr sofort nach Hannover, zu Volkwagen Motorsport, um mit Klaus Peter Rosorius darüber zu sprechen. Als dieser folgende Eckdaten hörte, 220 PS, 1000 kg und permanenten Allradantrieb in einem VW Jetta, war er hellauf begeistert. Am 1. Juli 1980 ließ er ein Serienfahrzeug der Type VW Jetta Li mit 110 PS in lemongelb zu Kurt Bergmann nach Wien an die berühmte Adresse 1220 Wien, Eßlinger Hauptstraße 13 liefern. Am nächsten Tag begann Kurt Bergmann mit seinem Team, den Jetta nun gründlich auseinander zu nehmen. Projekt TwinJet kann beginnen!

Zuerst wurde die Rückbank entfernt, ein Loch in die Bodenplatte geschnitten und mit einem Hilfsrohrrahmen ein zweiter GTI-Motor mit ebenfalls 110 PS inkl. VW 5-Gang-Sportgetriebe eingesetzt. Jedes der beiden Aggregate besitzt eine eigene Zündanlage samt Batterie. Die Halterung der Federbeine wurde umgebaut, so dass nun hinten die gleichen zum Einsatz kamen, wie vorne. Vorne blieb alles weitgehend beim Alten. Somit war der Allradantrieb hergestellt, synchronisiert wurde sozusagen „über die Straße“, eine mechanische Antriebsverbindung gab es nicht. Danach wurde mechanisch der Schalthebel über ein gefinkeltes Gestänge auch mit dem hinteren Motor verbunden, damit beide Motoren gleichzeitig und parallel mit einem einzigen Schalthebel geschalten wurden.

Zusätzlich baute der geniale Techniker Bergmann eine Unterdruckanlage bei dem Gestänge ein, um beliebig die jeweiligen Getriebe zu- und wegschalten zu können. Das funktionierte so gut, dass sogar während der Fahrt der vordere oder hintere Motor mittels Luftdruck sich dazu- oder wegschalten ließ. Diese Technik nutzte man auch für die hydraulische Handbremse, somit konnte beim „andriften“ der Kurve der hintere Motor weiterlaufen und beim Kurvenausgang wieder in den Vortrieb eingreifen.


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Zur Auswahl des zu startenden Motors wurden zwei große Stromschalter statt dem Aschenbecher montiert und daneben zwei Luftdruckschieber, welche jeweils durch Ziehen zu aktivieren waren.

Zur Kühlung wurden ein Wasser- und ein Ölkühler zusätzlich an der vorderen Frontwand montiert, auch der vordere Motor bekam einen größeren Wasser- und einen zusätzlichen Öl-Kühler. Beim hinteren Motor nutzte Kurt Bergmann seine Erfahrung aus den luftgekühlten Formel Vau-Fahrzeugen. So wurde die Ölwanne gerippt und der Luftstrom durch den Kofferraum geleitet. Der Heckspoiler hat die Funktion, die Luft nach oben abströmen zu lassen.

Um den Fahrer über alle Betriebszustände der Motoren zu informieren, wurde in der Mittelkonsole zusätzlich die Öl- und Wassertemperatur der jeweiligen Motoren angezeigt und auf dem Armaturenbrett kam eine LED-Leiste zum Einsatz, um die Drehzahl der beiden Motoren anzuzeigen.

Zur optimalen Verteilung der Bremskraft wurde, wie bei einem Rennauto üblich, ein verstellbarer Bremskraftregler eingebaut. Als Bremsanlage diente die vom Golf GTi, aus dem damaligen Sportpaket. Bei den Reifen entschied sich Bergmann für den Pirelli P7 Rally 205/60 VR 13, auf speziellen 6 Zoll-Felgen montiert, dazu verstellbare Stoßdämpfer von Bilstein, um die Kraft optimal auf die Straße zu bringen. Die Auspuffanlage wurde aus dem Serien 911er entnommen.

Bergmann dachte aber auch an die Alltagstauglichkeit des Jetta. Um möglichst wenig Raum für die hinteren Passagiere zu verschwenden, wuchs der Radstand um zwei Zentimeter, worauf freilich die Hinterräder nicht mehr zentrisch in den Radausschnitten verlaufen. Das war aber schon der einzige Schönheitsfehler.

Das Ergebnis war sensationell: 220 PS bei 6.100 U/min. und Allrad. Kurt Bergmann testete den TwinJet rund um Wien, der Verbrauch mit 14 Liter Super auf 100 Kilometer war für die damalige Zeit auch in Ordnung.

Klaus-Peter Rosorius von VW-Motorsport war begeistert. Als Ende 1980 durchsickerte, dass Audi die Weltpremiere für den Quattro im Rallyesport auf die Jännerrallye 1981 legte, entschied man bei VW den TwinJet bei dieser Veranstaltung als Vorausauto einzusetzen. Als Fahrer war niemand anderer als Andi Benza mit an Bord. So konnte man das Fahrzeug unter echten Rennbedingungen testen.


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Das Duo Wittmann/Nestinger entschied diese Rallye, auf dem neuen Audi Quattro, mit Gewinn sämtlicher 31 Sonderprüfungen für sich. Der TwinJet war leider durch einen Zahnriemenriss etwas gehandicapt. Bei internen Vergleichszeiten war man aber stets auf Augenhöhe des Siegerteams.

Der VW-Vorstand analysierte alle Daten aus der Rallye und entschied in einer äußerst knappen Abstimmung, das Projekt doch nicht mehr zu forcieren.

Kurt Bergmann war verliebt in seinen TwinJet und nutzt ihn fortan als Alltagsfahrzeug. Meistens wurde nur mit einem Motor gefahren und wenn es dann die Situation erforderte, wurde der zweite einfach dazu geschalten. Manche Porschefahrer haben sich damals gewundert, warum sie an diesem lemongelben Jetta nicht vorbei kamen.

Aber Kurt Bergmann war nicht untätig. So tunte er die beiden Motoren mit steileren Nockenwellen, optimierte das Abgassystem und mit geschätzten 300 PS dominierte er dann nach Belieben die Autobahnen. Sogar bei der ORF-Kultsendung „Mit versteckter Kamera“ war der Wagen im Einsatz, um einen Tankwart zu ärgern.

VW entwickelte in den Folgejahren noch zwei Scirocco-Modelle mit zwei Motoren und den legendären Pikes-Peak Golf, stets unter Aufsicht von Kurt Bergmann.

Die Erkenntnisse aus dieser Zeit kommen den VW-Technikern noch heute bei der Entwicklung von E-Fahrzeugen zu Gute.

In Summe fuhr Bergmann über 30.000 km, bis er das Fahrzeug der KFZ-Schule in Strebersdorf (Sigfried Marcus Berufsschule) als Ausstellungsgegenstand zur Verfügung stellte. Zuerst stand der Jetta in der Aula, um dann nach ein paar Jahren im Keller zu verschwinden.

2012 holte sich Bergmann seinen Jetta aus dem Lehrmittelkeller zurück. Das Fahrzeug wurde gemeinsam mit Hilfe von Karl Holzinger innerhalb zweier Jahre aufwendig restauriert. Eine ganz wichtige Unterstützung des Projekts „TwinJet“ war der ehemalige Bergmann Mitarbeiter Hans Wurzinger, der extra aus Los Angeles angereist war. Heute steht der gelbe Bolide im neuen Glanz da und wird vom jetzigen Besitzer Karl Holzinger (Kaimann Racing Team) bei ganz speziellen Anlässen präsentiert.

Am 3. August kann man dieses einzigartige Beispiel österreichischer Ingenieurskunst beim Bergrennrevival in Bad Mühllacken bewundern, gefahren von Karl Holzinger mit Beifahrer Kurt Bergmann höchstpersönlich.

Photos: Ulli Buchta, Andreas Riedmann

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