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Freitag, 29. März 2024
Jochens letzter Sommer Drucken E-Mail
Geschrieben von Christian Sandler   

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Christian Sandler erinnert sich an die letzten Wochen des Jochen Rindt im Sommer 1970.

Anfang der 1970er-Jahre waren wir Österreicher wer, zumindest im internationalen Motorsport. Niki Lauda arbeitete gezielt an seiner Karriere, hat sich von den Bergrennen verabschiedet und trieb es bunt auf allen Rennstrecken Europas. Tourenwagen, Sportwagen, Formel V und Formel 3 – überall war er schnell und zog die Aufmerksamkeit auf sich. Quester und Marko waren schon etwas weiter; bei den Tourenwagen, Formel 2 und Sportwagen machten sie international Schlagzeilen. Einer stach sogar weltweit aus der Meute heraus. Der Grazer Lausbub Karl Jochen Rindt wurde erwachsen. Rindt ist zwar 1942 in Mainz (BRD) geboren, er war somit zeitlebens auch deutscher Staatsbürger. Im Alter von 15 Monaten wurde er Vollwaise, als er seine Eltern bei einem Bombenangriff auf Hamburg verlor. Er wuchs daher bei seinen Großeltern in Graz auf, fuhr mit österreichischer Rennlizenz und fühlte sich auch als Österreicher.

1965 schlug er wie ein Komet in den Motorsport-Gazetten ein, als er mit Masten Gregory gemeinsam die 24 Stunden von Le Mans gewann. Wir Österreicher hatten plötzlich einen Helden abseits der Schipisten. Doch in den nächsten Jahren hatte er in der Formel 1 nie das richtige Material und fuhr nur sporadisch aufs Podium. Dafür riss er in der Formel 2 alle Bäume aus, man nannte ihn den „König der Formel 2“, er ist bis dato der Rennfahrer mit den meisten Siegen in dieser Kategorie.


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1969 wechselte er in Colin Chapmans Lotus-Team, bei dem er Teamkollege von Graham Hill wurde. Lotus-Rennwagen galten damals als die schnellsten, waren aber extrem am Limit gebaut und daher sehr oft von technischen Defekten betroffen. Die Saison 1969 war ein Auf und Ab. Tiefpunkt war der Spanien GP, wo bei Hill und Rindt an ihren Lotus 49 der Heckflügel brach und beide wie eine Bombe in den Leitschienen einschlugen. Beide kamen mit leichten Verletzungen davon, Rindt hatte einen Nasenbeinbruch. Auf die Frage, ob er das Vertrauen zu Lotus jetzt verlor, antwortete Rindt: „Ich hatte nie eines gehabt!“

Glanzvoller Höhepunkt war dann der 5. Oktober 1969 in Watkins Glen. Jochen gewann seinen ersten GP, noch dazu in den USA, wo es immer das höchste Preisgeld gab. Er hat dazu 48 Anläufe gebraucht und löst damit eine Welle der Begeisterung in Österreich aus. Rindt wurde zum Idol einer ganzen Generation, bei der Rennfahren noch gefährlich war und Sex als sicher galt. Obwohl der Lotus 49 noch für Siege gut war, musste für die Saison 1970 ein neuer Rennwagen her. Im Spätherbst begann die Entwicklung der neuen Wunderwaffe, des sogenannten Lotus 72. Konstrukteur dieses revolutionären Rennwagens war Maurice Philippe, der wie Chapman Luftfahrttechnik studiert hat.


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Im April wurde die futuristisch aussehende Wunderwaffe in England der Öffentlichkeit vorgestellt. Auffälligste Erscheinung war seine Keilform, da die Wasserkühler in die beiden Seitenkästen platziert wurden. Als weiteres Novum verlegte Philippe die Bremsscheiben ins Wageninnere, um die ungefederten Massen zu verringern. Eine sogenannte „Bremswelle“ verband das Rad mit der Bremsscheibe. Diese war aus Gründen des Gewichts und der Elastizität hohl gefertigt. Beim Saisonauftakt in Kyalami fuhr Rindt noch mit dem alten Lotus 49, schied aber mit Motorschaden aus, Oldboy Jack Brabham trug sich in die Siegerliste ein. Bei der Europapremiere im spanischen Jarama setzte Lotus erstmals den 72er für Rindt und John Miles ein. Im Training hatte Jochen am Ende der Zielgeraden, als er voll bremste, einen Bremsdefekt und wurde dabei in die Botanik katapultiert. Es war nicht die Bremswelle direkt gebrochen, sondern die Isolation zwischen Welle und Bremse schmolz, dadurch wurden die Befestigungsbolzen locker und rissen aus. Rindt ist nichts passiert, und das Vertrauen zur neuen Wunderwaffe wurde dadurch nicht besser. Im Rennen schied Rindt mit Zündungsdefekt aus, Jackie Stewart gewann. Beim Lotus 72 standen nun einige Umbauarbeiten am Plan und für Monaco stieg Rindt wieder in den alten Lotus 49. Es war dies das legendäre Rennen, wo Rindt Jack Brabham gnadenlos jagte und ihn in der letzten Kurve vor dem Ziel in einen Fehler hetzte. Rindt gewann im Fürstentum seinen zweiten Grand Prix. Nächste Station war der schnelle Ardennenkurs von Spa-Francorchamps am 7. Juni. Fünf Tage zuvor starb Bruce McLaren bei Testfahrten in Goodwood. Jochen fuhr den 72er im Training, prompt brach ihm hinten die Radaufhängung und es entbrannte ein heftiger Streit mit Chapman. Im Rennen stieg er in den Siegerwagen von Monaco, schied aber erneut mit Motorschaden aus. Gewonnen hat der Mexikaner Pedro Rodriguez auf BRM. Die Lotus-Mannen zogen sich mit dem ungeliebten Rennwagen ins Werk zurück. Eine neue Vorderachskonstruktion stand auf der Agenda. Zwei Wochen intensive Arbeit machten sich bezahlt und aus dem ungeliebten Wagen wurde wie durch ein Wunder ein fantastischer Bolide. Jochen testete den Lotus 72 in Silverstone, fuhr fast 500 Meilen und war begeistert. Dann geht alles rasend schnell. Eine unheimliche Siegesserie begann mit dem ersten Platz von Rindt am 21. Juni in Zandvoort. Leider für Jochen ein Sieg ohne Freude, sein bester Freund Piers Courage verlor bei einem fürchterlichen Crash sein Leben. Jochen haderte mit sich selbst, „aufhören oder weitermachen“, zuerst Bruce und jetzt Piers. Nina war mit dem Rennfahren in dieser Situation auch nicht allzu glücklich, zu viel ist passiert und Töchterchen Natasha (damals knapp 2 Jahre alt) brauchte einen Familienvater. Die Geschäfte abseits der Rennstrecken liefen gut und die „Jochen Rindt Show“ wurde zu einem Erfolgsmodell. Jetzt, wo der Wagen endlich lief, ist aufhören vielleicht doch keine so gute Idee und beim eventuellen Gewinn der WM würde Rindts Marktwert für die Saison 1971 natürlich steigen. Stand am Anfang seiner Karriere noch die Fahrerei im Mittelpunkt, so rückten mit der Zeit die Geschäfte in den Vordergrund.


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Am 5. Juli gewann er den französischen GP in Clermont-Ferrand und eine Woche später siegt er in Brands Hatch. Der Pechvogel war wieder einmal Jack Brabham, als ihm in Führung liegend in der letzten Runde der Sprit ausging. Der deutsche GP wurde in diesem Jahr am Hockenheimring ausgetragen, der Nürburgring zog aus Sicherheitsgründen den Kürzeren. Ferrari holte leistungsmäßig auf und es entbrannte am 2. August eines der spannendsten Duelle der GP-Geschichte. Ickx und Rindt lieferten sich einen noch niemals gesehenen Kampf auf höchstem Niveau. Fast jede Runde wechselten sich die beiden an der Spitze ab, am Ende setzte sich Jochen durch und besiegte Ickx mit nur 0,7 Sekunden Vorsprung. In einer deutschen Gazette stand geschrieben: Erstmals seit 1939 hat wieder ein deutscher Fahrer den GP von Deutschland gewonnen. Die Lotus-Mechaniker-Crew legte Rindts Siegeskranz an der Unfallstelle von Jim Clark nieder, es sollte Jochens letzter Lorbeerkranz sein. Österreich wurde zur Rindt-Nation und aus der vorjährigen Begeisterung wurde fast schon eine Hysterie. Unser Idol hatte jetzt fünf Siege am Konto, davon vier direkt hintereinander und er führte dabei in der WM mit 45 Punkten, zweiter war Brabham mit 25 Zählern. Dann kommen Hulme mit 20 und Stewart mit 19 Punkten, Ickx folgte mit 10. Die Aktie Rindt war im Steigen und der WM-Titel lag zum Greifen nah. Jochen wurde zum Helden und das Siegen war im laut einem Interview „… fast schon peinlich, so einfach geht das momentan“.

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 Er war sich damals auch bewusst, dass diese Serie einmal abreißen wird. Es war dies eine Zeit, in der es nicht selbstverständlich war, viermal hintereinander ins Ziel zu kommen, schon gar nicht als Sieger. Die Ausfallsquote lag damals etwa bei circa 30 Prozent. Beim Hockenheim-GP zeigte der Ford-Cosworth-Motor in Jochens Lotus erstmals Schwächen gegenüber den leistungsstarken Ferraris von Ickx und Regazzoni.

Die nächsten beiden GP-Austragungsorte, Österreichring und Monza, galten als Hochgeschwindigkeitsstrecken und Ferrari holte sich mit Giunti einen dritten Mann ins Team. Während Colin Chapman mit Hochtouren am Turbinenwagen arbeitete, machte die Motorenschmiede Cosworth kurioserweise Betriebsferien. Für Familie Rindt standen ausnahmsweise Ferien am Terminkalender, in Ninas Heimat Finnland.


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Zwei Wochen nach Hockenheim fand am 16. August der GP von Österreich statt. Unweit der Waschrumpelpiste des Zeltweger Militärflugplatzes, wo Rindt 1964 in der Formel 1 debütierte. Auf die 24 Fahrer wartete damals eine hochmoderne mit allen Sicherheitsstandards ausgerüstete Rennstrecke. Die Organisation und Freundlichkeit des Veranstalters suchte seinesgleichen. Es sollte damals Österreichs größtes und teuerstes Sportereignis werden. 4 Millionen Schilling Investition standen 5 Millionen Einnahmen aus dem Kartenverkauf gegenüber. Die ganze Murtalregion wurde von der „Rindtmania“ erfasst. 100.000 Zuschauer, davon 20.000 Italiener, pilgerten in die kleine Gemeinde Spielberg. Die einen wegen Rindt, die anderen wegen der Ferraris. Auch der härteste Motorsportgegner konnte sich der Begeisterung rund um die Ikone Rindt nicht entziehen, er war so etwas wie ein Popstar. Die Lotus-Truppe stieg ganz „feudal“ im Werkshotel der Alpine Montan AG ab. Das Lotusteam brachte, wie Ferrari, ebenso drei Wagen in die Steiermark, obwohl sie insgesamt nur einen Reservemotor hatten. Die beiden 72er für Rindt und Miles und einen 49er für den jungen Fittipaldi. Das Motorenthema bei der Ford Cosworth-Kundschaft war eigentlich eine Komödie. Fittipaldis Motor war schon in Silverstone und Hockenheim gelaufen, Jochen hatte Triebwerk Nr. 901, mit dem er in Deutschland gewann, eingebaut. March hatte gar keinen Reservemotor usw. Insgesamt standen den Teams 11 Stunden Training zur Verfügung, wobei das Donnerstagstraining mit nur 16 Akteuren eher etwas fad war. Ken Tyrrell tauchte in der Lotus Box auf, um Chapman aufmerksam zu machen, dass bei den Wagen von Rindt und Miles die Seitenkästen um 15 mm zu breit waren. Darauf „stutzte“ die Mechaniker-Crew die Kästen über Nacht auf das erforderliche Maß. Am Freitag ging es dann ordentlich zur Sache. Jochen konnte als einziger mit einem 8-Zylinder- Motor die Ferraris in Schach halten. Er erreichte bei sommerlichen Temperaturen eine Zeit von 1:39,2 min (214 km/h Schnitt) und verwies dabei Regazzoni und Ickx auf die Plätze zwei und drei. Dann folgten Amon (March), Giunti (Ferrari) und Stewart (March). Jochens Teamkollegen konnten mit dem Steirer Hausherren nicht mithalten. Miles auf Rang 11 und Fittipaldi auf Rang 16.


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Da es am Samstag beim Abschlusstraining regnete und sich dadurch keiner mehr verbessern konnte, galten die Freitagszeiten für die Startaufstellung. Bei Rindts Wagen wurde ein Leck im Benzintank festgestellt, aber erst am Tag des Rennens behoben. Nach Trainingsende war unser Champion wieder im Dienste des ORF unterwegs. Am Lotus 49 von Fittipaldi wurde eine Kamera montiert und Jochen drehte auf der noch feuchten Piste ein paar Runden. Der Renntag erwacht langsam unter einem Nebelschleier und die Massen füllten langsam die Tribünen. Prominenz war damals auch schon im Fahrerlager anzutreffen, wie z. B. Dr. Gunther Philipp und Schlagerstar Udo Jürgens. Dieser reiste standesgemäß im weißen Mercedes 600 an. Bei der Fahrerparade wurden die Stars mit VW-Buggys und englischen Morgans um den Kurs chauffiert, Rindt winkte aus einem roten Buggy den tobenden Fans zu.


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Zur 60-Runden-Hatz wurde um 15.00 Uhr gestartet, der Rennverlauf ist aus österreichischer Sicht schnell erzählt. Rindt verschlief den Start und schied in der 21 Runde an vierter Stelle liegend aus. Auf die Frage über seinen Ausfallgrund antwortete Rindt kurz und bündig: „An Klescher hots gmocht.“ Miles hatte einen Defekt der linken (hohlen) Bremswelle und segelte in die Botanik. Ferrari fuhr mit ihren 12-Zylindermotoren zu einem verdienten Doppelsieg. Ickx gewann vor Regazzoni und machte damit Zeltweg zu einem Vorort von Italien. Stommelen belegte im 8-Zylinder-Brabham Platz drei, gefolgt von Rodriguez, Oliver, Beltoise und Giunti, alle aus der Fraktion der 12-Zylindrigen. Rindt nahm es gelassen, irgendwie wirkte er sogar erleichtert. Er wusste, dass diese Siegesserie nicht ewig anhalten kann. Als Jochen und Nina spät abends das Fahrerlager verließen, hatten sie am Fahrzeug noch eine Reifenpanne. Jochen wechselte das Rad eigenhändig.

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 Nach Zeltweg machte Familie Rindt einen kurzen Abstecher in die Schweiz, um im neu erbauten Haus nach dem Rechten zu sehen. Zeit bleibt nicht viel, denn am Samstag, den 22. August stand der „Gold Cup“ im englischen Oulton Park am Programm. Das Rennen war für Formel 1-Fahrzeuge und Formel 5000 Renner ausgeschrieben und zählte nicht zur Weltmeisterschaft. Es gewann John Surtees, im Eigenbau Surtees TS7, vor Jochen Rindt im Lotus 72. Jochen hetzte noch am selben Tag zurück in die Steiermark, wo am nächsten Tag (23. August) das Bergrennen Stainz stattfand. Mit seiner „Beagle“ ging es zuerst nach Graz Thalerhof und anschließend, spät nachts auf Achse nach Stainz. Jochens Mechaniker vom „Rindt-Racing-Team“ waren schon am Freitag vor Ort, um die beiden Rennwagen vorzubereiten. Als Fahrer des zweiten Rennwagens waren ursprünglich Dieter Quester oder Peter Peter vorgesehen, beide mussten leider zwecks anderer Verpflichtungen absagen. Das zweite Cockpit bekam damals überraschend Clive Santo, ein junger etwas blasser, unbekannter Brite, der von Jochens engstem Vertrauten und Berater, Bernie Ecclestone, gemanagt wurde. Regenwetter beherrschte den Renntag. Die Veranstalter gewährten Jochen am Renntag ein Sondertraining. Als zur Startzeit sintflutartige Regenfälle einsetzten, wurde das Rennen richtigerweise um 2 Stunden verschoben. Gewonnen hat den Regenkrimi von Stainz Klaus Reisch im Alfa-Romeo Tipo 33 mit einer Zeit von 3:31,52 min. Jochen kämpfte sich mit schlechten Regenreifen durch die Weingärten und erreichte mit 3:31,87 min den zweiten Platz. Kurt Rieder wurde im Porsche 906 mit 10 Sekunden Rückstand dritter. Viele Zuschauer wanderten witterungsbedingt schon vorher ab und konnten das Sensationsergebnis erst am Montag der Zeitung entnehmen.


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Bevor am folgenden Wochenende, 29./30. August, der Festspielpreis am Salzburgring für Formel 2-Fahrzeuge am Programm stand, entspannten sich die Rindts kurz bei Gotfrid Köchert am Traunsee. Es war bis dahin die größte, je am Salzburgring abgehaltene Veranstaltung. Fast die komplette Formel 2-Elite war vor den Toren Salzburgs vertreten, inklusive Jochen Rindt und seinem Team-Kollegen Graham Hill. Das Rennen zählte nicht zur Formel 2-EM, da am gleichen Tag im schwedischen Mantorp Park ein Europameisterschaftslauf abgehalten wurde. Jochen verzichtete auf die EM und kam seinem österreichischen Publikum zuliebe in die Festspielstadt. Da Rindt in der laufenden Saison schon vier Siege am Konto hatte, galt der „Hausherr“ als Favorit. Auch das BMW Formel 2-Team, mit neu ausgestatteten Motoren (Parallel-Ventiler), schöpfte mit Kapazundern wie Dieter Quester, Jacky Ickx und Jo Siffert aus dem Vollen. Weitere Stars, wie die „Brambilla-Brüder“, Carlos Reutemann oder Emerson Fittipaldi waren vertreten. ÖASC-Boss Willy Löwinger konnte sich, in Anbetracht dieses Starterfeldes, richtig auf die Schulter klopfen. Jochens Österreich-Pechsträhne in diesem Jahr sollte sich auch am Salzburgring fortsetzen. Im ersten Trainingslauf zogen sich die drei BMW mit ihrer Windschattentechnik auf die Ränge 1, 2, 3. Rindt hoffte auf das Nachmittagstraining, kam aber schon nach wenigen Runden zu Fuß an die Boxen zurück. Eine Treibstoffleitung war gerissen und füllte das Cockpit mit Benzin. Dadurch konnte er auch nur aus der vierten Startreihe starten, soweit hinten hatte man Rindt schon lange nicht mehr gesehen. Jochens Schwierigkeiten setzten sich beim Start zum ersten Lauf schon in der Aufwärmrunde fort. Diesmal diagnostizierte man eine kaputte Zylinderkopfdichtung. Jochen fuhr dennoch die erste Rennrunde mit stotterndem Motor zu Ende, um sich so für den zweiten Lauf zu qualifizieren. Während Jochen Rindt gemeinsam mit seinen Mechanikern am Motor schraubte, sicherte sich Ickx den Sieg im ersten Lauf. Zweiter wurde Vittorio Brambilla vor Fittipaldi, Quester und Hill wurde als vierter und fünfter klassiert. Beim zweiten Lauf musste Rindt aufgrund des Reglements als letzter starten. Jochen enttäuschte seine Fans nicht und startete eine gewaltige Aufholjagd. Nach der ersten Runde lag Quester vor Ernesto Brambilla und Ickx. Bereits an vierter Stelle tauchte Jochen mit dem grünen Lotus 69 auf. Rindt wollte allen zeigen, wer damals der Herr im europäischen „Formel 2-Zirkus“ ist und kämpfte sich bis zur vorletzten Runde auf Platz zwei vor. Aber das war dem 28-jährigen Steirer nicht genug. In der letzten Runde packte er alle Windschattentricks aus und gewann das Rennen vor Ickx, E. Brambilla, Quester, V. Brambilla und Hill. Der Siegerschnitt betrug 202 km/h und die ersten sechs waren nur durch zwei Sekunden getrennt. Gesamtsieger aus zwei Läufen wurde aber Ickx vor V. Brambilla und Quester. Jochen schien in der Gesamtsiegerliste nicht auf, da er nur einen Lauf beendete. Detail am Rande, an diesem 30. August hatte John Miles bei Testfahrten in England an seinem Lotus-Turbinenwagen einen Bremsdefekt.


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Nach dem Rennen gab es noch einen Ferientag mit Nina und Natasha in Altmünster bei den Köcherts. Piers Courage’s Witwe Sally war mit den Kindern auch dabei. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite und lud zum Wasserskifahren und Segeln ein. Trotz der guten Stimmung unter Freunden wurde Jochen doch etwas nachdenklich. Die drei Rennen in seiner Heimat hatten eben nicht den erwünschten Erfolg gebracht und jetzt kommt noch der Bremsdefekt von Miles dazu. Der Traunsee war aber nur ein Zwischenstopp und am Dienstag reiste Familie Rindt in die Schweiz, in das neue Traumhaus oberhalb des Genfer Sees. Mit Jackie Stewart und Jo Bonnier hatte Jochen prominente Nachbarn, Rennfahrerhügel nannten ergo die Einheimischen ab nun die Gegend. Stewart und Hill waren schon vor Ort, ab Mittwoch gesellte sich Bernie dazu. Wenn Bernie dabei war, standen die Geschäfte im Vordergrund: Jochen Rindt- Mode, Rennwagenausstellung, T-Shirts, Fitnesscenter und das Formel 2-Rennteam im nächsten Jahr. Die Tage mit der Familie wirkten wie ein Wunder und Jochen kehrte wieder zu seiner Fröhlichkeit zurück.


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Am Freitag, dem 4. September um 8.00 Uhr verließen Jochen, Nina und Bernie in Rindts BMW die ländliche Idylle und fuhren Richtung Monza. Ein Sieg am Sonntag würde Jochen bereits nach zehn von 13 Läufen den WM-Titel sichern. Dabei darf Jack Brabham nicht besser als fünfter werden. Kurz nach Mittag, als die drei im königlichen Park von Monza, etwa 50 Kilometer nördlich von Mailand, eintrafen, wurden gerade aus dem Lotus-Transporter die drei 72er ausgeladen. Ursprünglich war für Miles der Turbinenwagen vorgesehen, der wie schon erwähnt, mit Miles am Steuer durch einen Bremsdefekt zerstört wurde. Trainingsbeginn war um 15.00 Uhr. (1970 hatte Italien schon die Sommerzeit, war damit um eine Stunde vor Österreich.) Damals waren die Boxen etwas schneller bezogen. Ein paar Werkzeugkisten, Reifen, Stühle, Signaltafeln, Kompressor und Kühltasche, das reichte für den Anfang. Heute dauert das etwas länger, Heizdecken, Telemetrie, Computer, WLAN, Wetterradar, das Aussehen der Boxen auf den jeweiligen Sponsor abgestimmt, VIP-Lounge im Großformat … Kehren wir zurück ins Jahr 1970.

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Für Rindt wurde extra ein neues Chassis nach Monza gebracht, mit einigen Verbesserungen an der Benzinzufuhr und an den vorderen Bremsen. Ford brachte vier stärkere Motoren, je einen für Stewart, Hulme, Brabham und Jochen. Als die Wagen von Hulme und Stewart in die Boxengasse geschoben wurden, sticht Jochen sofort das Fehlen der Heckflügel ins Auge. Hulme hat in Monza 1968 und Stewart 1969 „flügellos“ gewonnen. Die Startnummer 22 für den italienischen Grand Prix klebte Jochen eigenhändig auf seinen Boliden, bevor es im Hexenkessel von Monza losging. Nach der ersten Trainingssession ist Rindt nur auf Platz 22 zu finden, 5 Sekunden hinter Ickx. Daraufhin beschlossen Rindt und Chapman den dreiteiligen Flügel zu entfernen. Der 72er sah jetzt irgendwie nackt aus, dafür war der Wagen unglaublich schnell und Jochen war begeistert. Also befahl Chapman, auch bei Miles die Flügel abzumontieren. Nach zwei Proberunden steuerte Miles an die Boxen, um den Flügel wieder zu montieren. „Der Wagen liegt unruhig und zuckt beim Bremsen“, waren seine flehenden Worte. Miles hatte mit seinen Argumenten gegenüber seinem Chef keine Chance, also fuhr auch er ohne Flügel. Nach Ende des Trainings traf sich Jochen noch mit Heinz Prüller und Helmut Zwickl, um ihnen vom schnellen Wagen und dem stärkeren Motor, der in der folgenden Nacht eingebaut wurde, vorzuschwärmen. Das Getriebe wurde höher übersetzt, laut Hewland-Diagramm lag die Höchstgeschwindigkeit bei 328 km/h. Jochen verbrachte den Abend noch mit Bernie und Giacomo Agostini bei einer Preisverleihung. Anschließend besprach er mit Bernie im „Hotel de la Ville“, zwei Kilometer südlich der Rennstrecke, noch die Taktik für das samstägliche Abschlusstraining. Bevor sich Jochen gegen Mitternacht mit Nina zurückzog, gab es noch ein Ferngespräch mit Gotfrid Köchert.


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Am Samstag, dem 5. September trafen sich John Miles und Jochen zum Frühstück und führten dabei eine ausführliche Diskussion über das Thema (hohle) Bremswellen. Kernthema war dabei der Bruch der Welle am Wagen von Miles in Zeltweg. Dieser Crash verlief deshalb glimpflich, weil damals die gewollte Verzögerung etwa von 140 km/h auf ca. 100 km/h stattfand. Was aber würde passieren, wenn bei einer Vollbremsung die Welle bricht? Jochen bleibt zuversichtlich: „… in so einer Situation stellt sich der Wagen sofort quer und verliert dadurch massiv an Geschwindigkeit …“ Nachmittags um eins verließen Nina und Jochen das Hotel, es waren noch zwei Stunden bis zum Trainingsbeginn. Das Training war für drei Stunden angesetzt. Der „Parco di Monza“ glich einem Hexenkessel. Etwa 65.000 fanatische Tifosi, angelockt durch die sensationellen Freitagszeiten der drei Ferraris, stürmten die Strecke. Nicht nur von den Tribünen, sondern auch aus den Bäumen und sogar aus den überdimensionalen Agip-Werbetafeln lugten die Italiener hervor. Es war drückend heiß an diesem Nachmittag, übrigens Regazzonis 31. Geburtstag. Als Jochen die Arena betrat, wur-den die „Ferrr-aa-ri“-Sprechchöre durch „Riii-nt“ unterbrochen. Rindt schlenderte, glücklich wie ein Held, durch die Boxengasse zu seinem Lotus. In der rechten Hand seine Ledertasche, mit der linken winkt er dem Publikum zu. Die Ferraris und Matras waren schon auf der Strecke, als er noch für die ORF-Sendung „Motorama“ über Monza, die WM und die zu erwarteten Windschattenduelle sprach. Da der Lärm am Ende der Boxenausfahrt immer lauter wurde, sagte Rindt zu ORF-Regisseur Lucky Schmidtleitner: „Bitte hör dir das an, wenn es nicht geklappt hat, wiederhole ich das ganze nochmals, wenn ich zurückkomme.“ Nina Rindt hat inzwischen ihren erhöhten Platz auf der Boxenmauer eingenommen, mit Rundentabelle und Stoppuhr. So waren damals die Rennfahrerfrauen ausgerüstet. Ein schöner graziler Anblick diese Nina. Weißer Schlapphut, ein figurbetontes Oberteil, Ledergürtel und eine gemusterte Sommerhose. Nina und Jochen führten noch eine kurze Unterhaltung. Dabei blickte er immer wieder auf das Geschehen der Strecke. Um ca. 15.00 Uhr machte er sich auf den Weg zu seinem Lotus 72, dabei traf er Pete Kerr, Jochens ehemaligen Mechaniker, damals bei March tätig. Pete war sein letzter Gesprächspartner. Es wurden noch die letzten Autogramme geschrieben. Jochen stieg, wie immer zuerst mit dem linken Fuß, in das Cockpit. Sein damaliger Mechaniker bei Lotus, Eddie Dennis, war ihm dabei behilflich. Die Uhr zeigt ca. 15:15 Uhr, als Rindt sich auf die Stecke begab. Die erste fliegende Runde absolvierte er in 1:27,59, die zweite in 1:27,24 und die dritte in 1:26,75, dabei pirschte sich Jochen immer mehr an den ebenfalls flügellosen McLaren von Denny Hulme heran. Windschattenstrategie war das große Thema in Monza. Am Beginn der vierten „fliegenden“ Runde saugte sich Rindt an Hulme heran. Durch die „Prima di Lesmo“ und kurz vor der „Seconda di Lesmo“ steckt Rindts spitze, gold-rote Schnauze unter dem Getriebe von Hulme. Beim Bergabstück, in Richtung „Curva di Serraglio“, scherte er aus dem Windschatten aus und überholte den McLaren. Jochen bremste spät und durchfuhr als erster die „Curva del Vialone“. Mit Hulme im Schlepptau raste er mit ca. 290 km/h auf die „Parabolica“ zu. Beim Anbremsen, nach einer kurzen Schlängelbewegung, scherte der Lotus urplötzlich nach links aus und krachte in die Leitschiene. Der Wagen schob sich wie ein Keil darunter und wurde in das Kiesbett zurückgeschleudert. Teile der vorderen Aufhängung blieben unter der Alukonstruktion stecken. Das Wrack kam etwa 5 Meter vom Streckenrand und etwa 5 m von den Leitschienen entfernt zu liegen. Als sich der Staub um diese gespenstische Szene legte, konnte man das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Überall lagen Teile des Lotus 72 herum und das Vorderteil fehlte komplett. Der einst stolze Rennwagen wurde auf Höhe des Armaturenbretts abgetrennt. Jochen wurde durch den Anprall so tief in das Cockpit gedrückt, dass man laut Augenzeugen nur mehr einen Fuß sehen konnte, der aus dem Vorderteil ragte. Derweil kehrte in der Boxengasse gespenstische Ruhe ein. Nacheinander kamen alle langsam aus der Parabolica zurück, stellten ihre Fahrzeuge ab und stiegen mit ernster Miene aus ihren Rennwagen. Chapman schickte Miles mit seinem Rennwagen zur Unfallstelle, um Informationen zu sammeln. Stewart informierte Nina Rindt, Bernie lief zum Unglücksort, um sich über seinen Freund zu informieren. Rasch wurde allen Beteiligten klar, dass mit Jochen Rindt, nach Rupert Hollaus (1954), Graf Berghe von Trips (1961) und Tommy Spychinger (1965) die Parabolica ein weiteres Opfer forderte. Rindt wurde zwar noch in das Ambulanzzentrum der Strecke gebracht und anschließend in die Niguarda-Klinik nach Mailand, das war aber aus heutiger Sicht nur mehr eine Alibiaktion. Rindt starb noch an der Unfallstelle, er wurde nur 28 Jahre alt.


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Als die Todesnachricht über die Fernschreiber in den Rundfunkstationen dieser Welt eintraf, wurden sofort Sendungen unterbrochen, um diese traurige Nachricht zu verbreiten. Speziell Österreich versank in eine Schockstarre. Viele, die das damals erlebten, wissen heute noch, wie, durch wem und wo sie diese Schreckensnachricht erhielten. Vergleichbar nur mit dem Kennedy-Attentat oder 9/11. Jochen Rindt wurde posthum Weltmeister der Formel 1, Nina nahm unter großer Anteilnahme die Ehrung entgegen. Jochen hatte sein Lebensziel erreicht, ohne es zu wissen.

Nina wohnt nach wie vor, in dem mit Jochen gemeinsam erbauten Haus, in der Schweiz. Deren gemeinsame Tochter Natasha ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Ninas Nähe. Natasha betreibt auch die offizielle Jochen Rindt-Webseite www.jochenrindt.com

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 Der geniale Lotus-Boss Colin Chapman starb 1982 an Herzversagen, John Miles hängte seinen Helm mit Saisonende 1970 an den Nagel, er starb 2018. Der Rennstall Lotus existiert nur mehr in den Geschichtsbüchern. Emerson Fittipaldi wurde 1972 (mit dem Lotus 72) und 1974 Formel 1-Weltmeister.

Das Unfallwrack wurde jahrelang von den italienischen Behörden verwahrt und befindet sich derzeit in einer privaten Garage am Stadtrand von Mailand.

Geblieben sind die Erinnerungen an eine ganz besonders charismatische Persönlichkeit. Der Mythos „Jochen Rindt“ lebt in allen, die ihn damals erleben durften, für immer weiter.

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