Im Kleinen liegt die wahre Größe |
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Geschrieben von Christian Spatt | |
Heft bestellen - Im Kleinen liegt die wahre Größe
Christian Spatt fuhr für uns die Moto Guzzi V85 TT Travel Es ist nicht verbürgt, aber man kann es sich wohl so vorstellen, als vor nicht allzu langer Zeit der Leiter der Abteilung Forschung/Produktdesign bei einer Besprechung in Mandello vor seinen Mitarbeitern stand und in etwa Folgendes sagte:
Was wir einmal definitiv haben, ist eine prototypische Moto Guzzi. In dem Moment, wo sie gestartet wird, hört man es. In dem Moment, wo man den Lenker umfasst, spürt man es. Der Motor mag für Puristen eine Neuentwicklung sein, er ist jedenfalls as Guzzi as can be. Wenn man die reine Zeitleiste betrachtet, dann lässt sich ebenso die Kontinuität sehen. Ohne jetzt zu sehr Legendenbildung betreiben zu wollen und ohne Insider in Mandello zu sein, 2016 wurde die Produktion der Stelvio eingestellt, 2017 wurde die V85 TT auf der EICMA präsentiert, 2019 ging sie in den Verkauf. Macht genauso Sinn, hier eine Linie zu ziehen wie bei anderen Familien aus anderen Ställen. Auf den zweiten Blick sind die Unterschiede zu den Ursprüngen dann aber doch augenscheinlich. Optisch hat man der V85 TT das meiste der Verkleidung der Stelvio abgenommen. Aus dem vollintegrierten Gesicht, vom Tank über die Frontlichter bis zum Windschild aus einem Guss wurde eine nackte Kombination Frontlicht mit Windschild, was aber nicht abwertend oder despektierlich klingen soll, sondern im Gegenteil das Auftreten noch zusätzlich schärft. Die beiden typischen nebeneinander angeordneten kreisförmigen Frontscheinwerfer sind dabei erhalten geblieben, verfeinert mit dem Adler quer über die Leuchten. Neben dem stärker akzentuierten Gesicht konnte man auf diese Weise auch einiges an Gewicht sparen, was aber dem Fahrer hinter dem gut dimensionierten Windschild in keiner Weise zum Nachteil gereicht. Die neue Nacktheit schafft auch Platz für andere optische Aufwertungen wie beispielsweise eine gut sichtbare Motorfront mit Adler. Natürlich wurde auch der gesamte Rahmen um den Motor neu konstruiert, ebenso die asymmetrische Einarmschwinge, die einen gerade geführten Auspuff ermöglicht. Wie bereits eingangs geschrieben, haben wir mit der V85 TT eine Guzzi im besten Sinn. Der Sound, die Vibrationen des Motors, das metallische Hämmern, das eine Guzzi unverwechselbar macht, die V85 TT liefert ab. Wohldosiert und in bester Tradition. Im Vergleich zur Stelvio ist das nutzbare Drehzahlband vielleicht ein wenig enger, man sollte nicht deutlich unter 3000 Touren kommen, sonst wird das Hämmern etwas unangenehm, aber das ist kein wirkliches Problem. Was, wie bei allen Guzzis, wesentlich zur Fahrkultur beiträgt, ist der übliche Kardan-Antrieb. Ist das Wort Tradition schon gefallen?
Das Fahrverhalten ist einer Straßenenduro absolut würdig, beweglich, leichtgängig, man hat nicht das Gefühl, man sei am Anschlag. Klar, mit den Großen mit 1200 ccm+ kommt man nicht ganz mit. Ebenso hervorragend ist die Sitzposition des Fahrers. Mit über 1,80 m eher schon am oberen Rand des Spektrums gibt’s kein Problem, dass der Kniewinkel zu klein wäre, und auch mit den Beinen nach unten ist ausreichend Luft im Sinn, dass auch deutlich kleinere Fahrer problemlos den Boden erreichen. Wir konnten die heuer erschienene V85 TT Travel testen, die mit zwei Sidecases, Zusatzscheinwerfern, Heizgriffen und einem höheren Windschild ausgeliefert wird. Die Zusatzausstattung verursacht im täglichen Gebrauch keine spürbaren Einschränkungen vom Handling der Maschine her, es ist aber in Zeiten wie diesen zu hinterfragen, ob die zwei kleinen Seitenkoffer nicht unpraktischer sind, als ein größeres Topcase es wäre. Einerseits ist das Topcase immer einfacher zu beladen, andererseits, das Notebook, das in die Seitenkoffer nicht mehr reinpasst, geht sich im Topcase doch noch aus. Aber das ist subjektiv und natürlich abhängig vom jeweiligen Hauptverwendungszweck. Seitenkoffer sind im Gegensatz zu einem Topcase ja auch leichter abnehmbar. Auch etwas, was durchaus ein Argument sein kann. Und das Topcase kann ja auch erworben werden. Ein absolutes Plus ist die Reichweite. Es sind mit einer Tankfüllung Kilometerleistungen von 350 bis 450 km möglich, bei reiner Überlandfahrt und entsprechend gemütlicher, vorausschauender Fahrweise vielleicht sogar knapp der 500er ankratzbar. Für eine genauere Einschätzung fehlten uns aber Zeit und Möglichkeit des Tests (auch wetterbedingt). |
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