Tatra |
Geschrieben von Ernst L. Bieber | |
Heft bestellen - Tatra 155 Jahre Fahrzeugbau in Nesselsdorf/Kopřivnice. Die Geschichte von Schustala, Nesselsdorfer Wagenbau und Tatra. Text: Ernst L. Bieber 1. Die frühen Jahre 1822 erblickte im nordmährischen Nesselsdorf Ignaz Schustala das Licht der Welt. Er erlernte das Handwerk des Sattlers und Wagenbauers und ließ sich auch als Lackierer ausbilden. Nach ausgedehnten Wanderjahren, in denen er sein Können perfektionierte, begann er schließlich 1850 in seinem Heimatort in einer Schmiede mit dem Bau eigener Kutschen und Pferdewagen. Seine Erzeugnisse hatten rasch den Ruf guter Qualität. Er sah sich gezwungen zu expandieren. Der Fabrikant Adolf Raschka griff ihm dabei finanziell unter die Arme. Die 1853 gegründete „Ignaz Schustala & Co” florierte und wuchs schnell. Der Export der Kutschen, vorwiegend „Neutitscheinkas”, aber auch Luxus- und große Reisewagen, später auch Nutzfahrzeuge und Postwagen nach Russland, Galizien, in das preußische Nachbarland aber auch nach Übersee führte zu einem Vertriebslager in Galizien und zu Filialen und Zweigwerken in Ratibor, Breslau, Wien, Prag, Berlin, Czernowitz und in Kiew. Die enorme geographische Ausweitung des „Inlandmarktes” nach Bildung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie 1867 war da sicherlich auch ein großer Katalysator. Die expansiven Bestrebungen des Hugo Fischer von Röslerstamm brachten 1885 ein Zerwürfnis mit der Familie Schustala, sodass schon vor Beginn der automobilen Produktion 1897 die Gründerfamilie keinen Anteil mehr an dem Unternehmen hatte. 2. Der Start in die neue Ära und der unvermeidliche Rückschlag Vermutlich hätte die „Nesselsdorfer Wagenbau- Fabriks-Gesellschaft” sich ohnehin irgendwann mit dem Automobilbau beschäftigt, doch dass dies bereit 1897 geschah, hängt mit dem Reichenberger Textilmagnaten Baron Theodor von Liebieg zusammen, der schon sehr früh diesem revolutionären Fortbewegungsmittel verfiel. Bereits 1893 kaufte er sich bei Carl Benz in Mannheim einen der ersten 3 PS „Victoria” Wagen und unternahm damit weitläufige Reisen durch Europa. 1895 brachte Graf Gustav Pötting-Persing, ein reicher Industrieller mit großen Besitztümern in Böhmen, Besitzer eines Benz „Comfortabel”, nebenbei das zweite Automobil in der Hauptstadt Wien, seinen Freund von Liebieg mit Fischer von Röslerstamm zusammen. Der Funke flog über und keine zwei Jahre später schickte von Röslerstamm einen seiner Angestellten, Franz Cahel, nach Mannheim, um dort einen der Benzwagen samt einen der neuentwickelten Benzschen zweizylindrigen Contra- Motoren zu kaufen. Dieser Wagen, der „Instruktor”, diente als Studienmodell und ersparte viel Versuchsarbeit. Angereichert mit vielen eigenen Ideen entstand in Nesselsdorf so das erste Automobil, der „Präsident”. Die Karosserie war angelehnt an eine Kalesche vom Typ Mylord, der Contra-Motor wurde mit einer Tropfschmierung verfeinert. 1898 war nicht nur das Jahr des Gründung des Ö.A.C., des Österreichischen Automobil Clubs (aus dem der heutige ÖAMTC hervorging), sondern auch das Jahr des 50-jährigen Regierungs-Jubiläums Kaiser Franz Josefs. Aus diesem Grunde plante der Ö.A.C. (mit Graf Pötting-Persing als Präsident und unter anderen Baron Liebig im Direktorium und Fischer von Röslerstamm im Vorstand) eine Jubiläumsausstellung der Erzeugnisse österreichischer Automobilbauer, an der freilich nur ganze vier Kraftwagen beteiligt waren: zwei Fahrzeuge von Lohner & Cie (darunter ein Elektrowagen, an dessen Entwicklung Ferdinand Porsche Anteil hatte), der Marcuswagen und der Nesselsdorfer „Präsident”. So kam es zur der denkwürdigen Fahrt vom 21. und 22. Mai des Präsidenten von Nesselsdorf nach Wien, über 328 km in 14,5 Stunden wirklicher, annähernd störungsfreier Fahrzeit. Der Wagen wurde dem Ö.A.C. als Schulungswagen überantwortet und später nach dem ersten Weltkrieg an das Werk retourniert. Heute steht er im Technischen Museum in Prag, eine Replik ist im Tatra-Museum im heutigen Koprivnice zu besichtigen. Gestützt durch die Erfahrung mit dem „Präsidenten” folgten bis zur Jahrhundertwende 10 weitere dergestaltige Kraftwagen. Für diese Fahrzeuge konstruierte der junge Ledwinka das Getriebe und Antrieb um, an denen die Ingenieure Rumpler und Sage gescheitert waren und deshalb aus dem Betrieb ausschieden. Mit diesen Wagen, jeder anders benannt, wurden einige beachtliche sportliche Erfolge erzielt. Ende 1902 verließ der inzwischen zum Ingenieur avancierte Ledwinka nach seiner für ihn technisch nicht sonderlich befriedigenden Mitarbeit an den Modellen Typ A und Typ B Nesselsdorf. Der Grund seines Ausscheidens dürfte auch in den für ihn spürbaren Auswirkungen des beginnenden finanziellen Engpasses des Werkes zu sehen sein, das sich bei der Expansion der Waggonerzeugung ein wenig übernommen zu haben schien. Der Automobilbau in Nesselsdorf rückte immer weiter in den Hintergrund und wurde fast zum Stiefkind des Unternehmens. Einige Entwicklungen erwiesen sich zudem als nicht wirklich zielführend, und so ereilte Ledwinka bereits Ende 1905 wieder der Ruf Fischer von Röslerstamms. Ledwinka hatte mittlerweile bei der Firma Friedmann in Wien Erfahrungen bei der Entwicklung eines Dampfwagens gesammelt. Auch hatte er mit Interesse den Bau eines Kleinwagens bei Carl Gräf verfolgt, eines Wagens mit Vorderradantrieb und neuartigem Dreiganggetriebe. Kurzum, er hatte sich, wo es nur ging, Wissen über den Automobilbau gesammelt. 3. Aufschwung durch Innovation und 1. Weltkrieg Hans Ledwinka als neuer Leiter des Automobilbaus stand unter der Erwartungshaltung der Firmenleitung, das gesunkene Niveau der Kraftfahrzeugproduktion wieder auf ein zumindest konkurrenzfähiges Maß zu heben. Keine geringe Aufgabe. Der Neutitscheiner Hutfabrikant Fritz Hückel versteifte sich auf die Weiterentwicklung dieses Motors auf sechs Zylinder. Da diese Entwicklung im Nesselsdorfer Werk nicht unterzubringen war - die Werksleitung hätte nie ihre Zustimmung dazu gegeben - ließ er die speziellen Bauteile nach Ledwinkas Plänen in anderen Motorenbetrieben fertigen. Der solcherart erstarkte Wagen lief sensationell, Hückel zeigte dem ahnungslosen Generaldirektor seine Errungenschaft und der war schnell mit der Produktionsaufnahme einverstanden. Die ab 1910 nun erhältlichen S 6 befanden sich leistungsmäßig gegenüber den damaligen Mitbewerbern auf einem Spitzenplatz. Ab 1914 waren sie auch serienmäßig mit Vierradbremsen ausgerüstet. Versuche der Entwicklung von Schiebermotoren und eines Dieselmotors blieben nicht befriedigend. Die Weiterentwicklung des Motors Typ S mit dem in einem Block gegossenen Zylindern wurden sowohl in die Personenwagentypen S und T als auch in den Lastwagen eingesetzt, die vor dem ersten Weltkrieg einen nicht unerheblichen Anteil an der Nesselsdorfer Produktion hielten. Der erste Weltkrieg kurbelte zwar den Automobilbau in unerwarteter Weise an, Generaldirektor Erhard Köbel, der dem 1913 nach einem langen Streik unter den Arbeitern zurückgetretenen Fischer von Röslerstamm nachfolgte, weigerte sich aber eigensinnigerweise, die Produktionsstätten zu erweitern. Ledwinka fühlte sich in seinem Wirken eingeengt und wechselte 1916 zu den Steyr-Werken. Als Folge des ersten Weltkriegs wandelte sich die Landkarte Europas, die Tschechoslowakische Republik wurde im Oktober 1918 in Prag und Washington proklamiert, Nesselsdorf hieß jetzt offiziell Kop?rivnice. 4. Die Revolution: Zentralrohrrahmen, Schwingachsen und Luftkühlung Nach Ende des ersten Weltkrieges erzeugte das Werk, das nun als „Kop?rivnická vozovka as” firmierte, nach wie vor Vorkriegstypen (den Typ U mit der Monoblock- Version des sechszylindrigen Typ S Motors), bei denen abzusehen war, wann sie als restlos veraltet gelten würden. Es fehlten Impulse zu neuen Ideen, und Generaldirektor Pasching kontaktierte den in Steyr wirkenden Ledwinka. Oder aber dieser, der den Kontakt ins Werk nie wirklich hatte abreißen lassen, kontaktierte Pasching. Jedenfalls trat Ledwinka 1921 ein drittes Mal in Nesselsdorfer Dienste, er wurde Chefkonstrukteur und Technischer Direktor. Er brachte seine Überlegungen zu einem Kleinwagen mit, das robust für schlechte Straßen sein sollte, zugleich sparsam und im Preis erschwinglich. Die Wirtschaft der jungen Tschechoslowakei entwickelte sich durch isolatorische Tendenzen gegenüber den Nachbarländern nicht wirklich rosig, staatliche Subventionen sollten den Unternehmen gegen Schutzzölle und Außenhandelsbeschränkungen helfen. Als 1922 das tschechoslowakische Eisenbahnministerium seine Aufträge drastisch reduzierte, war Feuer am Dach des im Wesentlichen auf Waggonbau ausgerichteten Nesselsdorfer Unternehmens. Eine Fusion mit der ebenfalls im Waggongeschäft tätigen Ringhoffer AG in Prag sollte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu meistern helfen. 1923 entstand so die Ringhoffer-Tatra AG, das Nesselsdorfer Unternehmen erhielt den Namen „Tatra-Werke”. Die Hohe Tatra war seit jeher das Ziel der Erprobungsfahrten der Nesselsdorfer Wagen und diente nun als Namensgeber der neuen Gesellschaft. In Wien gab es aus steuertechnischen Gründen (zur Umgehung der hohen Einfuhrzölle) seit 1921 einen gesonderten Karosseriebau, der parallel zur Produktionsaufnahme 1923 in Kop?rivnice die Erzeugung von Typ 11-Karosserien anlief. 1924 eröffnete die Filiale „Auto-Tatra GmbH” in Warschau und begann ein Jahr später mit der Auslieferung des Typ 11. Im selben Jahr, 1925, entstand in Frankfurt die Firma „Detra” (aus „Deutsch” und „Tatra”), für eine kurze Zeit auch „Delta” genannt (Deutsche Licenz Tatra Automobile), die Wagen der Type 11 montierte. Auch in Ungarn wurden Tatra Typ 11 als „Unitas” montiert. Man sieht, der Wagen erfreute sich enormer Beliebtheit. Der nahezu unveränderte, nur in einigen Details verbesserte Typ 12 folgte 1926 und blieb bis 1934 in Produktion. Von den Typen 11 und 12 wurden in 11 Jahren insgesamt 10.890 Fahrzeuge hergestellt. Ebenfalls 1926 kam, nach dem gleichen Prinzip konstruiert, das „Tatra-Mittelklassemodell”, der Typ 30 auf den Markt. Dieser Typ hatte einen nach demselben Prinzip konstruierten Vierzylinder-Motor. Diesem Wagen folgte 1930 als Nachfolger der Typ 52 mit einem auf 30 PS erstarkten Motor, der schon im Zwischentyp 30/52 erprobt worden war. Zusätzlich gab es noch eine modifizierte Vorderachse und hydraulische Bremsen. Der 1931 vorgestellte Typ 54 zeigte auch dieses Strickmuster, war jedoch etwas preiswerter. Während die wirtschaftlichen Probleme in der tschechoslowakischen Automobilindustrie, vor allem bei dem weitaus größere Prager Industrieunternehmen Praga CKS (Cescomoravska-Kolben-Danék), kurz Praga, und bei Skoda, wo seit 1925 Autos gebaut wurden, in Zusammenschlussbestrebungen gipfelte, erkannte Ledwinka die prekäre Lage rechtzeitig. Er reagierte mit der Entwicklung eines einfach herzustellenden Volks-Wagens, der den Auswirkungen der Krisenstimmung der tschechischen Wirtschaft auf den Alltag Rechnung trug: Der Typ 57, im Volksmund als „Hadimirska” bekannt, war eine direkte Weiterentwicklung des ersten kleinen Tatra. Der Kühlluftventilator war nun vorne angeordnet, die vier Zylinder des Boxermotors leisteten zuverlässige 18 PS bei nur 1155 cm3 Hubraum. Ledwinkas fähiger Ingenieur Erich Übelacker hatte die vordere Achse als Parallelogrammachse mit zwei Querblattfedern konstruiert, und auch seine moderne Zahnstangenlenkung war nun den schlechten Straßen viel besser gewachsen. Der T57 erschien 1931 und wurde ein richtiger beliebter „Volkswagen” im wahrsten Sinne des Wortes. Schon nach drei Monaten waren die ersten tausend Fahrzeuge verkauft. Über Detra in Frankfurt kam es zu einem Lizenzvertrag mit der Neue Röhr AG, 1933 wurde der Röhr Junior mit dem modifizierten Tatra-Aggregat des T57 auf der Berliner Automobil-Ausstellung vorgestellt. Die Röhr AG verkaufte schließlich von dieser Produktionsreihe mehr Fahrzeuge, als alle zuvor gebauten Röhr zusammen. Nach dem Konkurs von Röhr gelangte die Verfügungsgewalt dieser Lizenz an die Stettiner Stoewer-Werke, auch sie hatten mit dem luftgekühlten Stoewer Greif die stärkste ihrer Produktionsreihen. Erst 1949 und zwei Überarbeitungen später wurde die erfolgreiche 57er Typenreihe mit dem Produktionsende des T57 b eingestellt. In Österreich kam es Mitte der 30er Jahre zur Firmengründung von Austro-Tatra, das in den Anfängen ein reines Assemblingwerk war. Die neu entstandene Firma nutzte 1936 die damalige politische Situation und erlangte so vom tschechischen Stammhaus alle in Österreich befindlichen Besitztümer. Die Produktionsstätten des Austro-Tatra-Werks befanden sich in Wien/Simmering, nach betrieblichen Erweiterungen konnten dort nach der Karosseriefertigung auch die mechanischen Teile wie Motor und Getriebe produziert werden. Importfahrzeuge wurden in Österreich damals mit einem vierzigprozentigen Schutzzoll belegt. Die Austro-Tatras Typ 57 hatten nun ab 1937 einen fast hundertprozentig österreichischen Wertschöpfungsfaktor und so konnte auch der Kaufpreis um 40 % gesenkt werden. 5. Pioniere der Stromlinie und zweiter Weltkrieg Hans Ledwinka aber hatte - während er Ing. Übelacker noch die Konstruktion des T75, einem sehr erfolgreichen Mittelklasse- Tatra durchführen ließ - noch eine Idee im Hinterkopf: den Motor hinten einzubauen, auf diese Weise die Antriebswelle zu eliminieren und damit auch die Geräuschentwicklung und Motorgestank hinter die Passagiere zu verlagern. Gleichzeitig würde dadurch mehr nutzbarer Platz zwischen den Achsen entstehen. Die Ideen über die Verwendung von Heckmotoren, Luftkühlung, verwindungssteifen Rahmen, Passagierzellen zwischen den Achsen und besonders die Stromlinie waren zu dieser Zeit keine wirklich neuen und beschäftigten die Konstrukteure weltweit. Bezügliche der Stromlinie sind hier besonders die Arbeiten und Patente von Paul Jaray oder Reinhard von Koenig- Fachsenfeld zu erwähnen. Doch Ledwinka war der erste, der alle diese Attribute gemeinsam in einem Serienwagen verwirklichte. Nach konkreten Versuchen ab 1931 und dem Prototyp V570 im Jahre 1933 (immer dabei Ing. Übelacker und auch Ledwinkas Sohn Erich) konnte er schließlich 1934 den T77 der Öffentlichkeit vorstellen. Mit einem Radstand von 3700 mm und einer Gesamtlänge von 5,2 m nicht gerade klein geraten, zeigte der sowohl auffallend wie aerodynamisch geformte T77 in Verbindung mit den 44,1 KW/60 PS des luftgekühlten V8-Motors (Hubrum 2973 cm3) ganz erstaunliche Fahrleistungen: Die Höchstgeschwindigkeit betrug unglaubliche 150 km/h. Die Mittellenkung der Vorserienfahrzeuge (Fahrer zwischen den Beifahrern) war bald wieder nach rechts verlegt. Die Formgebung des Hecks, erbrachte neben geringer Verwirbelung erst nach mehreren Versuchen auch eine akzeptable Motorkühlung. Die Sicht des Fahrers nach hinten war hingegen bis Produktionsende 1938 suboptimal. Doch der Lenker hatte wegen der ungewohnten Motoranordnung und dem hinten liegenden Schwerpunkt ohnehin ganz andere Probleme: Der Wagen erreichte sehr hohe Geschwindigkeiten und mit dem etwas kapriziösen Fahrverhalten neigte er dann leicht zum Übersteuern, der Blick nach vorne war in solchen Situationen eindeutig wichtiger. Die Lösung fand Ledwinka mit dem ab 1936 gebauten T87. Die bereits in einem Windkanal entwickelte, nun selbsttragende Stahlkarosserie war im Produktionsaufwand weitaus günstiger. Der neukonstruierte V8 Motor wies nun eine 5fach gelagerte Kurbelwelle auf, der Hubraum wurde auf 2968 cm3 verkleinert und besaß im Gegensatz zu seinem Vorgänger bereits zwei obenliegende Nockenwellen. Der Motor war rund 100 kg leichter als der des Vorgängers und der T 87 wog nur mehr 1390 kg, erreichte mit seinen 55KW/75 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h bei einem Durchschnittsverbrauch von 12 l Kraftstoff und 0,25l Öl auf 100 km. Die Kühlung erfolgte durch zwei über Keilriemen angetriebene seitliche Ventilatoren und mit der Verlegung der Kühllufteinlässe an die Seite wurden auch die thermischen Probleme des Vorgängers gelöst. Bis 1950 wurden 3023 Tatra 87 gebaut. Parallel zum neuen T87 war auch der etwas kleinere T97 entwickelt worden. Mit seinem neu entwickelten luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotor mit 1800 cm3 konnte man ihn durchaus als „Mittelklasse- Stromlinienwagen” bezeichnen. Seine Spitzengeschwindigkeit betrug respektable 130 km/h. Das Jahr 1938 veränderte jedoch alles: Spätestens nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war die Stimmung zwischen der tschechoslowakischen Bevölkerung und den Sudetendeutschen im Lande am Nullpunkt. Nach Übelacker, der bei den Steyrwerken als Chefkonstrukteur engagiert wurde, setzten sich mehr und mehr österreichische Ingenieure ab. Ledwinka blieb dennoch, wurde aber auf Druck der Militärbehörden seines Amtes enthoben und beurlaubt. Die im Münchner Abkommen festgehaltene Abtretung der Sudetengebiete von der Tschechoslowakei und deren Angliederung an Deutschland brachte für das Tatra- Werk eine eigenartige Situation. Die Trennlinie der als deutsch deklarierten Landstriche zur restlichen Tschechoslowakei verlief genau durch das Werksgelände. Solcherart teilbesetzt kam die Produktion zum Erliegen. Ledwinka eilte ins Werk zurück und übernahm sofort die Führung. Es galt zu retten, was zu retten war und die Produktion wieder aufzunehmen. Ungezählte Fäden wurden gesponnen und Verhandlungen geführt. Schließlich gelang es, die Grenze im Sinne von Tatra zu verschieben. Der Betrieb musste sich allerdings verpflichten, im Gegenzug die gegen VW beim Haager Schiedsgericht eingebrachte Klage wegen Patentrechtsverletzungen bei der Konstruktion von Porsches Volkswagen zurückzunehmen. Ende November 1938 kam diese Grenzberichtigung zustande und die Ortsschilder trugen erneut den Namen Nesselsdorf. „Die Tatra-Werke wurden Deutsch” schrieb die Propaganda, obwohl die tschechoslowakische Ringhoffer-Tatra AG in Prag nach wie vor Eigentümer war. Im März 1939 liquidierte Hitler die Souveränität der Tschechoslowakei. Der von Hermann Göring unterzeichnete „Schell- Plan” beinhaltete zur Produktionssteigerung und Typenbeschränkung der deutschen Automobilindustrie auch für Tatra einschneidende Richtlinien. Tatra hatte sich auf Fahrzeuge der Hubräume zwischen 2 und 3 Liter zu beschränken. Somit war das Urteil über die kleinen Tatra-Typen gesprochen, die Produktion der erst im Vorjahr vom erfolgreichen T57 a zum Typ 57b verbesserten Wagen musste beendet werden. Auch die Produktion der kleinen Stromlinie T97, die komfort- und leistungsmäßig und eine überlegene Alternative zum Volkswagen dargestellt hätte, war nach nur 510 hergestellten Fahrzeugen somit eingestellt. Es verblieb nur noch der T87 in Personenwagenproduktion. Eine ähnliche Verordnung hingegen sicherte Tatra die Produktion schwerer Lastkraftwagen, die auch schon vor 1938 den Schwerpunkt im Kraftwagenbau gebildet haben. Aber da auch Bedarf an leichten Kübelwagen gegeben war, gelang es Ledwinka die stillgelegten Fertigungsanlagen des T57 b wieder zur Produktion des 1940 entwickelten T57 K in Betrieb zu setzen. Während sich Erich Ledwinka, der seit Kriegsausbruch die Konstruktions- und Entwicklungsabteilung geleitet hatte, in den letzten Kriegsmonaten noch zu seiner schon früher evakuierten Familie nach Bayern absetzen konnte (und der dann bei Steyr viel später für die Entwicklung des Puchautos, des Haflinger und des Pinzgauer verantwortlich war; aber das ist eine ganz andere Geschichte), blieb Hans Ledwinka gesundheitlich angeschlagen zurück und wurde prompt von den tschechischen Revolutionsgarden verhaftet. Der Mithilfe zur Stärkung der Deutschen Wehrmacht angeklagt wurde er erst 1951 schwer gezeichnet aus der Haft entlassen. 6. Feudal in Zeiten des Sozialismus, Nesselsdorf hieß wieder Kop?rivnice, die im Krieg nicht in Mitleidenschaft gezogenen Tatra-Werke wurden, wie alle Autofirmen verstaatlicht, die neuen Regierungsorgane legten großen Wert auf sofortige Wiederaufnahme der Produktion. Der Plan sah die Produktion der Personenwagen der Type 57 b und der Lastwagen Type 111 (mit 12-Zylinder-Motor und 10 t Nutzlast) vor. Tatsächlich baute das Werk auch in beschränkter Zahl das Stromlinienmodell T87 bis 1950 weiter. Wegen der begrenzten Absatzmöglichkeiten für große Personenkraftwagen konzentrierte man sich auf die Entwicklung eines Mittelklassewagens. Diese Bestrebungen gipfelten 1947 schließlich im T600, der mit seinem luftgekühlten vierzylindrigen Boxermotor mit 2 Litern Hubraum und 38 KW/52 PS auch im Ausland seine Abnehmer fand. Bis 1959 wurde er in Kop_ivnice gebaut, danach wurde die Fertigung zu Skoda nach Mlada Boleslav (Jung Bunzlau) verlegt, vornehmlich, um in Kop?rivnice die Lastwagenfertigung (T 128 und T 805) zu forcieren. Planwirtschaft macht es möglich. Die Fertigungsmoral bei Skoda war aber derart niedrig, dass die Reklamationsflut schließlich 1952 zum Produktionsende führte. Trotz der abgezogenen Produktion von Personenwagen arbeitete man in Kop?rivnice dennoch weiter an der Entwicklung eines großen Motors. Der im T805 verwendete neue 2,6 Liter Achtzylindermotor wurde von Chefingenieur Julius Mackerle weiterentwickelt, mit einer Ejektorkühlung versehen und, in Monopostos eingebaut, erreichte er in Wettbewerben sensationelle Erfolge. Bestärkt durch die Erfolge dieses Triebwerkes und in Erinnerung der vor langer Zeit eingeschlagenen Richtung, luftgekühlte Achtzylinder-Heckmotorwagen mit pontonförmigen, windschlüpfrigen Aufbauten zu verbinden, präsentierte Tatra 1955 schließlich den Prototyp zu einem neuen, sechssitzigen Reisewagen. Der von Mackerle und seinen Mitarbeitern entwickelte Typ 603 ging als Repräsentationslimousine schließlich ab 1957 in Serie, anfangs verließen nur zwei Wagen pro Tag das Werk. Sportliche Erfolge im Inund Ausland waren zwar vielbeachtet, aber der erhoffte Verkaufserfolg im We- sten blieb aus. So blieb der T603 in erster Linie Funktionären und Begüterten vorbehalten, wenngleich die Farbgebung neben dem sattsam bekannten schwarz durchaus auch andere Farbtöne kannte: knallrot, grün, beige, weiß (Fidel Castro soll noch so einen haben, mit Klimaanlage), ja sogar türkis und lila sind überliefert. Mit 95, später 105 PS aus zweieinhalb Litern Hubraum brachte der T603 auch in der zivilen Version beachtliche Fahrleistungen auf die Straße, erste ab 1969 halfen Scheibenbremsen bei der Verzögerung. In der bis 1975 dauernden Bauzeit kam es mehrfach zu Retuschen an Karosserie und Technik, oft wurden auch die frühen Baujahre mit neuen Karosserien versehen und verjüngt, wenn die Zuteilung eines neuen Modells noch nicht im Plan war. Heute ist gerade der T 603 das, was man mit Fug und Recht als „Einstiegsdroge” für den so raren Nachwuchs unter den Veteranenliebhabern nennen kann. 1973 erscheint das Nachfolgemodell T613. Der italienische Karosseur Vignale war mit der Formgebung beauftragt. Der gut 5 m lange Wagen zeichnet sich durch gerade kantige Linien und eine langgezogene Fahrgastzelle aus. Der Hubraum des nach wie vor luftgekühlten V8 stieg auf 3,5, später sogar auf 4,3 Liter. Der Export des in 11.000 Exemplaren gebauten T 613 erfolgte, ebenso wie der seines Vorgängers Typ 603, fast ausschließlich in die sozialistischen Bruderländer, im Westen blieben diese Tatras nahezu unbekannt. 7. Die Wende zum Untergang? Die Wende und die damit verbundene Marktöffnung brachte Tatra durch den nun spürbaren Gegenwind des Mitbewerbs in finanzielle Schwierigkeiten. Die Personenwagenproduktion wurde 1998, in Ermangelung ausreichender Nachfrage mit dem neuen T700 (weiterhin V8 mit Luftkühlung) nach 101 Jahren eingestellt. Zu hohe Kosten in der Fertigung standen nicht marktgerechten Produkten gegenüber. Ohne Features wie geregelten Kat oder Airbags fanden nur sehr wenige Fahrzeuge Abnehmer, die für gleiches Geld immerhin Sternfahrzeuge der S-Klasse bekommen konnten. Die Aktienmehrheit von Tatra wurde schließlich 2002 vom amerikanischen Konsortium SDC und Terex aufgekauft, das auf die von den Irakern im erste Golfkrieg eingesetzten Tatra LKWs und ihre, durch das bewährte Prinzip des Zentralrohres und der gelenklosen Pendelachsen garantierte enorme Geländetauglichkeit aufmerksam geworden war. Die den Investoren wie üblich abgerungenen Fristen bezüglich Beschäftigungsgarantie sind nun schon länger abgelaufen. Der Personalstand von ehemals 12.000 beträgt derzeit nur mehr 2.500 Mitarbeiter, die Produktionszahlen von jährlich 15.000 LKW in den Achtzigern sanken auf 2000 Einheiten. Schön langsam werden die Fertigungsstraßen nach und nach demontiert und verbracht. Motore werden bereits seit längerem zugekauft, gleiches gilt auch für Getriebe und Antriebe. In Indien, einem der letzten Großabnehmer für Tatra-Militärlastwagen, ist eine eigene, von Tatra unabhängige Fertigungsanlage im Entstehen. Einige Idealisten versuchen noch regelmäßig, die Marke in Wüstenrennen wie Paris-Dakar hochzuhalten, auch im Trialsport sind die schweren Lastwagen sehr beliebt. Vor wenigen Wochen wurde ein Buggy mit luftgekühltem Tatramotor (einem auf 6 Zylinder kupierten Motor des T613) italienischer Meister im Rallye- Cross Division 3. Noch ist die Marke nicht tot, und wie die Geschichte zeigt, hat sich Tatra von Grenzverschiebungen und Regierungswechseln nie wirklich unterkriegen lassen. Wer weiß, vielleicht, wie Phönix aus der Asche...? |