Phönix aus der Asche
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

Heft bestellen - Mercedes Benz 300 SL

Von der Notlösung zum Supersportwagen.
Wolfgang M. Buchta verfällt der Faszination des Mercedes 300 SL, Ulli Buchta hat dabei photographiert und im Archiv gesucht.

ImageMai 1945 - nach mehr als fünf Jahren war der verlustreichste Krieg der Menschheitsgeschichte - zumindest in Europa - zu Ende und der "alte Kontinent" von der Nazi-Diktatur befreit. Ob das Kriegsende allerdings von allen so richtig als Befreiung empfunden wurde, ist fraglich.
Weite Teile Deutschlands lagen "in Schutt und Asche" und dann gab es Gebiete, wo die Sache mit "Schutt und Asche" besonders wörtlich zu nehmen war. Eines dieser Gebiete war Stuttgart, oder genauer gesagt das Daimler-Benz Werk in Untertürkheim. Im Krieg war Daimler-Benz einer der größten Lieferanten von Rüstungsgütern - LKW, Panzer, Flugmotore,.. waren in gewaltigen Stückzahl gefertigt worden und daher waren die Fabriken ein bevorzugtes Ziel alliierter Bomberverbände gewesen. Das Resultat: Das Werk Untertürkheim war bei Kriegsende zu 80% zerstört. Die Daimler-Benz AG, die 1926 aus der Fusion der beiden Pionierfirmen Daimler und Benz entstanden war, war vor dem Krieg zwar nicht der (nach Stückzahlen) größte Automobilhersteller Deutschlands - diese Ehre gebührte Opel - baute vielleicht auch nicht die prestigeträchtigsten Autos - diese Ehre gebührte wohl Maybach - aber in Summe war es der angesehenste Hersteller, der neben PKW auch Nutzfahrzeuge und Flugmotore im Programm hatte.

ImageDas Ende oder ein neuer Anfang? Jetzt, keine 10 Jahre später, stand die Firma vor dem Aus. Nicht nur die unmittelbaren Zerstörungen bedrohten die Existenz, sondern die Zukunft der ganzen Automobilproduktion war ungewiss. Da hatte doch ein Herr Morgenthau in Amerika höchst bedrohliche Ideen gehabt.1 Auf jeden Fall hätten die meisten Menschen nur geringe Summen darauf gesetzt, dass Mercedes jemals wieder zur alten Größe aufsteigen würde, und alle "vernünftigen" Mitarbeiter von Daimler-Benz hatten wohl einen "Plan B", womit sie ihre Brötchens verdienen würden, wenn die Firma endgültig zugesperrt würde.
Die Anfänge waren auch wirklich bescheiden. In Untertürkheim waren Aufräumarbeiten angesagt und kleine Beträge kamen durch Reparaturarbeiten an alliierten Fahrzeugen in die Kassa. Der stolze Autobauer war zu einer Reparaturwerkstätte degradiert.
Ganz zaghaft wurde in Untertürkheim wieder die Produktion des Vorkriegsmodells Mercedes 170 begonnen. Im Jahre 1947 - also ganze zwei Jahre nach Kriegsende - wurden 381 Wagen ausgeliefert, das waren weniger als zwei Autos pro Arbeitstag.
Noch zaghafter begann mit einigen Bergrennen Anfang der 50er Jahre der Motorsport in Deutschland. Im Ausland waren die Deutschen noch die "Paria", die bei internationalen Veranstaltungen nicht verloren hatten.
Der Vordenker des Motorsports bei Mercedes war der geborene Österreich Alfred Neubauer. Es gelang Neubauer die Geschäftsleitung zu überreden, zwei überarbeitete W 154 Rennwagen aus der Vorkriegszeit zu zwei Rennen nach Argentinien schicken zu dürfen. Als Fahrer konnte er Lokalmatador Juan Manuel Fangio verpflichten. Die Resultate waren bescheiden, die Vorkriegsrennwagen waren ganz einfach veraltet. Eine Neuentwicklung eines Rennwagen kam nicht in Frage, stattdessen wurden Einsätze bei Sportwagenrennen in Betracht gezogen...
In den Jahren 1948 bis 1950 begann sich die Lage in Untertürkheim allmählich zu normalisieren. Die Schuttberge wurden kleiner und die Produktionszahlen wurden größer.

ImageNicht von schlechten Eltern. 1951 feierte die Marke Mercedes ihren 50. Geburtstag und damit es auch wirklich Grund zum Feiern gab, präsentierte Mercedes auf der ersten IAA in Frankfurt gleich zwei neue Modelle - den Mercedes 220 und den Star der Ausstellung, den Mercedes 300. Der Mercedes 300 (Baureihe W 186 I) war eine klassische Limousine in bester Tradition. Auf einem massiven Rahmen (mit Einzelradaufhängung) ruhte die viertürige Karosserie mit ausgeprägten Kotflügeln. Die Scheinwerfer waren in die Kotflügel integriert aber der markentypische Kühlergrill setzte die Linie der Vorkriegsmodelle fort.
Unter der elegant Karosserie verbarg sich modernste Technik. Der Motor war eine komplette Neuentwicklung und hatte einige interessante technische Details. Der Sechszylinder von 3 Liter Hubraum hatte die Brennräume im Kolben, große Ventile, eine obenliegende Nockenwelle und ein breites nutzbares Drehzahlband.
Wegen der schlechten Treibstoffqualität hatte der Motor eine moderate Verdichtung von 6,4:1 und fand so mit nur 80 RO Z das Auslangen. Für Notfälle gab es noch einen vom Armaturenbrett auf verstellbaren "Oktanzahl-Kompensator".
Der Mercedes 300 war nicht nur die representativste sondern auch die schnellste und teuerste Limousine Deutschlands.
Der gediegene Innenraum mit viel Holz und hochwertigen Stoffen bot fünf bis sechs Personen Platz. Vorne konnte der Käufer zwischen zwei Einzelsitzen oder einer durchgehenden Sitzbank wählen. Optional waren eine Trennwand und ein Stoffschiebedach. Serienmäßig war hingegen das beste Autoradio der Zeit - der Becker "Nürburg" verfügte bereits über UKW-Empfang und Sendesuchlauf.
Ab Jänner 1952 lief die Serienfertigung von 10 Wagen pro Tag, jeder einzelne davon benötigte nach Werksangaben übrigens 1.020 Arbeitsstunden zur Fertigstellung.
Der Mercedes 300 ist heute unter dem Beinahmen "Adenauer Mercedes" wahrscheinlich bekannter als unter seiner Typenbezeichnung. Darum rankt sich folgende Geschichte:
Als Konrad Adenauer einen Dienstwagen suchte, kamen nur zwei Modelle in Frage: der BMW 502 Barockengel und der Mercedes 300. Probesitzen im BMW - Adenauers Hut fiel zu Boden, Probesitzen im Mercedes - der Hut blieb am Kopf des Kanzlers. Und wenn‘s nicht wahr ist, so ist es zumindest gut erfunden. Dank ausreichender Kopffreiheit bekam der Kanzler einen Mercedes 300 als Dienstwagen, der fortan "Adenauer Mercedes" hieß und die Historie von Mercedes war um eine Legende reicher.
Für unsere Geschichte hier ist der Adenauer Mercedes nur eine Randfigur, der Motor mit dem Werkscode M 186 hingegen, der wird alles folgende erst ermöglichen.
Der M 186 leistete im Mercedes 399 aus 2.998 ccm Liter Hubraum relativ bescheidene 115 PS und bot dank seiner modernen Konstruktion eine ausgezeichnete Basis für höhere Leistung. Als M 188 entwickelte er im sportlichen Zweitürer 300 S bereits 150 PS, aber die Techniker unter Rudolf Uhlenhaut hatten noch einige Tricks auf Lager.
Bereits im Juni 1951 hatte der Vorstand den Bau eines "Sportwagen" beschlossen, der als "Sonderaufbau für die Typen W 187 (220) und W 188 (300 S)" definiert wurde.
Die Techniker und allen voran Rennleiter Alfred Neubauer hatte da so ihre Zweifel: Der Motor des Mercedes 300 war aus Guss und wog komplett 265 kg, das Getriebe war nicht geeignet, die Reifen zu klein und die Bremsen für den Rennsport nicht standfest genug.
Die Alternativen einen Sportwagen aus den vorhandenen Komponenten zu bauen oder das Projekt überhaupt sterben zu lassen, dürfte den Verantwortliche die Entscheidung erleichtert haben, und die Auswahl und Anpassung der Teile konnte beginnen.
Vorder- und Hinterachse wurden mit leichten Modifikationen übernommen und das Getriebe blieb entgegen der anfänglichen Bedenken praktische unverändert. Der Motor bekam eine kräftigere Ölpumpe und Trockensumpfschmierung, drei Vergaser und einen neuen Zylinderkopf. Schließlich hatten sich so viele Modifikationen angesammelt, dass der Motor als M 194 einen eigenen Code bekam.
ImageDie Leistungssteigerung endet vorerst einmal bei rund 180 PS, was den Verantwortlichen einiges Kopfzerbrechen bereitete, denn die Konkurrenz von Jaguar, Ferrari & Co war zu diesem Zeitpunkt bereits bei gut 200 PS. Optimale Aerodynamik und konsequenter Leichtbau sollte das Handicap ausgleichen.
Dazu wurde beispielsweise der ganze Motor um 50 Grad geneigt eingebaut, was eine niedrigere Linie und damit geringere Stirnfläche erlaubte. Überhaupt hatten sich die Konstrukteure bei der Optimierung der Aerodynamik sehr bemüht - schmaler Aufbau, abgerundete Kanten, keine Stoßstangen, keine Rückspiegel,... nicht einmal richtige Türgriffe bremsten die Luft beim Vorbeiströmen. Ein Cw-Wert von 0,25 war der Lohn der - für die damalige Zeit - aufwendigen Windkanalmessungen.
Chassis und Karosserie hatten mit dem "Teilespender" Mercedes 300 nichts gemein. Der neue Sportwagen hatte einen aufwändigen Rohrrahmen, der ein Gewicht von nur 82 kg hatte. Dieser Rahmen war zwecks verbesseter Aerodynamik in eine Coupe-Karossserie aus Aluminium gekleidet, was natürlich neue Probleme brachte.
Der Rohrrahmen erlaubte keine konventionellen Türen, da die Rohre des Rahmens ganz einfach im Weg waren, und für einen geschlossen Wagen stand "sportliches Hineinspringen" nicht einmal als theoretische Möglichkeit zur Verfügung. Als "Notlösung" wurden die Türen weit ins Dach gezogen und klappten Richtung Dachmitte auf - die berühmten "Flügeltüren" oder "Gull Wings" waren geboren, als technische Notwendigkeit und nicht als modischer Gag, wie es Legionen von späteren Sportwagen praktizieren sollten.
Im Mai 1952 wurde der neu Sportwagen als "Mercedes 300 SL " (SL = Sport leicht") amtlich begutachtet und als für den Straßenverkehr tauglich befunden.
Mit rund 170 PS, einem Gewicht von 870 kg und der bereits erwähnten vorbildlichen Formgebung war der Typ W 194 für 230 km/h gut.

ImageFeuertaufe. Die Mille Miglia, heute das wohl berühmteste "Classic Car Event" war einst, vergessen wir das nicht, ein richtiges Rennen auf einer 1.600 km langen Rennstrecke, die zur Auflockerung mit allem garniert war, was eine öffentliche Straße so Hindernissen zu bieten hat.
Traditionell war die Mille Miglia ein Heimspiel für Alfa Romeo und (später) Ferrari und Rudolf Caracciola auf Mercedes SS K war 1927 der erste (und einer von ganz wenigen überhaupt) Nicht- Italienern, die das Rennen gewinnen konnten.
Ausgerechnet bei der Mille Miglia des Jahres 1952 (3./4. Mai) sollte der 300 SL seinen ersten Auftritt auf der Bühne des großen, internationalen Motorsports haben. Mercedes brachte drei Coupes mit den Fahrern Hermann Lang, Karl Kling und dem Sieger von 1927, Rudolf Caracciola, an den Start.
Bis zuletzt gab es Befürchtungen, dass Veranstalter oder Konkurrenten die Mercedes aus ihren "komischen Türen" irgendeinen Strick drehen würden.
Aber nichts dergleichen geschah und die drei Coupes konnten planmäßig über die Startrampe rollen und die Prämiere verlief fast planmäßig. Bis zur Halbzeit in Rom duellierten sich Karl Kling und Giovanni Bracco um die Führung und nach 1.000 Meilen konnte Bracco schließlich mit 4:32 Minuten Vorsprung den Sieg für sich beanspruchen. Ein zweiter Platz war ein stolzer Erfolg für Mercedes, der durch einen vierten Rang von Caracciola noch unterstrichen wurde. Hermann Lang war bereits nach wenigen Kilometern mit verbogener Hinterachse ausgeschieden.
Bereits zwei Wochen später wurden die letzten Zweifeln an dem neuen Sportwagen beseitigt. Beim "Großen Preis der Schweiz" in Bern kamen drei Mercedes 300 SL - 1. Karl Kling, 2. Hermann Lang, 3. Fritz Riess - auf die ersten drei Plätze.
Für Le Mans (13./14. Juni) hatten die Coupes aus Sicherheitsgründen vergrößerte Flügeltüren, die den Ein- und, im Falle eines Unfalls, Ausstieg erleichterten.
ImageDie Strecke von Le Mans zeichnet sich durch die endlos lange Hunaudieres-Gerade aus, auf der die Wagen minutenlang mit Vollgas dahinrasen, die in einer scharfen Rechtskurve endete - die Beanspruchung der Bremsen ist natürlich enorm.
Zum Training hatte Mercedes einen testweise Wagen mit einer Luftbremse versehen. Bei Betätigung des Bremspedals klappte eine am hinteren Ende des Dachs montierte Bremsklappe hoch, wodurch der Wagen verzögert wurde und sich gleichzeitig der Druck auf die Hinterachse erhöhte.
Die Konstruktion erwies sich als höchst effektiv und wurde von den Konkurrenten misstrauisch und beunruhigt beäugt. Zum Glück für diese, die Konkurrenten, was Halterung den Kräften nicht gewachsen und löste sich nach einigen Vollbremsungen. Im Rennen sollten die Mercedes dann ohne die Luftbremse antreten.
Drei Coupes waren am Start - Kling/Klenk fielen in der Nacht mit Lichtmaschinendefekt aus, Lang/Riess gewannen und Helfrich/Niedermayer kamen auf Platz zwei - ganz ohne aerodynamische Kunstgriffe aber dafür mit etwas Glück, denn einige gefährliche Konkurrenten waren ausgefallen. Aber wie heißt es im Englischen? "To finish first you must first finish ..." Der Werbewert des Doppelsiegs - Mercedes war auf den Titelseiten aller internationalen Blätter - konnte nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Für den kurzen - nur 227 km - "Großen Sportwagenpreis auf dem Nürburgring" wurden die Coupes für zu schwer befunden und kurzerhand in leichtgewichtige Roadsterkarosserien gekleidet. Mit dem solcherart erleichterten Siegerwagen von Le Mans konnte Hermann Lang auch in der Eifel den Sieg erringen. Die weiteren Roadster landeten auf den Plätzen drei und vier.
Drei Siege und ein zweiter Platz - damit hatte Daimler-Benz die selbstgesteckten Ziele für die Rennjahr 1952 übererfüllt und wollte die Saison eigentlich Ende August beenden.
Aber die amerikanischen und mexikanischen Importeuere überredeten Mercedes doch noch zur Teilnahme am der berüchtigten "Carrera Panamericana", einem Straßenrennen, das über mehr als 3.000 km durch ganz Mexiko führte und 1950 erstmals stattgefunden hatte.
Mercedes ließ sich überreden - ein Erfolg wäre eine gut gute Werbung am amerikanischen Markt - schickte drei Rennwagen, einen Ersatzwagen zwei LKW und ein Team von 35 Mann nach Übersee, ein Aufwand, den Alfred Neubauer im Rückblick als zu gering bezeichnete.
Die drei Wagen - zwei Coupes und ein Roadster - wurden von Lang, Kling und dem Amerikaner John Fitch (Roadster) pilotiert. Bereits am ersten Streckenabschnitt nach dem Start am 19. November wurde eine weitere Legende dem "Mercedes Mythos" hinzugefügt.
Leidtragender dieses Mythos waren Karl Kling und sein Beifahrer. Bei 220 km/h krachte ein Geier, oder war‘s ein Bussard, auf jeden Fall ein großer Vogel, in die Windschutzscheibe. Die Reste des Vogels lagen zerfetzt im Wageninneren und Beifahrer Hans Klenk war blutüberströmt.
Beim Stopp wurde Klenk verarztet und das berühmte Schutzgitter vor die Windschutzscheibe montiert. Trotz des Zwischenfalls lag der Mercedes mit der Startnummer 4 am Ende der ersten Etappe auf Rang drei.
Von 92 gestarteten Fahrzeugen fanden 39 ihren Weg ins Ziel und vorne lagen Kling, der mit dem Geier, und Hermann Lang. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Siegers lag übrigens bei 164,7 km/h. In der Woche nach dem Rennen wurden in Mexiko 400 Mercedes 300 bestellt ...
Für die Saison 1953 entwickelte das Team um Rudolf Uhlenhaut den "perfekten Rennwagen" - schmäler, niedriger und leichter und dank Benzineinspritzung mit 225 PS - sollte es eigentlich ein potentieller Siegerwagen sein.
Allein der Vorstand hatte beschlossen sich auf die Grand Prix Saison 1954 (Mercedes W 196) zu konzentrieren und das Modell 1953 wanderte von der Entwicklunsgabteilung direkt ins Museum.
Damit war die Geschichte des 300 SL aber noch lange nicht zu Ende, sondern sollte - zumindest auf öffentlichen Straßen - erst so richtig beginnen.

ImageVon der Rennstrecke auf die Straße. US -Importeur für Mercedes und einige anderen europäischen Marken war zu dieser Zeit ein "AltÖsterreicher" namens Max Hoffmann, der auch die treibende Kraft hinter den Porsche Speedster und dem BMW 507 gewesen ist, und dieser Max Hoffmann forderte vehement eine Straßenversion des 300 SL , der mit dem Sieg bei der Carrera in den US A so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte.
Nun, Max Hoffmann konnte die Verantwortlichen in Stuttgart überzeugen - wohl nicht zuletzt auf Grund der angeblich fixen Bestellung von 1.000 Exemplaren - und der Rennwagen wurde gezähmt.
Als der 300 SL (zusammen mit dem 190 SL ) im Februar 1954 in New York vorgestellt wurde, überschlugen sich die Reichen und Schönen der Gesellschaft den Wagen zu ordern. Der Straßenwagen unterschied sich in einigen Details vom Rennwagen. Die Türausschnitte waren weiter nach unten gezogen, um das Einsteigen wenigstens etwas zu erleichtern. Kleine Ausstellfenster in den Türen sorgten für etwas Frischluft im Inneren (das aber noch immer heiß und ungemütlich genug war).
Ein Kofferaum war vorhanden, aber recht minimalistisch. Den Großteil des Hecks nahmen das Reserverad und der Tank mit 130 Liter Fassungsvermögen in Anspruch. Kühlergrill und Wagenfront waren stilistisch überarbeitet worden. Der Grill war über die ganze Breite gezogen und der berühmte Stern verkündete, welcher Wagen hier gerade zum Überholen ansetzte. Die Frontpartie sollte den Stil für Generationen von SL Sportwagen vorgeben.
Große technische Neuerung war die Benzineinspritzung, die ja bereits im Rennwagen von 1953 erprobt worden war. Die Bremsen stammten ebenfalls vom 1953-er Versuchswagen, weitere Verbesserungen am Fahrwerk unterblieben aus Kostengründen.
Die Karosserie bestand bei den meisten der 1.400 Flügeltürer aus Stahl, nur die Türen , Motorhaube und Kofferaumdeckel waren aus Alu, 29 Exemplare bestanden zur Gänze aus Aluminium und auch Kombinationen waren vorhanden. Damit waren natürlich auch bei Gewicht und Fahrleistungen Variationen gegeben, der "Standard"- Flügeltürer wog 1.260 kg und war damit etwas schwerer als der Rennwagen. Die Aluminium- Coupes waren rund 80 kg leichter als ihre Brüder und sind heute natürlich besonders gesucht. Ein Versuchswagen wurde mit einer Kunststoffkarosserie versehen, allerdings entsprach die Passgenauigkeit der Türen nicht den von Mercedes geforderten Qualitätsstandards. Die Spekulation von Max Hoffmann und Daimler-Benz auf den amerikanischen Markt sollte sich voll erfüllen. Obwohl der 300 SL "Flügeltürer" rund das doppelte einer Corvette oder eines Jaguars kostete (29.000 Mark in Deutschland) - nur Ferrari bewegte sich in diesen Preisregionen - fanden bis 1957 1.400 Exemplare zahlungskräftige Kunden, die meisten davon in Amerika.
Der 300 SL war ein Straßenfahrzeug und kein Rennwagen mehr - dass er aber auch auf Rennstrecke und Rallyepiste noch immer ein ernstzunehmender Gegner war, bewies er nicht nur bei der Mille Miglia, wo John Fitch mit einem praktisch serienmäßigen Coupe auf den fünften Platz fahren konnte - und mit 11 Stunden 29 Minuten schneller als der Sieger von 1952 war.. Tour de France, Akropolis Rallye, Liege-Rom-Liege, Alpenfahrt - überall war der Flügeltürer für Siege oder zumindest für gute Platzierungen gut.
1957 wurden die letzten 76 Coupes ausgeliefetr und am Auto Saloon in Genf wurde im März 1957 der Nachfolger, der 300 SL Roadster präsentiert.
ImageWichtigste Neuerungen waren das Stoffverdeck (resp. ein abnehmbares Hardtop) und "richtige" Türen. Der Rahmen der 300 SL war derart modifiziert worden, dass endlich konventionelle Türen möglich wurden. Eine modifizierte Eingelenk-Pendelachse sorgte für gutmütigeres Fahrverhalten - das Coupe konnte in manchen Kurven und bei plötzlichen Lastwechseln durchaus "unangenehm" werden - und eine luxuriösere Ausstattung machte den Roadster um rund 35 kg schwerer als den Flügeltürer.
Von den "echten" Puristen wurde der Roadster spöttisch als "rollendes Wohnzimmer" bezeichnet, aber Mercedes hatte den Wagen nicht mehr als verkappten Rennwagen sondern "komfortablen, offenen Tourenwagen" angepriesen. Weiter vom Rennsport entfernt als das Coupe verkaufte sich der 300 SL Roadster nichts desto trotz besser als sein Vorgänger. Wahrscheinlich hatte bei den Reichen der Welt doch Bequemlichkeit einen höheren Stellenwert als kompromisslose Sportlichkeit. Bis zur Produktionseinstellung im Jahre 1962 wurden nicht weniger als 1.858 Exemplare gefertigt.
Schah Reza Pahlevi, Elvis Presley, Pablo Picasso, Clark Gable oder Curd Jürgens gehörten zu den glücklichen Fahrern und deren Glanz färbte wohl auch auf die "normalen" Automobile mit dem Stern ab.
Der 300 SL Roadster ist sicherlich das modernere und "bessere" Fahrzeug, das noch dazu die Freuden des Offenfahrens bietet, der Flügeltürer ist wohl der charismatischere Wagen. Nicht zu Unrecht wurde der 300 SL "Gullwing" in Deutschland zum "Sportwagen des Jahrhunderts" gewählt.

...und doch wieder auf die Rennstrecke. Obwohl ab Werk nicht für den Rennsport gedacht, waren viele Privatfahrer, Gunther Philipp war nur einer von ihnen, mit dem Roadster mehr oder weniger erfolgreich.
Und sogar Alfred Neubauer schickte den 300 SL Roadster wieder auf die Rennstrecke. Für den amerikanischen Rennfahrer Paul O‘Shea entstanden zwei spezielle, stark modifizierte Roadster für die Rennen des "Sports Car Club of Amerika".
Die beiden "Mercedes 300 SLS " genannten (inoffiziellen) Werkswagen trafen auf den amerikanischen Rennstrecken auf Konkurrente wie Maserati 300 S, Ferrari Monza oder Aston Martin DB 3S und konnte dank überlegener Standfestigkeit im Jahre 1957 in der Kategorie D des SCCA dreimal(!) soviel Punkte sammeln wie der Zweitplatzierte, ein gewisser Caroll Shelby auf Maserati - so endete die Rennkarriere der 300 SL wie sie 1952 begonnen hatte, mit einem überlegenen Sieg.