BSA G/W21 & Model B
Geschrieben von Hannes Denzel   

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BSA G/W21 Taxigespann und BSA Model B Rundtank aus den 20er Jahren.

Text & Photos: Hannes Denzel

 

ImageDie Lady steht am Straßenrand, sie kommt offensichtlich vom Shoppen - neben ihr stehen zwei prall gefüllte Einkaufstaschen. Es nieselt leicht, was nichts Ungewöhnliches ist in London zu dieser Jahreszeit. Aber weit und breit ist kein Taxi in Sicht. Von der Gegenseite nähert sich ein Motorradgespann.  Der Fahrer sieht sie stehen, wendet flink sein Gefährt und sticht unerschrocken durch den Gegenverkehr auf sie zu. Er hält am Straßenrand neben ihr. "Taxi gefällig?" Sie nickt verdutzt. Der Pilot springt behende von seinem Sitz und öffnet den Verschlag des Seitenwagens, sie steigt ein und zieht ihre zwei Taschen auf den Ledersitz neben sich. Der Fahrer schwingt sich wieder in den Sattel, nachdem er vorher noch den Taxameter eingeschaltet hat, der unmittelbar vor der Glaskanzel des mächtigen Bootes montiert ist. "5 Pennies die Meile" hat er seiner Passagierin noch zugerufen, die es sich mittlerweile im Abteil gemütlich gemacht hat, wo sie unter dem dichten Verdeck vor dem Regen völlig geschützt sitzt. Ein Preis, mit dem sie durchaus zufrieden ist, denn ein Automobil hätte sie zu diesen Konditionen niemals mieten können.

ImageFantasie eines Motorradfanatikers? Nein, Realität im England der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die County Cycle and Motor Company of Broad Street mit Sitz in Birmingham (gleich neben dem BSA Werk) bot 1920 ein Gespann an, das von einer BSA Model E mit dem 770er V2 Motor gezogen wurde. Das Motorrad war entsprechend den Anforderungen modifiziert worden, es verfügte über einen stärkeren Rahmen mit fünf anstelle der üblichen drei Ansatzpunkten für die Seitenwagenbefestigung und über 19 Zoll große Räder (normal 18"). Die County Cycle and Motor Company war aber nicht das erste Unternehmen, das auf die Idee mit dem Taxi-Gespann gekommen war. Ähnliches hatten vorher schon die Nottingham Motor Cycle Company mit Campion Motorrädern und die Taxicabs Limited of Birmingham mit Harley Davidsons auf die Räder gestellt. Bevor diese Unternehmen allerdings ihre Gefährte ausliefern durften, mussten diese einer ausgiebigen Prüfung unterzogen werden, und zwar von der Polizei, von Scotland Yard und der Taxi Lizenzierungsbehörde. Wichtig dabei war nicht nur die Straßentauglichkeit der Maschine, sondern auch die Bequemlichkeit des zweisitzigen Seitenwagens und die Sichtbarkeit und Eichung des Taxameters.
Die 770 wurde 1923 gegen das neue Model G mit 986 ccm Hubraum eingetauscht, das wesentlich stärker und durchzugskräftiger war - die Maschine konnte im dritten Gang fast bis zum Schritttempo heruntergenudelt und ruckfrei wieder hoch beschleunigt werden, wichtig im Straßenverkehr für die Bequemlichkeit der Passagiere.  Diese saßen durch Vorhänge vor den Blicken des Fahrers geschützt, weshalb diese Gespanne auch den Spitznamen "Cuddler" (vom englischen "to cuddle", für "kuscheln") verpasst bekamen.  100 solcher Gespanne waren in Birmingham entstanden, nur mehr zwei sind bis in die heutige Zeit erhalten geblieben. Josef Schnalzers Gespann aus 1924 ist ein Publikumsmagnet bei Oldtimer Veranstaltungen, zum Broterwerb ihres Besitzers dient sie heute nicht mehr. Dabei hatte der Prospekt damals mehr als positive Zukunftsperspektiven prognostiziert: "Werden sie ein selbständiger Unternehmer - sie starten ein Geschäft, das vom ersten Tag an seinen Mann ernährt. Sie können zehn Pfund die Woche verdienen und sind täglich an der frischen Luft". Ganz dürften diese Erwartungen aber nicht erfüllt worden sein, schon wenige Jahre später waren alle Unternehmen wieder auf Automobile umgestiegen.
ImageWar die G das hubraumstärkste Modell im 1923er Katalog, so finden wir in diesem am entgegengesetzten Ende das Model B für Anfänger und Einsteiger. Mit "Flying Marrow" oder "Flying Cucumber" fanden die Engländer gleich treffende Spitznamen für die neueste Kreation von BSA. Freche Anspielungen zu dem in BSA typischem Grün lackierten runden Tank, der von vernickelten Bändern unter dem oberen Rahmenrohr der kleinen 250er gehalten wird. Denjenigen, die weniger mit englischen Begriffen aus Küche und Garten anzufangen wissen, sei hier erklärt, dass Marrow der Kürbis und Cucumber die Gurke ist.  Das ist aber ohnehin unerheblich, weil sich für das Model B dann ein anderer Spitzname durchgesetzt hat, unter dem sie in Fachkreisen bis heute bekannt ist: "Round Tank" - Rundtank.
Gelacht haben dürften jedenfalls am Ende die Manager bei BSA, denn die B geriet zum ganz großen Wurf - über 35.000 Einheiten verließen das Fließband bis 1927, in kleineren Dimensionen vergleichbar mit Henry Fords Erfolgsautomobil, der Thin Lizzy. Genau wie die amerikanische "Blechliesl" richtete sich die Rundtank an eine Klientel, die um wenig Geld ein möglichst billiges, anspruchsloses und doch langlebiges Fortbewegungsmittel zu bekommen hoffte. Und diese Anforderungen erfüllte die kleine BSA in höchstem Mass. Harry Poole hatte ein Motorrad entworfen, bei dem weniger die Optik als vielmehr Funktionalität an erster Stelle stand. Alle Teile entstammen dem eigenen Haus, nichts wurde zugekauft. Das gilt für den unten offenen Einrohr-Diamantrahmen ebenso wie für die Doppelrohrgabel, den kleinen seitengesteuerten Motor oder das Zweiganggetriebe. Ein Dreiganggetriebe war optional erhältlich, auch die Vorderradbremse war nicht Standard - eigentlich war die Rundtank nur mit einer Klotzbremse am Hinterrad ausgerüstet.
ImageDie Sattelhöhe von nur gut über 70 Zentimeter und das Handling des gutmütigen Schnauferls machten es ideal für Anfänger - und für besondere Dienstleister, nämlich Zustellfahrer aller Art - man hatte jederzeit schnell die Beine am Boden.  Auch bei Frauen im allgemeinen und Krankenschwestern im besonderen scheint das Model B besonders beliebt gewesen zu sein, das hat wohl etwas mit den extra breiten und besonders schmutzabweisenden Kotflügeln zu tun, unter denen sich die 2 ¼ x 24 Zoll großen Wulstreifen verstecken. Aber so richtig beliebt waren die Rundtanks erst nach Einstellung der Produktion (das Model B wurde 1927 von der nicht minder erfolgreichen C 10, ebenfalls eine Viertelliter, abgelöst) auf dem Second Hand Markt. Bis kurz vor dem zweiten Weltkrieg soll es nur wenige Engländer gegeben habe, die nicht ihre ersten Fahrversuche auf einer gebrauchten Rundtank absolviert haben!
Dieser stetigen Beanspruchung waren die kleinen 250er wohl langfristig nicht gewachsen.  Jedenfalls findet man heute kaum mehr überlebende, halbwegs gut erhaltene Exemplare. Daher hat Erich Krikava, der heutige Besitzer unserer Rundtank, nicht lange überlegt, als er die bereits fertig restaurierte "B" auf der Veterama in Mannheim auf einen Interessenten warten sah - er nahm sie mit ins Salzkammergut. Kontaktaufnahme mit dem BSA Owners Club in England brachten später zutage, dass es sich dabei um eine der ältesten erhaltenen dieses Typs aus 1923 handeln müsse. Auch ein Vorbesitzer ließ sich ermitteln, der in Belgien zu Hause ist, und versprochen hat, auch nach den Papieren zu fanden, die sich noch irgendwo in seinem Fundus befinden sollen. Das würde natürlich die Historie komplettieren, die Jungs vom BSA Owners Club haben sich jedenfalls sehr gefreut, dass die kleine Rundtank wieder aufgetaucht ist, wo sich doch zwischenzeitlich ihre Spuren verloren hatten!