Karosserie-Manufaktur Autenrieth
Geschrieben von Alexander Korab   

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Fällt der Name "Autenrieth", macht sich selbst in Automobilhistorikerkreisen Ratlosigkeit breit. Ja, da war doch was - aber in der Literatur findet sich kaum Informatives über das Karosseriebauunternehmen, welches zwischen 1921 und 1964 Blechkleider für verschiedenste Personenwagen produzierte. Alexander Korab erzählt die Geschichte der Karosserie-Manufaktur Autenrieth.

Text: Alexander Korab
Photos: Foto Factory Salzburg, Constantin Fischer

  ImageDer Gründer, Georg Autenrieth, wurde im Jahre 1881 in Gerhausen / Schwaben geboren. Schon früh konnte er sich für Autos begeistern und so begann er 1895 seine Lehre bei der Firma Auer in Stuttgart / Cannstatt. Hier lernte er zunächst die Fertigung feudaler Kutschenaufbauten, wie sie um die Jahrhundertwende üblich waren. Er legte seine Meisterprüfung ab und bewarb sich 1905 bei NSU in Nekarsulm, wo er sich rasch als Karosseriebaumeister etablierte, als dort die Automobilproduktion gerade anlief. 1912 wagte er den Schritt in die Selbständigkeit und gründete mit dem Bankdirektor Franz Eisenlohr in Weinsberg die "Karosseriewerke Weinsberg".  An Aufträgen seitens benachbarter Autofabriken herrschte kein Mangel. Autenrieth nützte seine guten Kontakte zu NSU und zu FIAT, die ihm - zur Entlastung der Stammwerke - die Fertigung vollständiger Modelle übertrugen. Noch stand individuelles Design nicht im Vordergrund.  Alle technischen und gestalterischen Vorgaben kamen von den Auftraggebern.

Zukunft in den eigenen Hallen. Nach Unstimmigkeiten mit Eisenlohr arbeitete Autenrieth ab 1918 auf eigene Faust weiter, ehe er seiner schwäbischen Heimat den Rücken kehrte und 1922 nach Darmstadt übersiedelte. Viele ehemalige Mitarbeiter folgten ihm an den neuen Standort, der als "Erste Darmstädter Karosseriewerke Georg Autenrieth" ins Handelsregister eingetragen wurde. Der Betrieb lag verkehrsgünstig und in unmittelbarer Nähe zu Opel und Röhr, die bald zu den besten Kunden zählten.  Für die heute längst vergessenen Marken Dürrkopp, Fafnir, Fulmina, HAG, Selve oder Steiger entwickelte er offene Sport-Pheaton-Aufbauten, die in den 20er Jahren hochmodern waren. Genaue Stückzahlen lassen sich nicht mehr ermitteln, es dürfte sich jedenfalls gelohnt haben.  Mit Röhr bestand beinahe ein Exklusiv-Vertrag.  Autenrieth fertigte Karosserien für 85 Prozent der Serienfahrzeuge und für alle Rennsportwagen.  Auf einem Röhr Typ R8F nahm Sohn Erwin Autenrieth 1933 an der Deutschlandfahrt teil, musste aber wegen eines Defekts aufgeben.  1934 bis 1935 saß Georg Autenrieth sogar im Aufsichtsrat der Röhr-Werke und half mit, die finanziellen Probleme des Partnerunternehmens in den Griff zu bekommen.

ImageSonderkarosserien sind gefragt. Die kleine Autenrieth-Fabrik gedieh prächtig und wurde 1924 um eine Lackiererei, eine Sattlerwerkstatt und zwei Hallen für Holz- und Metallbeabeitungsmaschinen erweitert. Bis Mitte der 30er Jahre war Autenrieth’s Karosserie-Werk zu einem stattlichen und weit über die Grenzen Deutschlands bekannten Betrieb herangewachsen, der fast 500 Facharbeiter beschäftigte.  Georg Autenrieth soll ein fürsorglicher Chef gewesen sein. Wer 25 Jahre im Betrieb gedient hatte, bekam eine goldene Uhr. Meister sollen für 50jährige Treue sogar einen VW-Käfer als Geschenk erhalten haben. Autenrieth hatte es niemals für nötig erachtet, für seine Schöpfungen Werbung zu machen. Regelmäßig erhielt er Preise bei regionalen und internationalen Schönheitskonkurrenzen, unter anderem auch den begehrten "Goldenen Kranz".

Ende einer Ära. In den 50er Jahren, als sich die europäische Wirtschaft von den Kriegschäden erholt hatte, kam auch die Großserienfertigung von günstigen Kleinwagen in Schwung. Die Klientel für kostspielige Einzelanfertigungen ging bedauerlicherweise deutlich zurück. Außerdem gab es kaum noch Autos, die auf einem Fahrgestell aufgebaut waren. Selbsttragende Karosserien waren im Vormarsch, was den Bau von Sonderkarosserien in geringen Stückzahlen extrem verkomplizierte. Dennoch konnte sich Autenrieth noch einige Jahre aus dem großen Markensterben der Nachkriegsjahre heraushalten.  Er hatte einen guten Ruf und Stammkunden, die den Fortbestand der Firma bis 1964 ermöglichten.

Das Werk von Künstlern. Wenn ein Kunde einen Sonderaufbau bei Autenrieth bestellte, wurde zunächst das gewünschte Serienfahrgestell mit Motor, Getriebe, Achsen, Lenkung und Pedalwerk angeliefert. Selten wurden die Rahmen verlängert oder verkürzt. Manchmal verwendete man auch Serienteile - Motorhauben, Türen oder Zierteile, um innerhalb eines vertretbaren Preisrahmens zu bleiben. Dann wurde nach Freigabe der Entwürfe durch die Auftraggeber ein Modell im Maßstab 1:10 oder 1:20 angefertigt.  Die Karosserien entstand bis kurz nach dem 2. Weltkrieg in "Gemischtbauweise" - ein Fachwerk-Holzrahmen mit Stahlblech ummantelt.  Mit Aluminium hat sich Autenrieth nie anfreunden können, da zwar Blechtreibearbeiten schneller ausgeführt werden können, allerdings die Schweissnäte bei diesem Material einen immenser Aufwand bedeutet hätten. Nach 1950 entstanden auch einige Karosserien in Ganzstahlbauweise.

ImageExklusivität hat ihren Preis. Man bekommt eine grobe Vorstellung vom Aufwand und von den Kosten, wenn man bedenkt, dass für jeden Blechteil eine eigene Holzform gebaut werden musste. Ein heikles Kapitel waren die Frontscheiben, die zum überwiegenden Teil für jedes Fahrzeug speziell angefertigt wurden. Allein für das Schweißen des Scheibenrahmens brauchten zwei Spengler vier ganze Arbeitstage. Typisch für Autenrieth-Fahrzeuge der 1950er Jahre waren Panoramascheiben - eine technische Herausforderung und ein Albtraum für heutige Autenrieth-Besitzer, wenn so ein Glaskunstwerk einmal zu Bruch geht. Zierleisten und Kühlergrills wurden aus massivem Messing getrieben, verlötet und verchromt. Gussteile kamen von der Firma Eckert, Galvanisierungsarbeiten führte die Firma Walkenhorts aus. Das Interieur entstand ebenfalls in den eigenen Hallen, Sitze und Türverkleidungen aus feinstem Offenbacher Leder. Die aufwendige Lackierung konnte sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen hinziehen. Schon früh beschäftigte sich Autenrieth auch mit Metallic-Lacken. Kabrioverdecke fütterte man mit Rosshaar, damit Passagiere bei Regenwetter ähnlichen Komfort, wie in einer gut gedämmten Limousine genießen konnten.  Im Schnitt waren die Arbeiten an einem Autenrieth- Automobil nach vier Monaten abgeschlossen.  Auf Wunsch gab es dann noch maßgefertigte Koffersätze im Angebot, innen mit blauer Seide ausgeschlagen.

ImageLiebenswerte Einzelstücke. Die bei Autenrieth bis zum Schluss manuell gefertigten Aufbauten waren perfekt verarbeitet, jedoch kann man heute bei den wenigen erhaltenen Originalfahrzeugen Spuren der Handarbeit erkennen. Kotflügen sehen nicht immer hundertprozentig symetrisch aus, Türen sind auf einer Fahrzeugseite manchmal etwas länger, als auf der anderen. Aber das macht eben den Reiz und den Charakter einer Sonderkarosserie aus. Mit dem Wissen um die aufwendige Produktion kann man stolz darauf sein, ein Autenrieth-Fahrzeug zu besitzen. Ein besonders exklusives Modell, ein einzigartiger Autenrieth BMW V8, befindet sich heute in Salzburg. Das viertürige Cabriolet auf Basis eines Chassis des Typs 3200 Super ist 1960 von einem Hamburger Rechtsanwalt bestellt worden und zählte damals zu den teuersten Fahrzeugen Deutschlands. Der derzeitige Besitzer erwarb den V8 vor einigen Jahren in Form einer großen Sammlung von Einzelteilen, die in zwei Gitter- Containern verstaut war. In liebevoller Kleinarbeit wurde das Auto komplett neu aufgebaut, beinahe jeder Teil bearbeitet und exakt wieder zusammengebaut. Wie einst ist die Karosserie wieder in mehreren Schichten lackiert worden.  Für die kaputte Frontscheibe fand sich kein Ersatz und sie musste neu gegossen werden. Das originale Leder wurde abgeschabt, um den exakten Farbton zu ermitteln. Die meisterhafte Restaurierung dauerte letztlich mehr als fünf Jahre, aber der Aufwand hat sich gelohnt: Der Wagen war 2009 zum Concorso d’Eleganza Villa d’Este geladen.