Gräf & Stift Doppelphaeton 1910
Geschrieben von M. Christian Ortner   

Heft bestellen - Gräf & Stift Doppelphaeton 1910 - Das Auto von Sarajevo

Der geschichtsträchtigste Oldtimer der Welt.

Von M. Christian Ortner
Photos: Heeresgeschichtliches Museum Wien

  ImageDer Doppelphaeton der Wiener Firma Gräf & Stift aus dem Jahr 1910, im historischen und musealen Kontext von heute auch als das Sarajevo-Auto bekannt, zählt wohl zu den bedeutendsten bis heute erhalten gebliebenen Oldtimern.  In musealer Hinsicht ist das Fahrzeug sicherlich als ein einzigartiges Objekt zu bezeichnen, welches Geschichte und Schicksal geradezu atmet und gegenüber dem Betrachter eine ganz besondere Aura beziehungsweise Atmosphäre entwickelt. Gemeinsam mit den übrigen durch das Heeresgeschichtliche Museum in Wien verwahrten Gegenständen zum Attentat des 28.  Juni 1914 zählt es zu den wichtigsten Schlüsselobjekten der Ausstellung über die Zeitperiode des Ersten Weltkrieges. Weder nostalgisierend oder gar verklärend, dennoch faszinierend, bildet der Gräf & Stift heute den Kern des nicht zuletzt aufgrund seiner roten Wandfarbe auch als "Blut-Saal" bezeichneten Sarajevo-Traktes im Museum.
Nicht nur das mit dem Fahrzeug verbundene tragische Ereignis des 28. Juni 1914 - die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand sowie seiner Gattin Herzogin Sophie von Hohenberg - und die damit verbundene politische Krise des Juli 1914, welche letztlich in den Ersten Weltkrieg führte, rechtfertigen eine Publikation über dieses Auto, sondern gleichsam auch das Fahrzeug selbst; Geschichte, Technik und wohl auch Schicksal verschmelzen in ihm zu einem musealen Objekt ersten Ranges.
Der Gräf & Stift stammte aus dem Besitz des Grafen Franz Harrach (1870-1937). Er war zum Zeitpunkt des Attentats Mitglied des "k. k.  Freiwilligen-Automobilkorps", einer besonderen Vereinigung zur Unterstützung der k. u. k.  Armee im Kriegsfalle. Nachdem die Mechanisierung beziehungsweise Automobilisierung des österreichisch-ungarischen militärischen Nachschubwesens aufgrund der finanziellen Einschränkungen des Militärbudgets nur langsam vonstatten gehen konnte, wurde eine Art Partnerschaft mit dem zivilen Sektor angestrebt. Für die Mobilisierung von zivilen Personenkraftwagen zu Kriegszwecken gründete man 1906 das "k. k. Österreichische Freiwilligen-Motorkorps", welches 1908 als "k. k. Österreichisches Freiwilligen-Automobilkorps" mit dem "k. k.  Österreichischen Freiwilligen-Motocyclistenkorps" zum "k. k. österreichischen Freiwilligen- Motorkorps" zusammengefasst wurde. In der ungarischen Reichshälfte wurde eine ähnliche Einrichtung vorgesehen.
ImageDie Mitglieder dieser Vereinigungen hatten sich verpflichtet, im Kriegsfall persönlich mit ihren Privatfahrzeugen zur Unterstützung der "bewaffneten Macht" einzurücken und Dienst zu versehen. In diesem Zusammenhang nahm auch Graf Franz Harrach mit seinem Wagen neben anderen "freiwilligen Automobilisten" an den Manövern in Bosnien im Juni 1914 teil.  Der Gräf & Stift gelangte dabei wie andere Fahrzeuge mittels Bahntransport nach Bosnien, fand während der Manöver Verwendung und wurde letztlich an jenem schicksalsträchtigen 28. Juni 1914 aufgrund seines zurückklappbaren Verdecks als Thronfolgerfahrzeug ausgewählt.
Es zählt wohl zu den besonders schicksalhaften Verkettungen dieses Tages, dass das ursprünglich vorgesehene Fahrzeug, ein Mercedes mit starrem Verdeck, aufgrund des besonders lauen und sonnigen Morgens letztlich nicht benützt wurde.  Ob infolge der Verwendung eines geschlossenen Fahrzeugs sowohl das Handgranatenattentat als auch die späteren tödlichen Schüsse hätten unterbunden werden können, bleibt letztlich ungeklärt und spekulativ. Die Fahrt zum Rathaus der Landeshauptstadt begann bekanntlich kurz nach 10 Uhr vormittags, rund eine Stunde später war das Thronfolgerpaar tot und eine europäische Krise ausgelöst, welche zum Ausbruch des ersten der beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts führen sollte.
Während der gerichtlichen Untersuchungen zum Attentat, wobei die meisten Beteiligten innerhalb kurzer Zeit bereits hatten verhaftet und einvernommen werden können, spielte der Gräf & Stift im Rahmen der Rekonstruktion der Schussfolge natürlich eine nicht unerhebliche Rolle, doch zeigten sich die meisten am Attentat Beteiligten ohnehin geständig.
Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen worden waren, sollte das Fahrzeug an den Besitzer, Graf Franz Harrach, zurückgestellt werden.  Graf Harrach, der als Flügeladjutant des Thronfolgers gedient und das Attentat unmittelbar miterlebt hatte, zeigte sich jedoch an der Rückübernahme des Fahrzeugs wenig interessiert.
ImageDies ist durchaus verständlich, zumal es gerade Graf Harrach gewesen war, der infolge des ersten Attentatsversuchs mit der Handgranate seinen ursprünglich im Fahrzeuginneren vorgesehenen Platz verlassen und auf dem Außentrittbrett des Gräf & Stift an der linken Seite des Thronfolgers Aufstellung genommen hatte. Es war auch Harrach gewesen, der den Kopf Erzherzog Franz Ferdinands nach dem Halsschuss aufrecht gehalten hatte. Dieses schockierende und zutiefst emotionale Erlebnis dürfte Graf Harrach letztlich bewogen haben, von einer weiteren Verwendung "seines" Autos Abstand zu nehmen. Das so tragische Schicksal des Thronfolgerpaares wäre mit dem Fahrzeug weiterhin verbunden geblieben.
Er schenkte es kurzerhand Kaiser Franz Joseph I., der - in vollem Bewusstsein der besonderen Bedeutung des Autos - entschied, das Fahrzeug in Anlehnung an die durch den Thronfolger zuletzt innegehabte Funktion eines "Generalinspektors der gesamten bewaffneten Macht" dem damaligen Heeresmuseum im Wiener Arsenal zu übergeben.  Dementsprechend wurde am 27. Juli 1914 durch das k. u. k. Kriegsministerium angeordnet, besagtes Fahrzeug aus der Verwahrung der bosnisch-herzegowinischen Landesregierung zu nehmen und an das in Sarajevo befindliche XV. Korpskommando zu übergeben. Von dort sollte es mittels Bahn nach Wien transportiert und durch das im Wiener Arsenal befindliche Artilleriezeugsdepot übernommen werden, um danach dem Heeresmuseum "einverleibt" zu werden. Die Transportkosten waren durch das Museum zu tragen. Das Fahrzeug dürfte noch im August 1914 nach Wien und in weiterer Folge ins Arsenal gelangt sein. Die Registernummer A III 128 verblieb interessanterweise jedoch weiterhin bei Graf Franz Harrach, der mit dieser Nummer wieder einen Doppelphaeton von Gräf & Stift anmeldete.
Die Eigentumsübertragung und Übernahme in die Sammlungen des Museums erfolgten unmittelbar danach, doch war das Fahrzeug aufgrund der allgemeinen Schließung des Heeresmuseums für das Publikum noch nicht zu besichtigen.  Nicht zuletzt aufgrund des inzwischen bereits ausgebrochenen Weltkrieges dürfte vorerst noch kein allgemeines Besucherinteresse bestanden haben, lediglich einzelne Angehörige der kaiserlichen Familie, wie etwa Erzherzog Eugen, interessierten sich für dieses "historische" Objekt und führten individuelle Besichtigungen durch.
Im Oktober 1914 bekundete die österreichische "Allgemeine Automobilzeitung" ihr besonderes Interesse und ersuchte um Genehmigung für die Verfertigung fotografischer Aufnahmen.  Während des Krieges erfolgte keine museale Präsentation des Wagens, auch nicht bei den zahlreichen zugunsten der Kriegsfürsorge veranstalteten Ausstellungen. Rückblickend erwies sich die Entscheidung des Kaisers, das Auto dem Heeresmuseum zu überlassen, als besonderer Glücksfall. Von den zahlreichen durch die "freiwilligen Automobilisten" ins Feld gestellten Fahrzeugen - der Sarajevo-Wagen wäre ja auch weiterhin "dienstpflichtig" gewesen - kehrte kein einziges aus dem Krieg zurück.
ImageAls das Heeresmuseum nach Beendigung des Ersten Weltkrieges für den allgemeinen Besuch wieder eröffnet wurde und auch eine erste Ausstellung zum Ersten Weltkrieg gestaltete, fand neben der blutgetränkten Uniform des Thronfolgers vom Attentatstag auch der Gräf & Stift seine Aufstellung im Museum. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse sowie des Gewichts des Fahrzeugs präsentierte man das Auto ebenerdig im Bereich der Feldherrenhalle auf der linken Seite, während die Uniform in der Ruhmeshalle im ersten Stock gezeigt wurde. Der Standort blieb während der Zwischenkriegszeit, aber auch während des Zweiten Weltkrieges unverändert, auch nachdem große Teile der Sammlungen des Heeresmuseums zum Schutz gegen die alliierte Luftbedrohung bereits ausgelagert worden waren. Bekanntlich wurde das Museum sowohl durch Bombentreffer als auch während der Bodenkämpfe um Wien 1945 schwer beschädigt.
Zusätzlich kam es in den ersten Nachkriegsmonaten zu bedeutenden Plünderungen im Arsenal durch Besatzungstruppen und die Zivilbevölkerung, denen auch Teile des Gräf & Stift zum Opfer fielen. So wurden sowohl die Gummireifen der Räder als auch viele Lederbestandteile entwendet.
Nachdem entschieden worden war, das Heeresmuseum nunmehr als Heeresgeschichtliches Museum wieder zu errichten beziehungsweise wieder aufzubauen, wurde verständlicherweise auch auf das Sarajevo-Auto reflektiert und eine Restaurierung angestrebt. Dies erfolgte unter weitgehender Schonung der vorhandenen Originalsubstanz und konnte bis zum Wiedereröffnungstermin im Jahr 1955 abgeschlossen werden.
Die Aufstellung erfolgte jedoch nicht mehr am ursprünglichen Ort in der Feldherrenhalle, sondern im neu geschaffenen Sarajevo-Saal, welcher dem Attentat gewidmet wurde. Gemeinsam mit den übrigen Erinnerungsstücken zum Attentat bildet der Gräf & Stift bis heute eines der Schlüsselobjekte nicht nur zur österreichischen, sondern zur internationalen Militärgeschichte.