Carrera Modell Autorennbahnen
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

Heft bestellen - Carrera - 50 Jahre Motorsport für daheim!

Wer ein Klebeband braucht, verlangt ein "Tixo", wer seine Suppe würzen will, nimmt "Maggi" und wer seinem Kind (oder sich selbst) eine Autorennbahn kaufen will, kauft - zumindest im deutschsprachigen Raum - eine "Carrera"-Bahn ...  Wolfgang M. Buchta hat versucht, den Mythos Carrera genauer zu betrachten ...

  ImageAls Josef Neuhierl im Jahr 1920 in Fürth, nordwestlich von Nürnberg, mit der Herstellung von Blechspielzeug begann, konnte er nicht ahnen, dass er damit den Grundstein für eine Firma legte, die knapp 100 Jahre später eines der legendärsten Spielzeuge Europas fertigen sollte.
Über seine frühen Produkte wissen wir wenig, denn wie viele andere verkaufte Neuhierl seine Produkte an die im Raum Nürnberg angesiedelten Großhändler - ein eigener Vertrieb war für einen kleinen Produzenten nicht finanzierbar.  Später kamen allmähliche Modelle - Automobile,R ennwagen, Militärfahrzeuge, Flugzeuge, ... - mit dem Logo "JNF" - für "Josef Neuhierl, Fürth" - auf den Markt, die eine eindeutige Zuordnung erlauben. Dass die Fabrik im Zweiten Weltkrieg mehrmals bombardiert wurde und viele Firmenunterlagen verloren gingen, erleichtert den Historikern auch nicht gerade das Leben.  Wie auch immer - allen Widrigkeiten zum Trotz konnte "JNF" bereits 1947 wieder mit einer Produktion im kleinen Stil beginnen und 1956 in großem Stile in einer brandneuen Fabrik in Fürth. Dort entstanden Blech-Klassiker, die bereits batteriebetriebene Elektromotoren und Beleuchtung hatten. Und noch etwas schaffte "JNF" im Gegensatz zu etlichen Konkurrenten: Den Schritt vom Blech zum Kunststoff.
1955 schloss Sohn Hermann sein Studium der Chemie ab und trat in die Firma ein, wo er bereits seine späteren Marketingtalente ahnen ließ, und beispielsweise die ersten Kataloge der Firma herausbrachte.
1957 verstarb der Firmengründer und mit 30 Jahren musste der frisch gebackene Doktor in das kalte Wasser des Unternehmertums springen.  Als Chemiker war Dr. Hermann Neuhierl natürlich dem Material Kunststoff aufgeschlossen, was sich 1960 in originalgetreuen Plastikautos im Maßstab 1:32 manifestierte, die allerdings vorerst noch "Immobilien" waren, d. h. keinen Antrieb hatten.
ImageAndernorts - 1909 bei Lionel, 1934 bei Märklin oder 1957 bei Scalextric - waren bereits elektrisch betriebene und "schlitzgeführte" Rennbahn- Autos, sogenannte "Slotracer" entstanden.  In Deutschland waren es vor allem Stabo und Faller, die auf diese Technologie setzten.  1963 war auch "JNF" so weit und es kam die erste Carrera-Bahn auf den Markt, und hier manifestierte sich wieder das Marketinggenie des passionierten Porschefahrers Neuhierl: Porsche hatte den Namen "Carrera" für seine jeweils sportlichsten Modelle gewählt, und in Stuttgart war man vorerst gar nicht von den gleichnamigen Rennbahnen begeistert. Aber zum Glück war Neuhierl mit keinem geringeren als Huschke von Hanstein befreundet, und so wandelte sich die Skepsis in Stuttgart rasch zur aktiven Unterstützung. Wenig überraschend, dass Modelle von Porsche-Vorbildern bis heute breiten Raum in der Produktpalette von Carrera einnehmen ...
Aber mit einem gelungenen PR-Coup war Neuhierl noch lange nicht zufrieden und tüftelte weiter - am Produkt und am Marketing. Dank Dreileiter-System konnten auf den Schienen der Carrera 132 Universal je zwei Autos - teilweise schon mit Licht - pro Spur fahren.  Auf der Werbeseite rief Carrera im Jahre 1966 die "Carrera-Bundesmeisterschaften" ins Leben, die in Kino, Fernsehen und Print massiv beworben wurden und schon im ersten Jahr 600.000 potentielle - meist jugendliche - Kunden in die Geschäfte lockten.
Ein Jahr später folgte mit der "Carrera 124" die Königsklasse der Slotracer im großen Maßstab 1:24, und 1969 die "Carrera Jet", eine dreidimensionale Bahn auf der Flugzeuge und Apollo- Raumnschiffe ihre Bahnen zogen. Während die Carrera 124 bis heute Erfolge feiert, floppte die "Carrera Jet" grandios und verschwand rasch wieder vom Markt. Fragt bitte nicht, was die Bahnen heute in Sammlerkreisen kosten ...
ImageNeuhierl ließ sich allerdings durch solche Misserfolge nicht entmutigen - 1970 wurde Carrera mit dem "Transpo System" um LKWs und Gabelstapler erweitert. 1972 kamen mit "Carrera Structo" ferngesteuerte RC-Modelle ins Programm, mit den "Struxi"-Rennbahnen wurden jüngere Kunden angesprochen, 1976 kam "Carrera 160" - erraten, im Maßstab 1:60 - und 1978 mit der "Carrera Servo" die erste Bahn mit Spurwechsel für realistisches Überholen auf den Markt.
1979 hatte Carrera sechs unterschiedliche Bahnsysteme und rund 130 Modelle im Angebot und dank kreativem Marketing - Jägermeister und Liqui Moly "durften" für die Verwendung ihres Schriftzuges auf den Carrera Modellen bezahlen!  - lag der Jahresumsatz dem Vernehmen nach bei 80 Millionen Mark.
Natürlich war eine solche Entwicklung ohne Fremdfinanzierung nicht möglich, und als Anfang der 1980er Jahre die Umsätze zurückgingen, taten die Banken das, was sie am besten konnten: Sie bekamen in der Krise "kalte Füße", setzten Neuhierl unter Druck und trieben ihn schließlich in den Freitod ...
In Kurt Hesse fanden die Banken nach einem naturgemäß holprigen Übergang 1985 einen neuen Eigentümer, der eigentlich nur eine Immobilie kaufen wollte und dann doch einen ganzen Spielzeugproduzenten mit mehr als 100 Mitarbeitern bekam.
Unter Hesse wurden erst einmal Änderungen im Produktionsprozess umgesetzt ehe der neue "Herr im Haus" sich an die Modellpalette machte und im Jahre 1989 die Carrera 124 unter dem Namen "Carrera Exclusiv" als Angebot an die erwachsenen "Fahrer" und Sammler wieder einführte.  An der Werbefront fuhr ein Truck mit einer Autorennbahn durch die Lande.
Die Kinderrennbahn "Strax" brachte junge Kunden zu Carrera, und die "Exclusiv"-Serie sprach wieder das kaufkräftigere, erwachsene Publikum an - es schien wieder gut um Carrera zu stehen.  Aber Anfang der 90er Jahre gab es wieder Probleme mit den Banken. Durch eine komplizierte Firmenkonstruktion wurde 1992 das Interesse der Finanz geweckt, die gleich mit 140 Mann anrückte, eine Strafzahlung von 1,5 Millionen Mark festsetzte und Hesse wegen Fluchtgefahr hinter Gitter steckte. Aber auch erhebliche qualitative und technische Probleme der neuen Produkte führten zum Zweifel der Banken und zum Rückgang der Umsatzzahlen von Hesse. Die Banken bekamen wieder einmal die Panik und stellten einen Konkursantrag. Ende des Jahrzehnts warf Hesse das Handtuch ...
ImageAber die Sache sollte ein Happy End finden, denn 1999, unmittelbar vor Beginn der Nürnberger Spielzeugmesse, fand sich ein Käufer, ein Käufer, der den Markt aus dem FF kannte, ein Käufer der bis heute die Geschicke von Carrera erfolgreich lenkt und ein Käufer, der aus Österreich kommt - also sozusagen ein umgekehrtes österreichisches Erfinderschicksal ...
Die 1953 gegründete Firma Stadlbauer hat ihren Sitz in Salzburg (mittlerweile in Puch bei Salzburg) und ist als Importeur und Großhändlern für Spielzeug tätig, und im Laufe der Jahrzehnte waren da feine Marken darunter - Dinky Toys, Playmobil, Pustefix, Nintendo und eben seit den 60er Jahren Carrera - per 13. Februar 1999 wurde Stadlbauer - das "dynamic duo" bestehend aus Vater Dr. Dieter Stadlbauer und Sohn Andreas Stadlbauer - vom Importeur zum Eigentümer.
Und - danke der Nachfrage - das Abenteuer ist gut ausgegangen. Heute blüht und gedeiht Carrera mit den Reihen "Digital 124", "Digital 132", "Digital 143", "Carrera" und "Carrera GO!!!" sowie den Carrera RC-Modellen - Im deutschsprachigen Raum hat Carrera einen 96%-Anteil bei Autorennbahnen. Jährlich werden 1 Mio. Sets (2 Fahrzeuge + Schienen) und zusätzlich 1 Mio. Autos produziert. Carrera ist der unangefochtene Weltmarktführer im Bereich der Autorennbahnen geworden.
Heute locken die von Stadlbauer ins Leben gerufenen Welt- und Europameisterschaften 100.000 Kinder aller Altersstufen an die Regler.  Die Zielgruppe ist in erster Linie männlich und im Alter zwischen 6 und 99. Die Papas von heute waren die Kinder von gestern! (O-Ton Andreas Stadlbauer).
Alljährlich kommen etliche neue Modelle auf den Markt - neben den aktuellen Formel-1 von Ferrari und Red Bull (mit denen Exklusiv- Verträge bestehen) - Für 2014 wurde ein Spielberg-Österreich-Ring-Set heraus gebracht - ein paar Porsche und anderen aktuellen Sport- und Rennwagen - Das Fahrwerk wurde von einer Sportwagenfirma konstruiert - sowie Sondermodellen, "schleichen" sich alljährlich auch ein paar Klassiker in die Modellpalette, denn Vater wie Sohn sind echte Enthusiasten, die aufmerksame Sammler auch einmal maßstabgerecht am Steuer eines Modells erkennen können.
In der coolen Firmenzentrale in Puch bei Salzburg befindet sich neben Büros und Lagerräumen ein riesiger Schauraum, der auch durchaus als Museum durchgehen kann, wo in endlosen Vitrinen ein Querschnitt durch die Produktionsgeschichte zu bewundern ist, und im Keller darunter befindet sich das riesige Firmenarchiv, das von jedem produzierten Modell (seit 1999) ein Exemplar enthält, und da man ohne Geschichte bekanntlich keine Zukunft hat, ist Andreas Stadlbauer permanent auf der Suche um Lücken im Archiv aus der Zeit vor 1999 zu schließen ...