Christian und seine „alte Lady“ - 50 Jahre gemeinsam durchs Leben
Geschrieben von Gernot Kronberger   

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In unserer schnelllebigen Zeit ist es etwas ganz Besonderes, wenn Menschen ihren Fahrzeugen über viele Jahre die Treue halten. Austro Classic berichtete in der Vergangenheit bereits über NSU Wankel Spider und Austin Healey Sprite, welche seit mehr als 50 Jahren ihre Besitzer erfreuen und von ihnen bis zum heutigen Tage gehegt und gepflegt werden. Unsere aktuelle Reise führt uns nach Südtirol zu Christian Bianco und seinem Fiat 850 Spider Bertone, welcher sich seit seiner Auslieferung in Familienbesitz befindet und noch immer artgerecht bewegt wird.

Mutters Stolz Christian Biancos Mutter, Hildegard von Hanspeter (in der Familie liebevoll „Mädy“ genannt), erwarb nach ihrem ersten Auto, einem Autobianchi Bianchina Cabrio, im Jahr 1966 einen Fiat 850 Spider Moretti. Nach nur wenigen Kilometern versagten die Bremsen des neuen Wagens bei der Bergabfahrt vom Penser Joch. Die Heimfahrt musste notgedrungen per Handbremse erfolgen. Der Grund der Fehlfunktion konnte weder gefunden, noch behoben werden. Aus diesem Grund wurde das Auto nach nur drei Monaten dem Händler wieder zurückgegeben und ein neues Auto ins Auge gefasst. Die Wahl fiel auf einen Fiat 850 Spider Bertone, der am 22. 9. 1966 auf das Bozener Kennzeichen „87456 BZ“ zugelassen wurde.

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Auf technischer Basis des 1964 präsentierten Fiat 850 erschienen am Genfer Automobilsalon im Frühjahr 1965 das Fiat 850 Coupé und der Fiat 850 Spider. Dabei wurde das auf 47 PS erstarkte Coupé von Fiat selbst gefertigt, während die Spider-Karosserien bei Bertone auf die von Fiat gelieferten Bodengruppen gesetzt wurden. Ebenfalls bei Bertone entstand, unter der Federführung von Giorgetto Giugiaro, das Design des Spider, welches durch seine Linienführung von sparsamster Leichtigkeit heute als klassisch italienisch gilt. Die gestreckte Silhouette mit dem eleganten Hüftschwung und der scharfen Abrisskante am Heck, das einfach bedienbare und unter einer Blechklappe voll versenkbare Stoffverdeck, die tief montierten Sportsitze und das liebevoll sportlich eingerichtete Cockpit mit seinen Kippschaltern und 5 Rundinstrumenten machten den Fiat 850 Spider zu einem Ferrari des kleinen Mannes. Er sollte die letzte Kreation von Giorgetto Giugiaro unter der Regie von Giuseppe „Nuccio“ Bertone sein, denn wenig später verließ der begnadete Designer seinen Mentor, um mit seinem eigenen Designstudio neue Wege zu gehen.

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Neben dem verhältnismäßig günstigen Preis waren vor allem die Fahrleistungen des Spider attraktiv. Dank seiner niedrigen Stirnfläche und dem geringen Gewicht von 720 kg lief er rund 150 km/h schnell. Die 49 PS genügten dafür völlig. Gegenüber dem Coupé hatten die Techniker mit einer schärferen Nockenwelle nochmals 2 PS gefunden. Die Motorcharakteristik war drehfreudig, das maximale Drehmoment entwickelte sich erst bei 4.400 U/min und die Höchstdrehzahl lag bei 7.000 Touren. 1968 erhielt der Spider ein Facelift, erkennbar an den jetzt senkrecht stehenden Scheinwerfern, sowie einen neuen, 52 PS starken Motor. Er war von 850 auf 903 ccm gewachsen und hatte dadurch auch an Drehmoment zugelegt. Der Fiat 850 Spider wurde bis 1973 gebaut und hinterließ eine Lücke in der Fiat Modellpalette, welche später mit dem Fiat X1/9 nur unvollkommen geschlossen wurde.


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Hofübergabe Hildegard von Hanspeter fuhr ihren Fiat 850 Spider sehr selten und immer nur auf kurzen Strecken innerhalb Südtirols. Die meiste Zeit stand er in der Garage unter einer Plane und durfte nur von meiner Mutter gefahren werden, erinnert sich Christian Bianco heute. Das sollte sich 1989 ändern. Der englische Frazer-Nash-Club fuhr damals alle 10 Jahre von London nach Cortina d’Ampezzo und nahm dabei die Bergstraßen Südtirols unter die Räder. Christians Mutter lernte einen der Frazer-Nash-Fahrer aus England kennen und irgendwie kam auch die Sprache auf den Fiat 850 Spider in der Garage. Ohne das Auto je gesehen zu haben, bot der Engländer angeblich 25.000.000.- Lire an, damals eine Menge Geld. Doch das Herz hing offenbar zu sehr an dem Auto und so kam kein Kauf zustande. Um jedoch weiteren Versuchungen, das Auto zu verkaufen, zu widerstehen und sicher zu stellen, dass der Fiat in der Familie blieb, bekam Christian Bianco am 17. 7. 1989 den Fiat 850 Spider geschenkt. Nach 23 Jahren waren gerade einmal 24.441 km auf dem Tacho.  


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Was folgte, waren die Beseitigung der mittlerweile aufgetretenen Standschäden, denn Christian wollte den Spider nicht nur bewundern, sondern auch ausgiebig fahren. Trotz des geringen Kilometerstandes waren zum Beispiel die Stoßdämpfer durch das viele Stehen total am Ende. Das Auto stellte sich als beinahe unfahrbar heraus. Aber neue Stoßdämpfer gab es damals nicht mehr und so mussten sie von einem Fachmann überholt werden. Bei dieser Gelegenheit wurden sie zum Zwecke der Haltbarkeit etwas härter als original abgestimmt. Nach 10.000 km war aber endgültig Schluss, doch in der Zwischenzeit hatte Christian neue Dämpfer finden können und diese dann auch selbst montiert.

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Umtriebig unterwegs Es war in jenen Jahren alles andere als einfach, Ersatzteile für den Fiat Spider zu finden, und das in Italien! Einen Markenclub gab es zwar in Holland, jedoch in der analogen „Vor-Internet-Zeit“ wusste man so gut wie nichts davon. Die markenunabhängigen Clubs hatten am Fiat 850 Spider kein großes Interesse, also blieb Christian nur eines: Selbst einen Club gründen und das gleich auf internationaler Basis! Im Herbst 1990 startete er das „International Fiat 850 Spider Bertone Team-Europe“ und bereits nach wenigen Monaten tummelten sich Mitglieder aus Südtirol, Österreich, Deutschland, Schweiz, Holland und natürlich Italien im Club. Als langjähriger Präsident organisierte Christian diverse Treffen in Südtirol, Kärnten, Deutschland und Italien. Und um das Fernweh, welches ihn als jungen Mann allzu oft erfasst hatte, zu kurieren, werden mit dem Spider ausgedehnte Reisen unternommen. Mal schnell nach Holland, Österreich oder San Marino gefahren, mal so nebenbei Tschechien, Norddeutschland oder Italien bereist. Christian ist unterwegs und eine 6.300 km lange, abenteuerliche Reise bringt ihn bis nach Schweden. Der Fiat 850 Spider ist, bis auf kleine Probleme abgesehen, ein stets verlässlicher und treuer Begleiter.


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Im Sommer 1991 widmete die italienische Oldtimerzeitschrift „Ruoteclassiche“ Christians Spider eine Titelstory, obwohl das Auto mit 25 Jahren noch nicht als echter Oldtimer galt. Fünf Jahre später sollte er dann der erste Fiat 850 Spider Bertone sein, welcher mit dem Oldtimerstatus geadelt wurde. Aber auch Christians Abenteuer erregten große Aufmerksamkeit. So setzten er und sein Freund Giuseppe Del Bon den gewagten Plan, mit dem Fiat Spider 25 Alpenpässe in 24 Stunden zu bezwingen, 1991 in die Tat um. Für diese rund 1.000 km Pässefahrt standen unter anderem Gampenpass, Rollepass, Fedaiapass, Pordoijoch, Grödner Joch, Sellajoch, Penser Joch, Jaufenpass, Umbrailpass, Stilfser Joch, Gaviapass und abschließend der Zamblapass auf dem Programm. Am 20. 6. 1991 starteten Christian Bianco/Giuseppe Del Bon in Eppan und kamen einen Tag später nach 909 km um 2 Stunden 23 Minuten „zu früh“ an. Während der Nonstopfahrt hatten sie vor allem mit schlechten klimatischen Bedingungen zu kämpfen. Auf den Dolomitenpässen regnete es fast ununterbrochen und auf dem Jaufenpass wurden sie von starkem Nebel überrascht. Keine Probleme machte allerdings der Fiat 850 Spider, der wie ein Uhrwerk lief und die extremen Belastungen erstaunlich gut wegsteckte.

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Damals wie heute schnappt sich Christian gerne den Spider und fährt einfach los. Oft nur ein paar Stunden, manchmal auch mehrere Tage oder gar in einen Kurzurlaub. Das besondere Fahrgefühl, speziell bei offenem Dach, bringt dann, nach eigenen Angaben, die Seele wieder schnell ins Lot. Die Südtiroler Berg- und Passstraßen liegen ja quasi vor der Haustüre! Und wer so eine innige Beziehung zu seinem Fahrzeug hegt, denkt nie daran, sich davon zu trennen. Selbst wenn man im damaligen Angebot die Lire durch den Euro ersetzt. Wir wünschen Christian und seinem Fiat 850 Spider Bertone noch viele schöne, gemeinsame und erlebnisreiche Jahre.

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