Heft bestellen - Das Alfa Tier Giulia, Giulietta, Duetto oder Bertone Coupe. Kleine sportlich Fahrzeuge, das war seit jeher die Kernkompetenz von Alfa Romeo. Ein Über-Alfa mit Achtzylinder-Rennmotor sollte den Griff nach den Sternen ermöglichen: der Montreal! Text: Gernot Kronberger Photos: Wolfgang M. Buchta, Archiv
1953 steigt die Traditionsmarke Alfa Romeo offiziell aus dem Rennsport aus und Anfang der sechziger Jahre beginnen die angestaubten Lorbeerkränze in der Ruhmeshalle von Portello, ihre welken Blätter zu verlieren. Etliche Privatfahrer mühen sich redlich, mit den kleinen Vierzylinder-Giuliettas das Mailänder Wappen hochzuhalten. Die glorreichen Siege auf den großen Rennstrecken dieser Welt sind nur noch Erinnerungen auf mittlerweile vergilbten Fotografien. Ende 1963 gibt Chefingenieur Oratio Satta-Puliga endlich grünes Licht für das Projekt 105.33, ein reines Wettbewerbsfahrzeug, welches in der neuen Sportprototypen-Klasse starten soll. Zum ersten Mal seit dem Tipo 512 von 1940, der durch den Krieg nie offiziell zum Einsatz kam, entsteht auf den Reißbrettern von Alfa ein Mittelmotor- Rennwagen. Trenta Tre, der motorische Urahn. Ende 1965 ist das erste Auto fertig und bekommt den brandneuen 1600er-Vierzylinder mit 170 PS, der für den TZ 2 entwickelt wurde. Gleichzeitig arbeitet man bei Alfa an einem neuen Achtzylindermotor für die großen Hubraumklassen. Das Triebwerk hat einen Zylinderwinkel von 90 Grad und sieht aus, wie eine Verbindung aus zwei 1300er Giulietta Vierzylindern. Giuseppe Busso, Chef Motoren-Mann bei Alfa, greift bei dem Achtzylinder auf die bewährte Ventilsteuerung seines Giulietta- Motors zurück. So krönen je zwei oben liegende Nockenwellen die beiden Zylinderbänke. Doch schon bald muss sich der Konstrukteur von seiner Neuschöpfung verabschieden, denn inzwischen hat sich Alfa-Boss Luraghi entschlossen, in Portello wieder eine neue Rennabteilung aufzumachen. Alles, was Rennsiege verspricht, wandert nun dorthin. Chefingenieur Orazio Satta- Puliga und sein Motorenmacher Busso widmen sich wieder dem Alltagsgeschäft. Der Einfachheit halber würfen die Mailänder nicht ein neues Team von Renntechnikern zusammen, sondern kaufen es gleich im Stück. Die kleine Tuningschmiede Autodelta geht 1966 in den Besitz von Alfa Romeo über und wird in eine GmbH umgewandelt und Carlo Chiti als Generaldirektor eingesetzt. Der ehemalige Alfa Mann Chiti ist 1957 dem Ruf des Commentatore Enzo Ferrari gefolgt und zeichnet als Chef der Versuchs- und Entwicklungsabteilung für das Dino-Projekt und den 1,5 Liter Grand Prix- Wagen von 1961 verantwortlich. Zwei Autos, die drei Weltmeistertitel nach Maranello holen sollten. Nach einem kurzen Intermezzo 1962 als Rennstall- Teilhaber bei A.T.S, Automobili Turismo Sport, in Bologna, gründet Chiti gemeinsam mit Ludovico Chizzola 1963 die Autodelta. Bei seiner Rückkehr zu Alfa wartet bereits Bussos Achtzylinder auf den letzten Schliff für den geplanten Renneinsatz. Der flache rote Rennwagen, der am 6. März 1967 im Blitzlichtgewitter der Fotografen glänzt, trägt die nüchterne Bezeichnung 33/2, wobei die 33 ein Überbleibsel der Projektnummer 1005.33 ist und die 2 auf den Hubraum von zwei Litern hinweist. Der Achtzylinder leistet 270 PS bei 9600 U/ min, was den 580 Kilo leichten Sport-Prototypen in der Langheck-Version 298 km/h schnell macht. Sechs Tage später gewinnt dieses Auto das Bergrennen von Fleron und lässt dem zweitplazierten 4,4 Liter McLaren keine Chance. Doch dieser Sieg macht weit weniger Furore als die "gedrosselte" Version des "Trenta Tre", die im September 1967 bei der Sportwagenschau in Monza zu sehen ist. Der "33 Stradale" mit der hinreißenden Karosserie von Franco Scaglione hat zwar "nur" 230 PS und ist mit seinen 700 Kilo "nur" 260 km/h schnell, stellt aber auf Wunsch diese Qualitäten am Weg ins Büro unter Beweis. Der Stradale ist ein Rennwagen mit Straßenzulassung. Er bietet den Komfort eines echten Sportwagen: zwei weit ins Dach reichende Türen, zwei Sportsitze, ein kleines Lederlenkrad, umfangreiche Kontrollinstrumente und eine Beschallungsanlage mit acht Trompeten, die glücklicherweise immer das gleiche Lied spielt und nur mit dem rechten Fuß zu bedienen ist. Sogar die fünf Magnesium- Felgen gehören zur Serienausstattung. Zwischen 1967 und 1969 entstehen ganze 18 Exemplare, genug, um der Star jedes guten Autoquartetts zu werden. Genug, um Alfa Romeo wieder einzureihen in die Gilde des italienischen Blech- Adels von Ferrari und Maserati. Wer jedoch denkt, der Stradale sei der Urahn des Montreal, der irrt genau wie der Kollege von "auto, motor und sport” 1972, siehe der Montreal im Test. Der Weg nach Montreal. Völlig unabhängig von der Achtzylinder-Euphorie in Portello greift der geistige Vater des Montreal zu seinem Handwerkszeug. Mit Bleistift wirft Marcello Gandini im Designbüro von Nuccio Bertone seinen Alfa-Traum auf den Zeichenblock. Ein hinreißend flaches Sportcoupe blinzelt unter verschlafenen Lamellen-Lidern hervor. Ganz im Stil der ausgehenden Sechziger ist es eine verspielte Vision von futuristischer Stromlinie und nostalgischer Hüftschwung-Eleganz. Vielleicht ein wenig schwülstig, aber Prototypen sind dazu da, um von Buchhalter-Rotstiften verwässert zu werden, also lieber mehr als weniger auftragen. Und weil Geschwindigkeit auf dem Papier allein durch den begnadeten Strich eines echten Meisters entsteht und nicht durch verbrennendes Benzin-Luftgemisch, nehmen Gandini und Bertone einfach Maß an der Giulia. Sie entwerfen nämlich ein Coupe für die Giulia- Baureihe, gedacht als Nachfolger des sehr erfolgreichen GT Junior. Meister Bertone ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die GT- Reihe zu den absoluten Dauerbrennern des Alfa-Programms werden sollte, und wer sägt schon einen Bestseller ab? Aus den Entwürfen entstehen zwei Prototypen und natürlich steckt unter der Fronthaube der altbekannte 1,6 Liter Doppelnocker der Giulia. Bezeichnenderweise sogar in der TI-Version mit nur einem Vergaser, wie gesagt, auf dem Papier kommt Geschwindigkeit ganz von alleine. Auch in der Alfa- Chefetage löst der Prototyp Begeisterung und Wohlgefallen aus und so einigen sich Alfa und Bertone, das bildhübsche Coupe als Schaustück der gemeinsamen Fähigkeiten zu präsentieren. Den passenden Rahmen dazu bietet schließlich die Weltausstellung "Expo 67", die anlässlich des 100. Jahrestages der Kanadischen Föderation in Montreal stattfindet. Und wie das mit schnittigen Einzelstücken nun mal so ist, es findet sich sofort eine Schar von Begeisterten, die mit Blankoschecks winken und eine Serienfertigung verlangen. Am Ende bleibt der Prototyp ganze sechs Monate in Montreal, quasi als blechgewordenes Beispiel für den Stand der Technik im Automobilbau in der Expo-Halle für "Zukunfts- Automobile". Sehr bald steht bei Alfa Romeo fest, dass das Auto in kleiner Stückzahl gebaut werden soll. Schon damals beginnen die Spekulationen um einen Mittelmotor, was offensichtlich an den Lüftungsschlitzen auf der B-Säule liegt. Sie sind aber reines stilistisches Element. Auf der Fronthaube sind übrigens auch Schlitze, sie dienen tatsächlich der Luftzufuhr des Motors. Monti, bitte warten! Für Spekulationen bleibt der Fachpresse mehr Zeit als üblich. Drei Jahre vergehen zwischen der Präsentation in Montreal und dem Start der Serienproduktion 1970. Verschiedene Karosserieschneider tun ein übriges, um die Gerüchteküche aufzuheizen. Auf Basis des 33- Stradale Chassis entstehen weitere Prototypen: Der "Carabo" von Bertone und der "P 33 Roadster" von Pininfarina, beide 1968, das "P 33 Coupe" von Pininfarina und der "Iguana" von Giugiaro, beide 1969. In der Presse mussten wieder Probleme mit dem vermeintlichen Mittelmotor herhalten, um die Terminnot des Montreal zu erklären. Stattdessen steckt der Montreal in einer hausinternen Warteschleife. Die Alfetta, die in Zukunft die großen Stückzahlen sichern soll, hat absoluten Vorrang. Daher macht das Prestige-Projekt Montreal nur sehr langsam Fortschritte. Und ein Problem zeigt sich schon sehr bald: Der Vierzylinder ist einfach zu schwach, wenn der Montreal an der Spitze der Modellpalette angesiedelt werden soll. Eine andere Rolle kann das Coupe jedoch nicht spielen, dafür ist der Bertone-Entwurf einfach zu schnell. Giuseppe Busso schlägt vor, auf den Achtzylinder des Tipo 33 zurückzugreifen, um wirklich einen Prestige-Alfa zu haben. Chefingenieur Satta bringt das Kunststück zuwege, die Chefetage von dieser absolut verrückten und teuren Idee zu überzeugen. Auch wenn der Stradale bereits eine Straßenversion des 33 darstellt, so bedarf es einer weiteren Zähmung des widerspenstigen Motors, wenn aus dem Boliden ein wirklich straßentaugliches Fahrzeug werden sollte. Busso erhöht vor allem den Hub, um aus dem bissig nervösen Zweiliter einen bulligen 2,6 Liter zu machen. Mit 80 mm Bohrung und 64,5 mm Hub, Stradale 78 mm x 52,2 mm, ist der Montreal- Motor immer noch gut für Drehzahlorgien ohne Reue. Dank der gesunkenen Verdichtung und des rundlicheren Kolbenbodens reicht nun eine Zündkerze pro Zylinder. Sowohl die mechanische Spica- Einspritzanlage als auch die elektronische Zündung zeugen noch in der Serie von der scharfen Herkunft des Triebwerkes. Da das Sechsganggetriebe der Mittelmotor-Version nicht zum Frontmotor- Konzept des Montreal passt, erhält er ein eigens von ZF entwickeltes Fünfganggetriebe. Der erste Gang liegt links hinten, also in einer Ebene mit dem Retourgang, links vorne. Die übrigen Gänge lassen sich so vorbildlich im H-Schema schalten. In technischer Hinsicht stecken unter dem Blech des Montreal einige unbefriedigende Kompromisse. Die größte Schwachstelle stellt die Hinterachse dar, die mit dem Gewicht und der Leistung des Montreal schlicht und ergreifend überfordert ist. Eine De- Dion Konstruktion, wie später bei der Alfetta, wäre die Lösung gewesen, aber im Baukastensystem der Giulia-Baureihe 105 gab es so etwas noch nicht. Auch die Transaxle-Bauweise, Getriebe und Kupplung auf der Hinterachse vor dem Differenzial, hätte die Kopflastigkeit entscheidend verbessern können. Aber die Alfetta- Achse war zu diesem Zeitpunkt noch nicht serienreif. Sie hätte aber auch nicht zur Giulia-Bodengruppe gepasst. Frischer Wind. Während die Technik den Ingenieuren noch einiges an Kopfzerbrechen bereitet, findet der Karosserieentwurf auch noch nach drei Jahren ungeteilte Zustimmung. Bis auf ganz wenige Retuschen entspricht die Serie den Prototypen von 1967. Und kein Buchhalter gebietet den Designern Einhalt, als es um kostspielige Detaillösungen geht. Der Instrumententräger aus damals hochmodernen Hartplastik scheint unmittelbar einer frühen Folge von Raumschiff Enterprise entsprungen zu sein. Nach einiger Gewöhnung kann man sogar mit einer gewissen Sicherheit den Tankinhalt schätzen. Eine filigrane Zierleiste tritt an die Stelle einer Stoßstange. Das ist auch der Grund dafür, dass originale "Monti- Nasen" nicht für viel Geld und schöne Worte aufzutreiben sind. Zum Markenzeichen des Montreal werden jedoch seine verschlafen blickenden Doppelscheinwerfer unter den typischen Lamellen. Geht das Licht an senken sich die Lamellen mittels einer genial komplexen Konstruktion nach unten und geben den Blick frei. Dass das Gesamterscheinungsbild des Montreal ein wenig an den Lamborghini Miura erinnert, ist nicht weiter verwunderlich, denn schließlich stammt auch der erste Mittelmotor-Lambo aus der Feder des Bertone- Mitarbeiters Marcello Gandini. Mit dem lange ersehnten Verkaufsstart schnellen die Stückzahlen begeistert nach oben um dann im Laufe der Jahre zu verebben. Die beginnende Ölkrise, Lieferschwierigkeiten nach den schon legendären Streiks in Italien und die schlichte Überforderung des Alfa- Servicenetzes, den Montreal entsprechend warten zu können, lassen die Verkaufszahlen langsam aber sicher nach unten gehen. 1977 werden gerade einmal 27 Stück des Kult-Coupés gebaut, ehe nach insgesamt 3.925 Stück die Produktion zu Ende geht. Zu dieser Zeit leben seine damaligen Rivalen auch nur mehr in der Erinnerung weiter: das Fiat Dino Coupe 2400 und der glücklose Citroen SM Maserati. BMW verabschiedet den 3,0 CSI, einzig und allein dem Porsche 911 S bleibt ein langes und dauerhaftes Leben erhalten. Der Alfa Montreal hat aber bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Vielleicht sind es die kleinen Unzulänglichkeiten die den Charme diese mittlerweile Exoten ausmachen. Und, Hand aufs Herz, wer vermutet beim Anblick eines Montreal ein über 40-jähriges Design? Legenden leben eben länger, auch wenn der Weg dorthin manchmal ein beschwerlicher ist! |