Heft bestellen - Der "Englische Patient" oder der "Vater des Sandes" und seine Wüstenfahrten. Teil 1, erzählt von Hans Jachim. Text: Hans Jachim Bildnachweis: Archiv Berger-Kuefstein, Haymon-Verlag,Europamotor AAZ-Wr. Ausgabe, Archiv Jachim
 Als der letzte österreichische Kaiser, Karl I., 1921 nach Ungarn reiste, um als Karl IV. die Stephanskrone zurückzugewinnen, war sein Chauffeur bei dieser missglückten Aktion ein junger ungarischer Haudrauf, der sich bereits als Kampfflieger im Krieg ausgezeichnet hatte. Almásy László Ede, wie wir ihn vorerst korrekt als gebürtigen Ungarn nennen wollen. Geboren am 22. August 1895 auf Burg Bernstein, das damals zur ungarischen Reichshälfte der Donaumonarchie zählte. Ex-Kaiser Karl hatte seinem Spitznamen "Seh-Adler" alle Ehre gemacht und László bei dieser Gelegenheit als "Graf Almásy" angesprochen, was in der Monarchie automatisch einer Erhebung in den Grafenstand entsprochen hätte. Die Horthy- Regierung dachte selbstverständlich in keiner Weise daran, diesen Grafentitel zu bestätigen. Almásy blieb ja zeitlebens trotz seiner späteren Militäreskapaden im Rommel-Feldzug ungarischer Staatsbürger, aber wir wollen ihm gelegentlich den Grafentitel, sozusagen als Anrede im Kaffeehaus, gönnen. Der junge László Almásy entpuppte sich in seiner Jugend als Universalgenie. Erzogen in Graz und Harrow, hatte er von seinem Vater das Interesse für ferne Länder geerbt, als Zweitgeborener jedoch leider nicht das Gut Bernstein. Vater György Almásy, Zeitgenosse und Freund Sven Hedins, zählt zu den bedeutendsten ungarischen Asienforschern, er unternahm 1900 mit dem Grazer Privatdozenten Dr. Stummer von Trautenfels eine neunmonatige Expedition nach Mittelasien und 1906 eine Expedition Nordchina. László Almásy entwickelte nicht nur großes Sprachentalent sondern auch Interesse für die Fliegerei und das Automobil. Den Pilotenschein hatte er bereits 1912 in England erworben. Er sprach ungarisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch und später arabisch und hatte selbstverständlich vom Vater die Sehnsucht nach fremden Ländern geerbt. Diese vielseitigen Talente konnte er vielleicht auch dadurch ausbauen, dass er anders als im Roman "Der englische Patient", der durch den gleichnamigen Film Bekanntheit erlangte, keine Zeit für Minnedienst und Frauen verschwenden wollte. Almásy unterscheidet sich von den meisten motorisierten Weltreisenden in einem Punkte: Diese waren Reisende, die mit der Technik ihrer Zeit erstaunliche Leistungen vollbrachten. Almásy war darüber hinaus selbst zum Beduinen geworden und konnte Fährten im Sand finden, die selbst den einheimischen Beduinen unentdeckt blieben. Diese seine Freunde verliehen ihm in höchster Achtung den Ehrennamen "Abu Ramla" - Vater des Sandes. Der Versuch, seine wesentlichen Expeditionen hier getrennt zu beschreiben, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Almásy praktisch permanent, nur durch kurze Pausen unterbrochen seine geliebten Wüstengebiete bereiste. Er führte darüber hinaus den Afrikaforscher Prof. Frobenius, stürzte mit einem Sportflugzeug ab, umkreiste mit dem Segelflugzeug die Cheopspyramide, war jahrelang Fluglehrer in Ägypten und stand im Zweiten Weltkrieg der Rommel-Armee als "Scout" zur Verfügung. (Nicht bestätigte Gerüchte sagen ihm sogar eine "intime Liaison" mit Rommel nach!) Die aufschlussreichsten Informationen über seine Reisen hat Almásy selbst in seinem Buch "Unbekannte Sahara" (As ismeretlen Sahara) 1939 beigesteuert, dessen ergänzter Nachdruck – nicht etwa als Übersetzung sondern von Almásy selbst in Deutsch verfasst - hier als Quelle vorliegt. 4Wer sich ausführlicher mit diesen Abenteuern befassen möchte, dem sei die Lektüre dringend empfohlen. Wenn man diese Berichte mit denen anderer Reisegefährten vergleicht, erkennt man die Nähe Almásys zu den Karawanenleuten und die Liebe zu dieser Landschaft. Was für den Einen ein Eingeborener ist, der den Weg weisen soll, ist für Almásy "mein Freund Mohammed Osman Hasan", der die Oase Selima auch ohne Wegzeichen finden will, obwohl er nur ein einziges Mal, und zwar vor sechzehn Jahren dort war. "Wir mussten die Kamele durch eine enge Schlucht hinabführen, an deren Ende das Serir Serir, (die offene Wüste) begann. Nach zwei Tagen erreichten wir den Gebel Magdud, einen steinernen Berg, durch den eine Höhle durch und durch geht. Ich kann dir nicht sagen, Herr, wann wir dort sein werden; dein Wagen ist schnell wie der Flug eines Vogels. Wenn es Allah gefällt, so werden wir vielleicht schon heute abend an jenem Berg lagern können." Almásy beherrschte nicht nur arabisch, er verstand auch die Botschaft dahinter. Doch betrachten wir nun jene wesentlichen Expeditionen, mit denen Almásy Geschichte geschrieben hat. Die erste Afrikafahrt: die Esterházy-Safari Kairo - Khartum 1926 Teilnehmer: Prinz Anton (Antal) Esterházy, Ladislaus (László) v. Almásy, Said Mohammed Baracat und ein Diener. Ein einziges Foto der gesamten Expeditionsmannschaft ist erhalten, auf dem wir neben Almásy und Esterhazy links Baracat mit einem erlegten Krokodil sehen, rechts im Hintergrund der Diener, dessen Name weiterhin unbekannt bleibt, in der Standard- Haltung für Diener: steif und unauffällig. Das Fahrzeug: ein serienmäßiger Steyr Typ VII Erste Befahrung der nubischen Wüste mit einem serienmäßigen Automobil. Almásy war nach den Kriegswirren und Abenteuern mit Kaiser Karl in den Diensten der österreichischen Steyr-Werke gelandet. Ohne Ingenieursstudium war er trotzdem in der Entwicklung und Erprobung von Steyr-Fahrzeugen besonders in schwierigem Gelände eingesetzt. Als Werksfahrer finden wir ihn als Sieger der "Polnischen Tourenfahrt" auf einem Steyr VII. So waren alle Voraussetzungen gegeben, als Prinz Esterházy nach einer Jagdsafari gelüstete. Der junge Prinz Antal Esterházy (1903-1944), Bruder des 11. Fürsten Paul Esterhazy, geboren in Lockenhaus, war nicht nur "Nachbar" des jungen Almásy sondern sogar mit diesem verschwägert. Auch ihn zog es in die Ferne und so schiffte man sich am 19. Februar 1926 in Triest mit einem absolut serienmäßigen gebrauchten Steyr VII nach Alexandria ein, um die Strecke Alexandria - Khartum unter die Räder zu nehmen. Almásy selbst gibt zu, dass praktisch keine speziellen Reisevorbereitungen getroffen wurden, der gute Steyr VII war lediglich mit einer Extragarnitur "Reithoffer-Cord" Ersatzreifen und einigen ausgewählten Ersatzteilen ausgestattet. 8 Ohne Kenntnisse der Straßenverhältnisse vor Ort - dies sollte sich im Laufe der Safari absolut verändern - musste das blauäugige Team den Einzug der britischen Court- Treatt-Expedition miterleben, die soeben die geplante Strecke mit geländegängigen Spezialfahrzeugen in umgekehrter Richtung absolviert hatten. Major Court-Treatt hatte allein für die Teilstrecke Assuan - Wadi Halfa, etwa 200 Kilometer, sechs Tage benötigt, was den Reiseplan Almásys dahingehend änderte, diese Strecke mit dem Nildampfer zurückzulegen. Als Chauffeur nahm man noch einen französisch sprechenden arabischen Taxifahrer an Bord, der sich in Alexandria begeistert angeboten hatte, Said Mohammed Baracat. Der Name des begleitenden Dieners, den man auf alten Fotografien steif und vornehm an der Seite des Prinzen Esterházy abgebildet sieht, ist dem Zeitgeist entsprechend in keinem Bericht erwähnt! Die kleine Vier-Mann-Expedition legte die geplante Stecke nilaufwärts in 12 Fahrtagen mit folgenden Tageszielen zurück: Alexandria - Kairo - Assiut - Luxor - Assuan - Wadi Halfa (per Schiff von Assuan) - Durchquerung der nubischen Wüste an drei Tagen bis Abu Hamed - Berberwüste 2 Fahrtage bis Nadi - Ali - Medeni - Chartum. Ohne die Etappe mit dem Schiff wurden dabei 2.475 km zurückgelegt, wobei sich der Steyr VII dabei als extrem zuverlässig erwies. Heutige Oldtimerbesitzer mögen es vielleicht nicht glauben - die Zustandsbeschreibung der "Strassen" folgt gleich - dass an Pannen lediglich ein gerissener Ventilatorriemen und ein (!) Pneudefekt zu verzeichnen war. Bis Chartum musste kein Tropfen Kühlwasser ergänzt werden! Almásy hatte nun in der Wüste den besten Lehrmeister gefunden und konnte folgende Erfahrungen beschreiben: Auf den ersten Etappen bis Luxor dienten die zahlreichen verzweigten Nildämme als Straßen, " ...wobei sich der Automobilist in diesem wahren Labyrinth von voneinander ganz gleichen Fahrdämmen nur schwer zurechtfinden kann. Hier lernten wir, daß jede Nachfrage an zweifelhaften Stellen infolge des Übereifers der arabischen Bevölkerung nur unfehlbar zum Verfahren führt. Im Nu ist man von einer gestikulierenden Menge umgeben und in Erwartung des landesüblichen Backschisch erbietet sich jeder, den einzig richtigen Weg zu zeigen, wobei es manchmal schwer ist, die guten Leute vom Wagen wieder abzuschütteln." Vor Assuan gab es jedoch keine befahrbaren Dämme mehr und es musste auf das Ostufer des Nils übersetzt werden, um entlang der Bahnroute der Sudanbahn und auch auf den Gleisen zu fahren. Nach der bereits erwähnten Schiffsetappe wurde ab Wadi Halfa die Durchquerung der nubischen Wüste in Angriff genommen. Man erfuhr vom englischen Gouverneur - Wadi Halfa ist der erste Ort im damals englischen Sudan - dass dieser Wüstenabschnitt bisher noch von keinem serienmäßigen Automobil durchquert worden war. Die erwähnte Court-Treatt- Expedition war ja mit zwei Spezialfahrzeugen unterwegs gewesen. Übrigens hätte 12 Jahre vorher dieses Gespräch unter "Altösterreichern" stattgefunden, denn bis 1914 war der Österreicher Sir Rudolf Freiherr von Slatin Pascha Generalgouverneur des Sudans. Es folgte nun die erste Sandwüstenlektion für Almásy: "Am 9. März frühmorgens fuhren wir mit vollen Segeln in dieses unermeßliche Land der Entsagung. Bald war nichts mehr um uns als Sand, Sand und wieder Sand, durch welchen sich das Gleis der Sudanbahn als einziges Zeichen menschlichen Wirkens zieht. ... Es dauerte lange Zeit, bis ich nach der verschiedenen Färbung den fahrbaren Sand erkennen konnte. Letzterer trug den Wagen zwar bei voller Fahrt, doch bedeutete jedes Anhalten ein augenblickliches Versinken, das stundenlanges Arbeiten mit Brettern und Wagenheber zur Folge hatte." Die anschließende Berberwüste - im Gegensatz zur nubischen Wüste eine Felswüste - war durch die tiefen Geröllschluchten nahezu unbefahrbar - 40 Kilometer in 15 Stunden - aber ab Nadi konnte dann wieder das Bahngleis benutzt werden, auf den Schwellen mit den Rädern außerhalb der Schienen fahrend. Diese Tortur für Wagen und Bereifung hatte den unglaublicher weise einzigen Reifenschaden durch einen spitzen Schienennagel zur Folge. Ab Berber ging es dann erträglich weiter: "Alles was jetzt kam, für europäische Verhältnisse zwar unerhört, erschien uns nach dem bisher Erlebten als Kinderspiel. Wir schlängelten uns durch den typischen afrikanischen Busch, nahmen kleine ausgetrocknete Flußbette, sogenannte Khors, im Fluge, wobei unser Wagen oft bis zu zwei Meter in die Tiefe sprang und am jenseitigen Ufer mit Schwung und etwas Nachhilfe emporkam; breitere Khors aber mußten wir "durchbrettern" ..." Am 18. März wurde die kleine Expedition in Khartum mit Jubel begrüßt. Man fuhr dann noch durch Riedgras und Urwald bis an den Dingerfluß, wo schließlich in altem Kolonialstil die Jagdsafari stattfand. Gruppenfoto mit Krokodil, Tropenhelm, steifem Diener und Champagner. Dann war das Ende der ersten Afrikareise gekommen und es ging per Bahn und Schiff zurück in die Heimat. Nach dieser Expedition vertiefte Almásy seine Wüstenkenntnisse und seine Fahrtechnik Er wurde 1927 von den Steyr-Werken zur "1.Internationalen Automobilausstellung" nach Kairo entsandt und unternahm dort mit dem Citroen-Techniker Leblanc Testfahrten mit Passagieren über Sanddünen. Nachdem aber eine "amerikanische weltreisende Miss" vor Schreck aus dem Fahrzeug gesprungen war, als man auf eine Düne zuraste und ein weiterer Passagier bei einem solchen "Holperer" aus dem Fahrzeug geschleudert wurde, beide blieben zum Glück unverletzt, stellte man diese Probefahrten ein. An dieser Stelle soll Almásy selbst die später angewandte Technik beim Befahren von Sanddünen beschreiben: "Die Blendwirkung gelben Sandes ist unerhört stark. Unmittelbar am Fuß einer Düne ist es trotz tiefschwarzer Augengläser unmöglich, irgendwelche Konturen im Sand zu erkennen. Man rast mit 80 Stundenkilometern gegen den senkrecht erscheinenden Hang an und hat einige Sekunden lang das Gefühl, der Wagen werde an der kristallisch glitzernden Sandmauer zerschellen. Dann fühlt man sich plötzlich in seinem Sitz zurückgeworfen wie in einem steil hochgerissenen Flugzeug. Der einzige Anhaltspunkt, den das Auge findet, ist die scharf gegen den tiefblauen Himmel abgezeichnete Kammlinie der Düne. Diese senkt sich, sobald der Wagen zu steigen beginnt, mit beängstigender Geschwindigkeit nach unten. In dem Augenblick, wo sie zum Stillstand kommt, heißt es, den Wagen mit scharfem Ruck nach rechts oder links zu reißen, weil die Höhe des Dünenrückens erreicht ist, ... um nicht in einen der tiefen Windtrichter des Kamms zu stürzen." Dass dies mit "normalen" zweiachsigen Kraftwagen mit Hinterradantrieb möglich war, grenzt beinahe ans Unglaubliche. Als Bereifung bevorzugte man übrigens bei den späteren Expeditionen 9 Zoll breite Niederdruck-Ballonreifen mit einem Innendruck von nur einem bar. Aber wir befinden uns noch bei der Automobilausstellung in Kairo und unser junger Heißsporn beschließt einen ersten Praxistest. Mit einem Beduinenführer startet er mit einem einzigen Auto (!), ohne Anmeldung der Reiseroute, mit zehn Litern Wasservorrat und ohne Lebensmittel zur 350 km entfernten Oase Baharia. Der wahnsinnige Husarenritt gelingt und bringt Almásy die Anerkennung für die erstmalige Befahrung dieser Strecke. Die Liebe zur Wüste hatte Almásy nun unwiderruflich gepackt. Er schreibt später: "Die Wüste ist schrecklich und unerbittlich, aber wer sie je kennen gelernt hat, muß wieder in die Wüste zurückkehren." In relativ kurzer Zeit erlernt er jetzt perfekt arabisch und wird im Sudan aufgrund seiner Aussprache für einen geborenen Ägypter gehalten. Und nicht genug damit, dass er als Techniker und Automechaniker schwierigste Reparaturen unter primitiven Verhältnissen ausführen konnte, vertiefte er seine Kenntnisse in Geographie, Meteorologie, Archäologie und studierte historische arabische Reiseberichte im Originaltext. 1928 organisierte Almásy neuerlich eine motorisierte Safari mit Steyr-Wagen zum Weißen Nil. Über diese Fahrt liegen uns weder von Almásy selbst noch von dritter Seite Aufzeichnungen vor. Fortsetzung im nächsten Heft: Quer durch Ostafrika - die Prinz Liechtenstein- Expedition 1929 und "Zarzura, die Oase der kleinen Vögel." |