Heft bestellen - Der Wiener Rad-Champion der Dreißiger Jahre wäre heuer 100 Jahre alt geworden Text: Franz Pulkert Photos: Archiv Familie Spani
Es waren einmal fünf Brüder, geboren zwischen 1904 und 1912 in Wien, Söhne eines Wiener Kohlenhändlers, der dieses Quintett tapfer durch die Verfallszeiten der Donaumonarchie großzog. In diesen frühen Jahren gab er ihnen aber wohl Vieles mit auf den Lebensweg, das sie später zu außerordentlichen Taten, Zähigkeit und zu großer Ausdauer befähigte. Alle fünf - Hans, Leopold, Franz, Karl und Friedl - sollten später eine wichtige Beziehung zum Radsport haben, sei es als erfolgreiche Rennfahrer, Trainer und Organisatoren, Funktionäre oder Konstrukteure. Unser Augenmerk richtet sich auf den erfolgreichsten Rennfahrer dieser Familie – auf Karl Hamedl der am 9. Oktober seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Der Weg aufs Rennrad war ein dorniger. In einem Gespräch mit der Arbeiter Zeitung 1983 erinnert er sich: "Mit Fahrrädern habe ich schon zu meiner Lehrzeit zu tun gehabt. Ich habe bei einem Fahrradmechaniker gearbeitet, bei dem viele der damals bekannten Rennfahrer aus und ein gegangen sind. Ich hab sie immer voll Ehrfurcht betrachtet und wollte auch einmal Rennfahrer werden. Dazu habe ich aber zunächst keine Möglichkeit gesehen. Ein Fahrrad, gar ein Rennrad war damals in unseren Kreisen viel wertvoller als heutzutage ein Auto. Und dann hätte es mein Chef auf keinen Fall erlaubt, daß ich Rennen gefahren wäre. Die Rennfahrer waren zwar seine Kunden, aber er hat sie allesamt als Gaukler und Zigeuner eingeschätzt. Sein Lehrbub sollte in solchen Kreisen nicht verkehren". Franz, der ältere Bruder und ebenfalls in Lehre bei einem Mechaniker, hatte inzwischen begonnen aus Wracks und Abfällen Vehikel zusammen zu bauen. Diese Ungetüme mit massivem Stahlrahmen und unförmigen Schlauchreifen wogen mit über 30 kg mehr als die Hälfte des fliegengewichtigen Lehrbuben selbst! Aber mit diesen improvisierten Monstern bestritt Franz nicht nur selber Rennen, sondern begann nun auch seine Brüder zu versorgen: Die "Radindustrie Hamedl" war geboren. Zurück zu Karl. Dieser hatte inzwischen damit angefangen sich Gedanken über Gewichtsersparnis zu machen: "Da waren etliche Bestandteile die nichts an Festigkeit verloren, wenn man sie ausfräste, ausfeilte, aushöhlte. Die Räder, die ich auf diese Weise bearbeitet hatte, waren spürbar leichter und brachten den Fahrern einen Vorteil.1" Karl wurde nun öfter von den Rennfahrern zu den rennen mitgenommen. Und bei aller Heimlichkeit (auch den Eltern gegenüber) kam es wie es kommen musste: Vom ersten Ersparten erstand Karl ein Rennrad und beteiligte sich als einer der jüngsten Fahrer an einem Rennen das von Wien nach Melk und retour führte. Schwierigstes Stück war der berüchtigte Rieder Berg. Der junge Hamedl wurde Neunter und ließ viele bekannte Namen hinter sich. Dieser Erfolg machte Eltern und den Lehrherrn sehr stolz und brachte endlich grünes Licht für seinen Wunsch Rennfahrer zu werden. Trotzden, soweit ging die Freude über den tüchtigen Lehrbuben beim Meister nicht, dass er ihm etwa ausreichend Zeit zum Trainieren gegeben hätte. Die Trainingsbedingungen damals waren unvorstellbar hart: So rappelte sich der Halbverhungerte täglich um 3 Uhr morgens aus den Federn und beendete das Training direkt an der Werkbank. Auch Franz erinnerte sich an Ähnliches: "Mit einem Stück Brot und ein paar Zuckerln im Sack ging es sonntags auf härteste Gewalttouren. Wien-Melk und zurück oder eine Partie rund um Wien waren keine Seltenheit.2" Mit 19 Jahren trat Karl Hamedl dem ARBÖ-Klub "Biene" bei und es stellten sich die großen Erfolge ein: Bereits das erste Rennen (ein Wiener Bezirksrennen auf der Schmelz) gewann er auf Anhieb. Es folgten an die 60 Siege bei unterschiedlichsten Rennen aller Größenordnungen. 1931 fand in Wien die "Arbeiter-Olympiade" statt. Ein legendäres Ereignis der Arbeiterbewegung welches auch international große Beachtung fand. Für Karl wurden diese "alternativen" Spiele zum Triumph: Gleich den ersten Bewerb – ein Rennen rund um Wien – gewann er trotz Schlechtwetters und "ungünstiger Straßenverhältnisse" wie die Tagespresse berichtete. 1933 versetzte er schließlich das französische Publikum ins Staunen als er beim international hervorragend besetzten Rennen Paris-Lille antrat. "Was schiefgehen konnte, ist schief gegangen!" erinnerte er sich 1979. Bei der Ankunft in Paris war das Rad verschwunden, ein fairer Sportsmann namens Ferry Dusika half mit einem Ersatzrad aus. Hamedl strampelte also an der Spitze einer Achtergruppe drauflos – und verirrte sich prompt auf der ihm völlig unbekannten Strecke! Als die kleine Gruppe nach verschlungenen Irrfahrten die Orientierung wieder fand, ließ sie mit einem legendären Sprint mehr als hundert Konkurrenten hinter sich! Nur eine ortskundige Achtergruppe war einfach nicht mehr zu schlagen. So wurde Karl Hamedl viel beachteter Neunter – dem französischen Rundfunkreporter verschlug es die Rede!2 Nicht vergessen sollte man, dass Hamedl als Amateur für diesen und für zahlreiche andere Triumphe keinen Groschen bekam! Österreich verfolgte zu dieser Zeit gebannt den Kampf Karl Hamedl gegen Karl Kühn - letzterer ging für die politische Konkurrenz, dem Radfahrerbund an den Start! Im damaligen überhitzten Klima ging es oft wenig sportlich zu. Noch 1979 erinnerte sich Karl Hamedl "daß man als Arbeiterradfahrer oft froh sein musste nicht vom Rad gestoßen oder gar verdroschen zu werden!2" Auch mit falschen Handzeichen "Äußerln geführt" - also in die falsche Richtung geschickt - zu werden, Materialwagen die nicht rechtzeitig zur Stelle waren, ja sogar Nägel auf der Straße zeugten vom Gift, welches damals alle Lebensbereiche erfasst hatte. Nach 1934 (der sozialistische ARBÖ war vom Ständestaat aufgelöst worden) sah sich Karl Hamedl vor die Entscheidung gestellt sich einen "genehmeren" Verein zu suchen oder seine Karriere zu beenden. Nach einigen wenig erfolgreichen Versuchen an seine großen Erfolge wieder anzuschließen beendete Karl Hamedl schließlich seine Karriere. Nach 1945 half er seiner Frau Otti (sie war bereits in den Zwanzigerjahren Sekretärin des ARBÖ- Präsidenten) bei der Arbeit zur Neugründung des Autofahrerklubs. Und Rennen fuhr er auch wieder. Aber mehr aus "Hetz" und weil es dafür Schmalz und Butter gegeben hat. Ein verlockender Preis in den kargen Nachkriegsmonaten. 1996 starb Karl Hamedl 88-jährig in Tulln. Wir danken seiner Familie, aber ganz besonders seiner 97- jährigen Witwe Otti, für die Unterstützung zu diesem Bericht.
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