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Samstag, 20. April 2024
Der letzte Mohikaner Drucken E-Mail
Geschrieben von Hannes Denzel   

Heft bestellen - "Der letzte Mohikaner"

Brèe aus 1904 - einzig erhaltenes Exemplar einer kleinen österreichischen Marke

Text & Photos: Hannes Denzel

ImageVon den österreichischen Firmen, die in der Pionierzeit des Motorrads werkelten, hat sich einzig der Name Puch in die Festplatte der meisten Oldtimer-Liebhaber eingebrannt. Dabei gab es auch einige andere, meist in Graz oder Wien beheimatete Fahrradfirmen, die ihre Palette um das moderne Produkt "Motorrad" erweiterten. So z. B. Styria, Noricum oder Regent (Bock & Hollender). Bauten die oben genannten Fahrradhersteller richtig hubraumstarke, "echte" Motorräder, so gab es auch andere, kleine Unternehmen, die meist Hilfsmotoren entwickelten, welche man dann an die Fahrräder der renommierten Hersteller hängen konnte. Zu nennen sind hier u. a. Anton Scheibert, Josef Mezera (Austria), Franz Kröttlinger - und Theodor Brèe. Von ihm ist leider lediglich bekannt, dass er in der Zeit von 1902 bis 1906 in der Weyringergasse in Wien IV einen Zweitakt-Hilfsmotor baute, der hinter dem Steuerkopf am oberen Rahmenrohr eines verstärkten Fahrrads angebracht werden konnte (bzw. von Brèe bereits auf einem Fahrrad montiert ausgeliefert wurde) und mittels Kette das große Kettenblatt antrieb. Hinter diesem befand sich ein kleines Ritzel, das die Kraft an das Hinterrad weitergab. Literatur existiert kaum, die einzigen Ausnahmen führt Libor Marcik in seinem lesens- und sehenswerten Buch "Motorräder Österreich-Ungarn 1899-1918" auf: Zwei Detailzeichnungen, eine Ergebnisliste, die den Fahrer Chlubna auf einer 1,9 PS starken Brèe als zweiten eines Bahnrennens in Wien Margarethen aufführt, sowie die Registrierung einer 2 PS starken Maschine im tschechischen Kadon.
ImageUmso erstaunlicher, dass jetzt ein kompletter Motor samt Vergaser, Tank und Hebeleien aufgetaucht ist, bei dem es sich dabei um das einzig erhaltene Exemplar dieser Marke handeln dürfte (oder liegt noch irgendwo einer rum, von dem niemand was ahnt?). Vor 2 Jahren kam die Baustelle in die Hände von Walter Neumayer ins Oldtimermuseum Altmünster. Weil es sich um eine Leihgabe handelte, sollten die Teile nur provisorisch an ein zeitgenössisch passendes Fahrrad gebastelt werden. Ein solches aufzutreiben gestaltete sich nicht weiter schwierig, beschäftigt sich das Museum in Altmünster doch hauptsächlich mit der Geschichte des Drahtesels - wichtig war nur, dass es sich im Originalzustand befand und von der Patina zu den Brèe-Teilen passte.
Aus dem Casting ging ein Modell mit dem schönen Namen "Allzeit Voran" der Styrian Meteor Werke des Benedict Albl hervor. Das "Allzeit Voran" war ab 1900 im Programm und verkörperte den Slogan des Grazer Unternehmens, welches für die hohe Qualität seiner Produkte bekannt war (was so aber auch für die meisten anderen österreichischen Fahrradhersteller gelten kann). Leider war die Bedeutung "Allzeit" für Meteor nur von sehr temporärer Bedeutung, aber das ist eine andere Geschichte ...
ImageKaum war das Projekt soweit abgeschlossen und das Ehepaar Brèe/Meteor hatte seinen Platz im Museum gefunden, konnte das Ding fix in den Bestand übernommen werden. Also alles noch einmal von vorn, und diesmal aber richtig. Das verhieß allerdings einige Arbeit: die Hilfsgabel und einige Kleinteile mussten neu angefertigt werden, wobei die Abbildungen in Libor Marcik’s Buch als Vorlage dienten. Viele andere Teile, wie z. B. die Ritzel, konnten in mühevoller Sucharbeit auf Teilemärkten oder bei anderen Sammlern im Tausch gegen so manches andere schöne Stück zusammengetragen werden. Dabei wurde offenbar, dass die Brèe mit so mancher technischen Finesse aufwarten konnte: der Tank z. B. erfüllte neben seiner Funktion als Kraftstoffbehälter auch andere Funktionen: neben der Batteriezündung beinhaltet er nämlich noch den Oberflächen- (Verdampfungs-)Vergaser, - wobei durch die Eigenbewegung des Fahrzeugs das Gas verdampft und mittels Handregler auf der Tankoberseite in das Kurbelgehäuse eingeleitet wird. Zur zusätzlichen Anregung der Gasentwicklung konnten die Auspuffgase teilweise wieder in den Tank zurückgeleitet werden. Ein für den Piloten nicht ungefährliches Verfahren, soll es doch nach Überlieferung von Betroffenen dadurch manchmal zu Feuerschlägen gekommen sein, wobei der Tank zwischen den Beinen des Bedauernswerten explodiert ist - eine kribbelige Vorstellung!
ImageWeitere Unannehmlichkeiten für den Fahrer stellt das Fehlen eines Freilaufs dar - er war dadurch zum ständigen Mittreten verdammt! Dafür verfügt die Brèe - oh Wunder der damaligen Technik - bereits über eine Einscheiben-Kupplung, noch sehr unüblich für Fahrzeuge dieser frühen Epoche! Letzterer Umstand gestattet es auch, das Baujahr des Fahrzeugs mit ca. 1903 anzusetzen - denn das Modell aus 1904 verfügt bereits über einen Riemenantrieb, wie man der Abbildung entnehmen kann. Nachdem alles zusammengebaut war, wurde das Fahrzeug noch zusätzlich aufgepeppt, indem ein paar zeitgenössisch passende Accessoires montiert wurden: als erstes ist hier die Lichtanlage zu nennen, bei der es sich um eine äußerst seltene deutsche Acetylen (Karbid-) Patronen- Laterne mit Verbindung zu einem Rücklicht handelt. Bei dieser Laterne sparte man sich das umständliche Hantieren mit dem stinkenden Karbid, man schob einfach eine fertig gekaufte Patrone von unten ins Gehäuse, verriegeln, Wasser nachfüllen, aufdrehen, anzünden, fertig. Falls einem unterwegs einmal die Karbid-Patronen ausgehen, ist am Oberrohr eine Reservekartusche der Firma Wittka montiert- einfach Schlauch umstecken, Voila! Für zusätzliche Schmierarbeiten befindet sich unterhalb des Sattels noch ein kleine Ölpumpe samt Reservebehälter, ebenfalls zur Reserve Schlauch und Mantel hinten am Gepäcksträger. Wie man sieht, scheint man mit dieser Ausstattung gegen alle Widrigkeiten des damaligen Straßenverkehrs gerüstet zu sein.
Jetzt sind die Arbeiten abgeschlossen, und die Brèe hat ihren endgültigen Platz vor der K&K Fahrrad- und Motorrad-Werkstatt neben einer Schlapfendrehbank aus 1880 im Oldtimermuseum Altmünster gefunden - ein Kapitel österreichischer Motorradgeschichte konnte so vor dem Vergessen bewahrt werden.
 
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