Chang Jiang 750 M1 |
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Geschrieben von Victor Kovalsky | |
Heft bestellen - Chang Jiang 750 M1 Text & Photos: Victor Kovalsky ![]() Es gibt in China einige Firmen, die alte Changs restaurieren und über Internet in die ganze Welt verkaufen. Benchmark in diesem neuen Marktsegment soll ein gewisser "Big Bill" sein. Mich überzeugte seine Website jedenfalls und man kann sich mit ihm ganz gut auf Englisch verständigen. Die meisten Chang Jiangs werden als Gespann bestellt. Ich entschied mich jedoch für eine Solo-Maschine, da ich mir den schweren Ballast eines Beiwagens nicht antun wollte. Die Chang Jiang 750 (M1) ist - wenn man so will - ein direkter Nachfahre der legendären BMW R-71, die von 1938-41 in Deutschland gebaut wurde. Anfang der 40er Jahre wurde die R-71 von den Russen kopiert. Angeblich sollen fünf Motorräder dieses überaus robusten und zuverlässigen Typs über einen schwedischen Mittelsmann in die Sowjetunion verbracht worden sein und dienten als Baumuster für die Ural und die Dnjepr. Dass die Lizenz - wie man da und dort lesen kann - Teil des Hitler-Stalin Paktes von 1939 gewesen sein soll, scheint mir wenig glaubhaft. Wie auch immer, nach dem Krieg war eine Genehmigung aus München für den Nachbau ohnehin kein Thema mehr. ![]() Big Bill bietet ausschließlich historische Changs aus den 60er und 70er Jahren an, damit man sie bei uns als Oldtimer zulassen kann. Man darf sich bei ihm alle Farben bis zur Military-Lackierung auswählen. Die Überweisung von 1000 US-Dollar auf ein Konto in Hongkong gilt als Auftrag. Bill verspricht, die Restaurierung in 4-5 Wochen durchzuführen. Verzollung und Schiffstransport dauern dann nochmals 1-2 Monate. Ich rechnete ja nicht damit, dass sich das ausgeht, aber lassen wir uns überraschen. Nach einigen Mails sind alle Details geklärt, das Projekt ist auf dem Weg. Im Laufe der nächsten Wochen bekomme ich eine Flut von Warnungen aus dem Bekanntenkreis was die Verarbeitungsqualität der Chinesen betrifft. Ich höre sogar, die Maschinen müssten nochmals komplett zerlegt werden, ehe sie halbwegs funktionieren. Manche meinen, ich hätte die Dollars besser in ein paar edle Rotweine investiert. Ich bin auf alles gefasst. ![]() Die passende Batterie findet sich rasch, ein halber Kanister Treibstoff hinein und man höre und staune: ein sanfter Tritt auf den Kickstarter und - aller Unkenrufe zum Trotz - schon läuft der chinesische Saurier. Der Motor knattert fröhlich und sauber, die Verbrennungswerte lassen sich problemlos auf das geforderte Limit herunterschrauben. Nun folgt der Canossagang zur Magistratsabteilung 46. Beim ersten Anlauf gibt’s zunächst ein paar Auflagen aber keine Spur einer pessimistischen Grundhaltung. ![]() Herbst zieht ins Land, als ich endlich meine erste Ausfahrt absolvieren kann. Der größte Schwachpunkt wird sogleich spürbar: die Bremsen sind nicht von dieser Welt. Ein gebührender Sicherheitsabstand zu vorausfahrenden Verkehrsteilnehmern erscheint ratsam. Die Chang Jiang ist keine Rakete - das haben wir uns auch nicht erträumt, ihr Fahrverhalten gereicht aber durchaus zur Freude. Sie wirkt etwas schwerfällig, doch mit einer Portion Zivilcourage lässt sie sich recht vernünftig bewegen. 24 Tuning-PS sind nicht gerade viel gegenüber 185 kg Trockengewicht, dafür geizt sie nicht mit Drehmoment. Beschleunigungswerte lassen sich ermitteln, jedoch wollen wir hier nicht damit prahlen. Mit etwas Geduld erreicht man eine respektable Reisegeschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde. Unterm Strich ist der Gesamteindruck überaus positiv. Auch die Passanten zeigen sich angetan von dem urtümlichen Kraftrad. Manche halten es für eine Harley, einige Kenner erahnen doch die deutschen Wurzeln. Der rote Stern am Tank gibt allerdings Rätsel auf. Bei der Probefahrt hat die Chang ein paar Schrauben von sich gebeutelt. Ich schätze, im Winter werde ich mich doch noch ein paar Stunden mit ihr beschäftigen müssen. |
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