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Donnerstag, 25. April 2024
Restaurierung Meyra Motorwagen 56 Drucken E-Mail
Geschrieben von Dietmar Pauw   

Heft bestellen - Restaurierung Meyra Motorwagen 56

Ein fast vergessenes Fahrzeug

Text & Photos: Dietmar Pauw

 

ImageIm November 1997 hatte mein Bruder ein Dreirad vor dem Verschrotten gerettet. Mindestens 10 Jahre stand dieses Gefährt draußen, in der Salzluft direkt hinter dem Deich an der Nordsee, wahrscheinlich auch länger. Ein sehr trauriger Anblick, nur Schrott.
Wenn er nur ein paar Minuten später gekommen wäre, ... Die Autoverwertung war da. Kurz entschlossen sagte er: "Ich möchte das Gerät haben!" Dafür musste er dann auch noch Einiges bezahlen.  Ein Anhänger musste her. Nach einer Stunde zog er dann los. Was hatte mein Bruder da bloß gekauft? Zu Hause, bei den Eltern abgeladen. Einige Teile waren durch den Transport schon von selbst abgefallen. Zwei Embleme am Vorderbau der Karosse waren noch dran: Krankenfahrzeugfabrik Meyra, Wilhelm Meyer, Vlotho. In der geöffneten Tür, an der Karosse, war ein Typenschild angebaut. Hersteller, Fahrgestellnummer und Baujahr 1957 waren noch zu erkennen. Das Fahrzeug wurde in der Garage geparkt. Dort stand es diverse Jahre. Sehr zum Unwohl unserer Mutter. Ihr stand dieses "Geräcke" nur im Wege.  Bei unserer Mutter ist alles was unförmig ist ein Geräcke. So war es auch der Meyra.
Noch bevor ich mit der Restauration begonnen hatte, wurde mit der Herstellerfirma Kontakt aufgenommen. Es gab fast nichts mehr. Aus dem Archiv erhielt ich dann doch noch einige Kopien über dieses Fahrzeug. Es war ein Motorwagen 56 mit einem Ilo Motor M 200 V3R, drei Vorwärtsgänge, ein Rückwärtsgang. Mehr Informationen mussten her. Aber, es gab keine weitere Quellen.  Trotzdem stand für mich fest: Dieses Fahrzeug musste wieder zum Leben erweckt werden. Ab dem 1. Dezember 2005 ging es los. Alle Teile wurden nach Winsen transportiert.
Vorweg war ich beim TÜV. Ich hatte hier einen sehr kompetenten Ansprechpartner. Auch er wollte mir helfen, um an Daten und Informationen zu kommen. Er hielt Wort und wir hatten über das kommende Jahr ständig einen guten Kontakt. In fast 800 Stunden wurde die Meyra zerlegt, Teile besorgt, vieles selber angefertigt. Die Dreh- u.  Fräsmaschine waren bei mir im Dauereinsatz.  Es machte aber immer wieder Spaß. Meine Frau hatte oft das Nachsehen. Wenn ich zum Essen kommen sollte, war das oft ein Zeitproblem, weil gerade die Drehmaschine lief oder ähnliches. Oft waren die Kartoffeln kalt!! "Dies ist ein Ausnahmezustand und der geht auch mal wieder zu Ende", war immer wieder meine Ausrede.
ImageAlle Oldtimerbörsen im Umkreis von 200 Kilometern wurden besucht. Das Internet wurde auch ständig genutzt. Viele Teile wurden gekauft und teilweise umgearbeitet. Viele nette Leute dabei kennen gelernt. Heute sind es Freunde! Div. Firmen haben mir weitergeholfen. Der Tacho musste komplett erneuert werden, ebenso der Reflektor und alle Bremsen. Alles lief gut mit. Was mir davon lief, war die Zeit. Ich wollte eigentlich zum Sommeranfang mit der Restaurierung fertig sein, wollte ... Ab Mitte Juli wurde mit der Montage zum Neuaufbau begonnen. Die Karosse war inzwischen lackiert worden. Jeden Tag sah man den Fortschritt. Es machte immer wieder richtig Spaß. Selbst im Urlaub musste ich immer wieder an das Gefährt denken. Unsere Nachbarn hatten auch viel zu ertragen. Motorenprobelauf ohne Schalldämpfer, flexen und schleifen auch am späten Abend dazu dann auch immer noch die Musik aus dem Radio. Das alles spielte sich draußen auf dem Hof ab. Ich hatte einen Nachbarn dann mal zum Tee eingeladen. Es kam nur ein schnelles Nein!! Das war´s. Mich störte das nicht.  Weitermachen, das ist wichtig. Die Zeit lief davon.  Anfang Oktober 2006 war alles fertig. Die Meyra war komplett zusammengebaut. Ein tolles Gefährt. Fahren musste ich nun lernen!
Da dieses Fahrzeug für Leute mit Beinbehinderungen gebaut worden war, wurde die gesamte Fahrzeugsteuerung vom Lenker aus bedient.  Kuppeln, Gasgeben, Blinker rechte Lenkerseite, schalten, bremsen, Licht links. Alles gewöhnungsbedürftig.  Auch unsere Nachbarn hatten es jetzt erst recht nicht leicht. Da wir in einer Sackgasse wohnen, konnte ich die Fahrlernversuche hier absolvieren. Alle wurden vom Motorlärm und dem Nebel vom Zweitakter genervt. Aber, keiner sagte auch nur ein Wort. Das ist Nachbarschaft!
ImageNach dem die Unterlagen vom Kraftfahrt-Bundesamt gekommen waren, fuhr ich am 18.10.06 zum TÜV, Neuabnahme. Der Sachverständige, Dipl. Ing. Herr T. H. hatte die Aufgabe, die Meyra zu prüfen. So ein Teil hatte er auch noch nicht gesehen. Wir beide hatten für zwei Stunden Spaß und viel Unterhaltung bei der Abnahme. Ohne Mängel! Für mich stand jetzt fest: Diese Meyra ist wieder am Leben. Am nächsten Tag ging es zur Zulassungsstelle, gleich morgens. Das Kennzeichen wurde schnell angebaut, mit Draht. Hauptsache dran und los. Auf in den Straßenverkehr.  Das Wetter machte mit. Sonnenschein, goldener Oktober. Über das, was ich dann unterwegs erlebte, könnte ich allein ein Buch schreiben. Leute an Straßenrand winkten, LKW‘s hupten und alle schauten mir hinterher. Div. Male musste ich anhalten, weil ein Foto gemacht werden sollte.  Mit so einem Fahrspaß hatte ich nicht gerechnet.  Überall Staunen und Aufsehen. Da das Wetter bis in den Dezember hinein sehr gut war, wurde jede freie Zeit genutzt, mit der Meyra zu fahren. Über die Wintermonate habe ich das Gefährt in einem Schaufenster geparkt, gut und trocken. Ausstellungsgebühr: Runde Kuchen mit Schlagsahne.
Eine traumhafte Überwinterung für die Meyra, Fußbodenheizung, immer warm und sauber, keine Probleme mit Frost, Nässe, Rost usw.
Es hatte sich gelohnt, dieses Fahrzeug wieder aufzubauen.  Viele neue Freundschaften haben meine Frau und ich durch dieses Gerät gefunden und möchte hiermit allen Dank sagen, die mir oder genauer uns geholfen haben.
Ab April, im nächsten Jahr gings wieder auf Tour. Wenn Zeit da war, das Wetter mitspielte ging‘s los. Selbst die Einkaufsfahrten machten immer viel Spaß. Die größte Sache war immer, wenn ich den Motor über den elektrischen Anlasser (Dynastartanlage) gestartet hatte und dann rückwärts aus der Parklücke gefahren war. Dann war das Staunen groß. Immer wieder musste ich über dieses Gefährt unterwegs berichten. Viele Oldtimertreffen besuchte ich. Immer wieder staunen und Fragen: Was ist das denn da?
ImageDie größte und verrückteste Veranstaltung war das Harley Treffen in Hamburg, die Harley Days im Juni 2008. Mein Bruder war aus Ostfriesland mit einem Harley-Gespann nach Hamburg gekommen. Sein Snack war immer: "Du musst mit deiner Komforte mit zu den Harley-Tagen kommen." Das war dann auch so. Vor dem Michel in Hamburg (größte Kirche, St. Michaelis) hatten wir uns getroffen. Runde Eis bei Traumwetter und dann zum Veranstaltungsplatz. Was ich hier erlebte, ist nicht zu beschreiben. Es gibt viele ausgeflippte Harley-Fahrer. Als sie mich mit der Meyra sahen, waren Harley und Co. im Moment vergessen. Als ich dann auch noch rückwärts in eine enge Parklücke fuhr, ging nur noch ein Raunen durch die Menge. Den Tag, den ich hier unter den Harleys erlebte, kann man nicht beschreiben. Man muss es erleben.
Über das ganze Kapitel Meyra könnte ich Bücher schreiben. Viele Touren habe ich unternommen.  Quer durch Norddeutschland. Immer wieder aufregende Sachen erlebt.  Durch Zufall habe ich sogar einen guten Ersatzmotor an Land gezogen. Das war die Stecknadel im Heuhaufen. Sowas muss es aber auch geben.
Inzwischen weiß ich, daß dieser Meyra Motorwagen 56 wohl eines der letzten Gefährte ist, der Rost und Co. oder auch nur die Verschrottung überlebt hat.
Es gibt inzwischen eine weitere Meyra 56 im Straßenverkehr, aber mit einem Sachs Motor. Es fehlt also der wichtige Rückwärtsgang. Es ist aber auch nur eine kleine Anzahl dieser Motorwagen gebaut worden. Verkauft sind die damals gefertigten Fahrzeuge nicht alle.
Was ich noch immer suche, sind Teile, Prospekte von damals und Infos über diese Fahrzeuge. Vielleicht kann ja der eine oder andere weiterhelfen.  Ich bin aber auch immer dabei, wenn es um eine Restaurierung einer Meyra geht. Man sieht, was aus Schrott doch noch wieder gemacht werden kann. Es hat sich gelohnt.
 
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