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Donnerstag, 28. März 2024
Vittorio, der Schreckliche? Drucken E-Mail
Geschrieben von Stefan Schmidt   

Heft bestellen - Motorsport Geschichte - Vittorio, der Schreckliche?

Seit jeher von vielen belächelt, andererseits auch auf Grund seiner unverwüstlichen Art speziell in Italien als Held verehrt, verstarb Vittorio Brambilla 2001.  Vor 30 Jahren erklärte er seinen Rücktritt aus der Königsklasse des Motorsports.
Grund genug sich der Geschichte des spektakulären Italieners aus Monza näher anzunehmen und so manche vorgefasste Meinung nochmals zu überdenken.

Text & Photos: Stefan Schmidt

 

Image"Es tut weh zu sehen, wie liebevoll die Mechaniker das Auto vorbereiten, es polieren, es geht raus und ... KNALL!" so reagierte John Surtees als sein Fahrer Vittorio Brambilla in der Saison 1977 achtzehn Unfälle hatte. An der vorherrschenden Meinung über Vittorio Brambilla, dass er jeden Teamchef arm gemacht hätte, hat sich bis zum heutigen Tag, auch 30 Jahre nach seinem Rücktritt aus der Formel 1 und neun Jahre nach seinem Tod, nicht viel geändert. Dass John Surtees und das Team Surtees die Formel-1-Saison 1977 überhaupt erst bestreiten konnten, nachdem er nicht nur Brambilla als Fahrer, sondern mit diesem auch Beta, als millionenschweren Sponsor bekommen hatte, erwähnte John Surtees nicht.  Ebenso, dass Vittorio Brambilla in den meisten Rennen mit dem nicht gerade konkurrenzfähigen Surtees TS-19 stets schneller war als seine Teamkollegen Hans Binder und Patrick Tambay, die sich teilweise nicht einmal für die Rennen qualifizieren konnten.
Wie kam es also, dass der 1937 in Monza geborene Vittorio Brambilla ebenso wie sein sechs Jahre älterer Bruder Ernesto, auch Tino genannt, als Crash-Piloten und brutale Draufgänger stilisiert wurden? Vielleicht war es Brambillas Verhalten auf der Strecke, seine Statur und dem daraus resultierenden Spitznamen Monza-Gorilla oder der Umstand, dass sich die Presse auf gerade diesen Fahrer eingeschossen hatte, der mit überdurchschnittlich hohen Alter erst sehr spät in die Formel 1 kam. Vittorio Brambilla fuhr nämlich erstmals 1974 im Alter von 37 Jahren in der Formel 1, sein um zwei Jahre älterer Landsmann Lorenzo Bandini fuhr bereits 13 Jahre zuvor mit 26 Jahren sein erstes Rennen in der Formel 1. Zu dieser Zeit, Anfang der 60er Jahre, hatte der obligatorische Militärdienst Vittorio Brambilla gezwungen, Helm und Handschuhe vorübergehend an den Nagel zu hängen. Vorher waren die beiden Brambilla Brüder in den 50er Jahren gemeinsam Motorradrennen für Motoguzzi und MV Agusta gefahren. Es dauerte nicht lange bis auch Vittorio wieder Rennen fuhr. zunächst Kart, dann Formel 3 und Formel 2. In allen Serien lieferten sich die beiden Brüder wilde Duelle, die für alle Beteiligten sehr gefährlich waren und auch zu haarsträubenden Unfällen führten. Sein Bruder Ernesto schaffte es ebenfalls in die Formel 1, fuhr sogar für Ferrari, kehrte aber schon bald dem Rennsport den Rücken.
ImageVittorios Leidenschaft für den Rennsport und sein überdurchschnittlich hoher Einsatzwille - vor allem weil er nie wusste, wann er sich geschlagen geben musste, verschafften Vittorio aus Monza immer wieder sichere Schlagzeilen.  So auch 1972 am Nürburgring, als Brambilla am Abschnitt Brünnchen von der Strecke abkam und sich dadurch einen Reifenschaden einhandelte, anschließend aber noch bis zum Abschnitt Pflanzgarten weiterfuhr, wo ihn die Streckenposten von der Strecke wiesen. Brambilla dachte aber nicht daran, hier und jetzt seinen Wagen abzustellen, durchfuhr kurzerhand das offene Tor zur Bundesstraße B412 und steuerte seinen Formel 2 Brabham auf der Bundesstraße im Gewühl des normalen Straßenverkehrs in Richtung Boxen.  Erst auf der Döttinger Höhe konnte er durch eine eiligst von der Polizei errichtete Straßensperre gestoppt werden.
In der Formel 1 war sein bestes Jahr 1975. Brambilla hatte mit seinem orangefarbenen March bereits bei den Großen Preisen von Belgien in Zolder und Schweden in Anderstorp auf sich aufmerksam gemacht, und dort sogar seine erste Pole-Position herausgefahren. Der Höhepunkt dieser Saison und das Highlight von Vittorio Brambillas Rennfahrerkarriere war sicherlich der Sieg beim Großen Preis von Österreich. Brambilla, der als einziger mit einem perfekten Setup für Regen startete überholte in einem von schweren Regenfällen geprägten Rennen, seine Gegner nach und nach und gewann das Rennen, nachdem es noch vor Halbzeit des Rennens abgebrochen wurde! Zuvor wunderte man sich in der March-Box jede Runde, in der Brambilla überhaupt "noch" vorbeikam. Man vermutete, dass dies seine letzte Durchfahrt bei Start/Ziel sein müsse und der unvermeidbare Brambilla-Unfall in der nächsten Runde kommen müsse. Der Unfall kam zum Glück erst, als Brambilla als Sieger die Zielflagge sah und vor Begeisterung die Arme vom Lenkrad nahm, dabei mit dem Daumen am Lenkrad hängen blieb, und sein den Hügel nach Start/Ziel hinaufschleuderndes Auto mit einem dumpfen Knall gegen die Begrenzung krachte.
ImageAnschließend fuhr Brambilla mit einer lädierten Frontpartie zurück zur Box, dabei winkte er mit verrückten Gesten in Richtung Publikum. Nach der Siegerehrung scherzte Bernie Ecclestone, als er zu ihm kam, um ihn an den zweiten Lauf zu erinnern, zu dem es selbstverständlich nicht mehr kam, da das Rennen bereits mit der schwarz-weiß karierten Zielflagge beendet worden war. Die völlig zerbeulte Frontpartie seines March hat er sich anschließend zu Hause in Lesmo als Erinnerung an die Wand genagelt. Im September 1975 gewann er noch ein Rennen - diesmal auf zwei Rädern und ohne Motor! Dabei handelte es sich um ein über die Distanz von einer Runde führendes Fahrradrennen der Formel-1-Fahrer in Monza, das vor dem eigentlichen Formel-1-Rennen ausgetragen wurde. 1977, als er neben seinem Engagement in der Formel 1 für Alfa-Romeo die Sportwagen-Weltmeisterschaft gewinnen konnte, lieferte er sich mit seinem Teamkollegen Arturo Merzario harte Rennen, wobei Merzario einmal damit drohte beim nächsten Rennen mit seinem Anwalt zu erscheinen, da er sich sicher war, dass Brambilla ihn umbringen wollte. In einem anderen Rennen dieser Saison, sprang Vittorio, an den Boxen angekommen, selbst aus dem Auto um seinen Mechanikern zu helfen, den bei einer Kollision mit Merzario beschädigten Wagen wieder zu reparieren. Noch im selben Jahr fuhr Brambilla am Salzburgring mit seinem Alfa-Romeo Tipo 33SC12 eine legendäre Runde mit einem Schnitt von über 210 k/mh. Dieser Rekord ist seither ungebrochen!  In der Formel 1 lief es in diesem Jahr weniger gut. Brambilla war zum Team von John Surtees gewechselt. Surtees und Brambilla hatten beide ihre Karrieren mit Motorrradrennen angefangen, von daher begegneten sich beide anfangs mit Respekt, später kam es zu unvermeidbaren Kontroversen. Trotz aller Probleme blieb Vittorio Brambilla auch 1978 bei Surtees, wobei sich die Saison genauso erfolglos gestaltete, wie das Jahr 1977. Bei einer Startkollision in Monza, an der Brambilla unverschuldet beteiligt war und an deren Folgen Ronnie Peterson starb, wurde Vittorio durch ein durch die Luft fliegendes Rad das ihn am Helm traf, schwer verletzt. Der Italiener trug einen Schädelbasisbruch davon und lag monatelang im Krankenhaus.
ImageAuf Grund seiner Erfahrung wurde der inzwischen 42-jährige Vittorio 1979 von Alfa-Romeo als Testfahrer für das Autodelta Alfa-Alfa Formel- 1-Projekt eingesetzt. Gemeinsam mit dem jungen, aufstrebenden Talent Bruno Giacomelli, der 1978 überragend Formel-2-Europameister geworden und auch schon einige Rennen für das McLaren Formel-1-Team gefahren war, entwickelte Brambilla zunächst den Alfa-Romeo Tipo 177 mit flachem Unterboden und 12-Zylinder- Boxermotor und später den Alfa Romeo Tipo 179 mit Ground-effect und 12-Zylinder V-Motor. Nachdem Bruno Giacomelli den 177er bei einigen Rennen fahren durfte, setzte man auch Vittorio Brambilla für drei Rennen auf den Rennstrecken von Monza, Montreal und Watkins Glen ein. 1980 setzte das Alfa-Romeo-Team auf die Fahrerpaarung Bruno Giacomelli und Patrick Depailler, Brambilla kam erst zum Einsatz nachdem Depailler bei Testfahrten in Hockenheim tödlich verunglückt war. Von nun an konnte Vittorio Brambilla beweisen, dass er mit 43 Jahren noch nicht zum alten Eisen gehörte. Immerhin hatte er wiederholt nicht nur dem Alfa-Romeo- Teamleiter Ing. Carlo Chiti, sondern auch jedem Journalisten in und außerhalb Italiens erzählt, dass er mindestens eine Sekunde schneller sei, als Giacomelli und Depailler. Brambilla fuhr als Depailler-Ersatz zwei Rennen in Zandvoort und Imola für Alfa-Romeo, die er beide mit Unfällen beendete. Schlussendlich musste er sich eingestehen, dass seine Zeit in der Formel 1 abgelaufen war. Sein Nachfolger bei Alfa-Romeo wurde der blutjunge Andrea de Cesaris, der zwar nie den selben Stellenwert bei den Tifosi hatte wie Vitorio Brambilla, allerdings genauso häufig mit haarsträubenden Unfällen in den Schlagzeilen auftauchte.
ImageIn den folgenden Monaten fuhr Vittorio Brambilla nur noch einige Sportwagenrennen, unter anderem gemeinsam mit Lella Lombardi. Es war ihm aber jetzt bewusst, dass seine Zeit vorbei war und so zog er sich endgültig aus dem internationalen Motorsport zurück, um in Monza als Mechaniker gemeinsam mit seinem Bruder Ernesto eine Werkstatt zu betreiben. So wild er auf der Rennstrecke gewesen war, so ruhig galt Vittorio privat, als ausgeglichener Mensch, der das Familienleben genauso liebte wie die Gartenarbeit.  Als er 1996 von Maserati eingeladen wurde, im Ghibli-Open-Cup-Rennen gegen Lavaggi, Tambay, seinen alten Freund Merzario und andere anzutreten, nahm er freudig an und erreichte einen guten fünften Platz. Ende der 90er Jahre sah man Vittorio Brambilla dann wieder häufiger an den Rennstrecken Europas, diesmal aber nicht als Fahrer, sondern als Betreuer und Mechaniker für seinen Sohn Carlo, der unbedingt wie sein Papa und sein Onkel Rennfahrer werden wollte. Es muss ein denkwürdiger Anblick gewesen sein, Brambilla im Blaumann, der ölverschmiert unter dem Formel-3-Auto seines Sohnes lag, um Einstellungen vorzunehmen. Eines Tages in Monza kam, was kommen musste. Vater und Sohn Brambilla diskutierten über Kleinigkeiten und ein Streit über die Fähigkeiten des Sprösslings entstand. Als es Vittorio zu dumm wurde, nahm er sich kurzerhand den Helm des Sohnes und fuhr im Blaumann mit Arbeitshandschuhen nach nicht einmal fünf Runden zwei Sekunden schneller als Carlo. Zurück an den Boxen brüllte er: "Das ist kein Job für Dich". Carlo Brambilla stieg nie wieder in ein Rennauto und auch Vittorio war somit nicht mehr an den Rennstrecken zu sehen. Der Held so vieler Motorschlachten, ob auf zwei oder vier Rädern, starb im Mai 2001 an einer Herzattacke als er in seinem Garten friedlich den Rasen mähte.
ImageVittorio Brambilla hatte viele Unfälle, keine Frage, er war mit Sicherheit kein Analytiker wie Niki Lauda. Eddie Cheever erinnert sich an Brambilla als einen tapferen, schnellen Fahrer, der dem Klischee des draufgängerischen Rennfahrers entsprach, denn Brambilla war ein Racer durch und durch. Selbst der ehemalige McLaren Formel-1-Chef Ron Dennis erinnerte sich kürzlich an Brambilla als unverzichtbares Mitglied seines Project-3-Formel-2-Teams, ohne dessen Hilfe der Aufbau des Teams und daraus resultierend viele Erfolge nicht möglich gewesen wären.  Sein ehemaliger Mechaniker bei March, der wegen Brambilla’s Temperament nicht um seinen Job zu beneiden war, erinnert sich an Brambilla als einen Fahrer, der zwar das Material schonungslos beansprucht hat, allerdings niemals aufgegeben, sich nie geschlagen gegeben hat und so im Gegensatz zu seinen teils renommierten Teamkollegen aus jedem Auto das Beste herausholen konnte.
Im Jahr nach seinem Tod erschien ihm zu Ehren ein Song von der österreichischen Band Gelee Royale mit dem Titel "Vittorio Brambilla", eine gelungene Homage an den legendären Monza- Gorilla. Den Text schrieb der Autor Martin Amanshauser. Dieses knapp 10-minütige, hörens- und sehenswerte Werk ist auf einschlägigen Video-Portalen zu sehen und ein MUS für jeden Fan.

 
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