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Donnerstag, 25. April 2024
Messerschmitt 109 Drucken E-Mail
Geschrieben von Jürgen Schelling   

Heft bestellen - Messerschmitt 109 - Fliegende Technikgeschichte

1935 flog die Messerschmitt 109 zum ersten Mal. Heute ist sie extrem selten.

Text: Jürgen Schelling
Photos: EADS, Archiv Austro Classic

 

ImageDie Silhouette des extrem widerstandsarm geformten Flugzeugs wird ungewöhnlich rasch größer. Das Geräusch geht dabei von einem zornigen Fauchen in ein aggressives Donnern über.  Sekundenbruchteile später ist die Maschine über die Köpfe der begeisterten Zuschauer auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 2010 in Berlin hinweggerast. Zwei Senioren murmeln ergriffen: "Genau wie damals!"
Die Tatsache, dass sich die beiden alten Herren noch an dieses Flugzeug erinnern, lässt vermuten, dass sie hoch in den Achtzigern sind. Denn die Glanzzeit der Messerschmitt BF 109, wobei das BF für Bayerische Flugzeugwerke stand, waren die Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts bis in die Fünfziger. Nach dem Erstflug im Mai 1935 begann eine außergewöhnliche Karriere mit unzähligen Varianten. Mehr als 33.000 Maschinen liefen damals vom Band, dazu nach dem Krieg einige hundert Lizenzbauten in Tschechien und Spanien. Natürlich war die 109 ein todbringendes Militärflugzeug, das in großen Teilen Europas Angst und Schrecken verbereitete.  Allerdings wurden viele ihrer damals fortschrittlichen Technik-Features später von zivilen Flugzeugen übernommen. Dazu zählt die Ganzmetallbauweise, die Verwendung eines geschlossenen Cockpits und die Ausrüstung mit einem Einziehfahrwerk. Diese in den Dreißigerjahren hochmoderne Technik fand nach dem Zweiten Weltkrieg Verwendung in den Reisemaschinen von Cessna, Piper, Beechcraft und Mooney und gilt bis heute als fortschrittlich.
Dass enormes Potenzial in dem Entwurf steckte, machen auch die ständig gesteigerten Flugleistungen über einen Zeitraum von 10 Jahren nach dem Erstflug deutlich: Hatte der Prototyp noch einen britischen Rolls-Royce Kestrel-Motor mit 690 PS, der die Maschine auf etwa 460 Stundenkilometer brachte, so verfügte die letzte Version 1945 über einen Daimler-Benz DB 605 DC, der kurzzeitig 2000 PS bereitstellte und die Maschine in über 7000 Metern Höhe die 700-Kilometer-Schwelle übersteigen ließ.
ImageAber bereits damals hatte die 109 einen Ruf als "zickige Diva": Wunderbare Flugleistungen und vor allem in den späten Modellen Power ohne Ende zeichneten sie aus, aber dafür ein äußerst kritisches Start- und Landeverhalten. Wer sich das Fahrwerk einmal aus der Nähe betrachtet, bekommt einen Eindruck, warum das so ist. Extrem schmal ist die Spurweite, eigentlich viel zu nahe stehen die beiden Räder beieinander, und deshalb ist der Startlauf wie auch das Verhalten beim Aufsetzen ein regelrechter Eiertanz.
Trotz der enorm hohen gebauten Stückzahl hat nur eine Handvoll der Messerschmitt-Jäger überlebt: Fünf 109 mit Original-Daimler-Benz-Zwölfzylinder sind weltweit noch flugtüchtig, drei in Deutschland und je eine in US A und Kanada. Und dann fliegen noch einige "Hybrid"-109: Sie wurden nach 1945 in Spanien mit dem Zwölfzylinder des einstigen Hauptkonkurrenten Spitfire, einem Merlin V-12 von Rolls-Royce ausgerüstet, da keine Daimler-Benz-Motoren mehr lieferbar waren.
Ehrlicherweise muss man auch einräumen, dass jedes der drei deutschen 109-Exemplare in den Varianten G-4, G-6 und G-10 von Messerschmitt-Stiftung und EADS Heritage Flight im bayerischen Manching aus Teilen und Triebwerken verschiedener Flugzeuge besteht. Eine Tragfläche hier, ein Rumpf dort, von irgendwoher ein Leitwerk - es ist ein extrem aufwändiges Puzzlespiel mit Kosten im siebenstelligen Euro-Bereich, will ein solventer Oldtimer-Fan eine flugfähige 109 mit originaler Anmutung besitzen.
Die wohl noch größere Herausforderung als ein Wiederaufbau ist aber das Fliegen mit der Diva: Gerade weil Piloten heute keine 1500 PS starken Spornrad-Einsitzer mehr gewohnt sind, gibt es weltweit gerade mal eine Handvoll Piloten, die eine 109 für ihren jeweiligen Eigentümer bewegen dürfen. Und vor 70 Jahren hatten die Me-Bändiger zumindest noch den Vorteil, von kreisrunden Grasplätzen aus immer exakt gegen den Wind starten und landen zu können. Diese Erleichterung ist in Zeiten asphaltierter Runways passé.
Wer aber einmal den Gänsehaut-erzeugenden Sound des Daimler-Benz-Zwölfzylinders beim Start oder beim Überflug gehört hat, wird ihn so schnell nicht mehr vergessen. Und die Chancen stehen gut, ihn in der diesjährigen Flugsaison live zu erleben: Die EADS Heritage Flight will alle drei von ihr betriebenen 109 abwechselnd bei mehreren Airshows in Mitteleuropa vorführen.
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