Holcroft 1 3/4 H.P. 1901 |
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Geschrieben von Hannes Denzel | |
Heft bestellen - Holcroft 1 3/4 H.P. 1901 - Aller Anfang ist schwer Holcroft 1¾ H. P. aus dem Pionierjahr 1901. ![]() Der heutige Besitzer, Peter Ehringer aus Trimmelkam, musste erst gründlich recherchieren - wobei ihm manchmal der Zufall zu Hilfe kam - bevor sich die Geschichte der Entstehung dieses Einzelstücks mit vielen "dürfte" und "könnte" erzählen lässt: Harry Holcrofts Vater betrieb im britischen Wolverhampton eine große Gießerei. In der Nachbarschaft lebten die vier Stevens Brüder, mit denen er gut befreundet war, so kann man jedenfalls annehmen. Auch deren Vater Joe hatte eine große Fabrik, die Stevens Screw Company Limited. Allesamt waren sie Kinder des noch jungen Industriezeitalters und allen technischen Neuerungen gegenüber mehr als nur aufgeschlossen. Besonders angetan hatte es ihnen eine Erfindung, die sich Motorrad nannte. Joe sen. hatte einen Mitchell Motor in Besitz, ein geschnüffeltes Einzylinderaggregat, den die Brüder zu Versuchszwecken in ein altes BSA Fahrrad einbauten, das in der Fabrik herumgelegen war. Mit nach vorne geneigtem Zylinder montierten sie ihn an das untere Rahmenrohr, über einen Riemen trieben sie das Hinterrad an. Der amerikanische Motor stammt aus dem Jahr 1897 und stellt technisch absolute Steinzeit dar. Roh bearbeitet, massiv und schwer. Zu unvollkommen für die Stevens, die das besser machen zu können glaubten und auf Basis des Mitchell ein eigenes Aggregat entwickelten. ![]() Laut Vertrag hatten die Stevens Brüder wöchentlich ein gewisses Quantum an Motoren an Clark zu liefern, die der in ein extraschweres Wearwell Fahrrad einbauen ließ. Die ersten fertigen Modelle verließen 1901 die Werkshallen in Wolverhampton, eine modifizierte Version sorgte bei der National Cycle Show im Chrystal Palace in London für Aufsehen. Gleichzeitig plagten die Stevens Brüder andere Sorgen: um ihr neugegründetes Unternehmen auf sichere finanzielle Füße zu stellen, mussten drei von ihnen (George, Jack und Joe jun.) sich Jobs in anderen Firmen suchen, lediglich Harry stand weiter als Direktor vor. Trotzdem schafften sie es, den Vertrag mit Clark zu erfüllen, und zudem noch ein eigenständiges Motorrad zu entwickeln, dass - man staune - für Damen geeignet war! Die vier Brüder hatten nämlich auch zwei Schwestern, die in der Firma des Vaters Joe sen. angestellt waren: Daisy und Lily. Letztere testete und fuhr die neue Stevens Maschine und wurde so zur ersten Motorradpilotin der Stadt! Das Damenmodell blieb ein Einzelstück, aber im gleichen Jahr wurde die Motette vorgestellt: dazu wurde am ersten Stevens Modell das Vorderrad gegen eine Achse mit zwei Rädern ausgetauscht, es entstand ein Tricycle, vor dessem Lenker ein Korbsessel angebracht werden konnte. Dieses Dreirad wurde in einer kleinen Serie aufgelegt, es gab auch Umbausätze für das einspurige Vorgängermodell. 1905 allerdings waren die Motorradverkäufe rückläufig, und die Aufträge von Clark, der seine Maschinen mittlerweile "Wolf" nannte, konnte die Stevens Manufacturing Company nicht mehr auslasten. Abhilfe kam durch die 1908 neugegründete Firma Clyno aus Northamptonshire, die ihre Maschinen mit Stevens Motoren auszurüsten gedachte. ![]() Nach diesem Abstecher zur Entstehung der Marke A.J.S. (der aber notwendig war, wie wir gleich sehen werden), zurück zu Harry Holcroft. Auch er beginnt sich für Zweiräder zu interessieren und baut um 1900 selbst ein Modell, wie oben beschrieben mit einem Clip On Motor, der vom unteren Rahmenrohr aus das Hinterrad antreibt. Hatten die Vorbesitzer des erhalten gebliebenen Veteranen noch geglaubt, dieser Motor wäre von Holcroft selbst entworfen und gebaut worden, kam Peter Ehringer zu einem anderen Schluss - eine Abbildung im AJS Buch hatte ihn auf die Spur gebracht. Dort sind die vier Stevens Brüder mit dem von ihnen gebauten Motorkraftrad zu sehen, das der Holcroft mehr als nur ähnelt, besonders der Motor. Der dürfte um 1897 entstanden sein, und kam, wie schon angemerkt, von der amerikanischen Firma Mitchell. Das legt die Vermutung nahe, dass Holcroft von den Stevens Brüdern genau diesen Mitchell Motor erhalten hat, um nach Vorbild der Wearwell Stevens sein eigenes Motorrad zu bauen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein zweiter solcher amerikanischer Motor bei den Protagonisten dieser Geschichte im Umlauf war. Es blieb bei diesem Einzelstück, dass Holcroft für private Zwecke nutzte. Er selbst entwickelte sich zu einem Spezialisten für Eisenbahntechnik, der zwischen 1904 und 1928 eine große Gießerei betrieb (die er von seinem Vater übernommen hatte) und zahlreiche Patente für Dampftechnik hielt. Nach seinem Ableben im Jahr 1973 wurde das Motorrad, das inzwischen nur mehr aus Motor und Tank bestand, an einen Sammler verkauft, der es nur provisorisch an einen Fahrradrahmen hängte und es nie wirklich aufbaute oder restaurierte. Nächster Besitzer wurde der bekannte Restaurator Ken Blake, der die Teile mit einem zeitgenössischen schweren Humber Bicycle verehelichte. Das so wiedererstandene Holcroft Motorrad stand dann lange in Sammy Millers Museum in New Milton, der ein guter Kumpel Blakes ist. ![]() Nachdem der Motor als Mitchell identifiziert wurde, waren auch die Eckdaten bekannt: 213 ccm Hubraum, 1,75 PS Leistung, Vergaser Longuemare mit der Fabrikationsnummer 19068 (das ist wichtig, weil anhand dieser Nummer der Vergaser als aus dem Jahr 1901 stammend klassifiziert werden kann). Dann machte sich Peter an die Überarbeitung des Motors. Die Zylinder waren verschlissen, und das Aggregat generell technisch unausgereift. Neue Kolben und eine im Freien rotierende Schwungscheibe waren einige der Verbesserungen, die notwendig waren, um das Vehikel erstmals standfest zu machen, auch die Ventilsteuerung musste neu ausgerichtet werden. Peter hatte nämlich vor, damit an der Mutter aller Oldtimerrallyes, dem Pioneer Run, teilzunehmen und die 80 hügeligen Kilometer von London nach Brighton zu absolvieren ohne liegenzubleiben. Im März 2010 war es soweit. Mit Startnummer 14 brachte Peter das älteste einspurige Motorrad an den Start - um ihn herum ausschließlich De- Dion Bouton und Leon Bollet Dreiräder. Schon nach hundert Metern brach ausgerechnet das neueste Teil am ansonsten uralten Motorrad: ein Bakelitschalter für die Zündunterbrechung, den er angebracht hatte, um die Maschine im Stadtverkehr nicht bei jeder Kreuzung abwürgen zu müssen. Das war zwar lästig, aber kein Grund, um aufzugeben. Es sollte auch die einzige Panne bleiben, und so erreichte er ohne weiteres Problem das Ziel im Seebad Brighton und hatte damit nicht nur seine Klasse als Restaurator sondern auch die Tauglichkeit von Harry Holcrofts "Bastelarbeit" bewiesen! Und die britischen Fachleute haben jetzt etwas Gesprächsstoff ... |
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