Home arrow Archiv arrow AC 2012/05 arrow Der Autofriedhof von Bastnäs  
Donnerstag, 25. April 2024
Der Autofriedhof von Bastnäs Drucken E-Mail
Geschrieben von Andreas Hartl   

Heft bestellen - Der Autofriedhof von Bastnäs

Erzählt und photographiert von Andreas Hartl

 

ImageWir befinden uns in Schweden und fahren Richtung Norden. Man muss schon sehr auf der Hut sein, um die kurz vor der Grenze in die Hauptstraße einmünde Seitenstraße nicht zu verpassen. Diese Straße verläuft einige Kilometer entlang der Grenze nach Norwegen. Ihre Asphaltdecke wird immer weniger, dafür aber die Schlaglöcher immer mehr und irgendwann gleicht sie eher einem Forstweg. Sie schlängelt sich durch den Wald. Auf den Lichtungen dazwischen sieht man einzelne Häuser in dem für Schweden typischen dunkelrot.
Nach rund 20 Kilometern erkennt man nach einer Kurve am Wegesrand ein Autowrack - und plötzlich ist man angekommen. Man steht auf einmal mitten auf einem riesigen Autofriedhof, es verschlägt einem fast die Sprache. Die Blicke schweifen über eine große Wiese und danach in den angrenzenden Wald - Autowracks so weit das Auge reicht es müssen wohl einige hundert sein ... Wie ist so etwas möglich, dass sich so etwas bis in die heutige Zeit gerettet hat?
Es sind die Überbleibsel einer Autoverwertung, welche die Brüder Tore und Rune Ivansson in den 1950er-Jahren in der kleinen schwedischen Ortschaft Bastnäs gegründet hatten. Die Motorisierung in Schweden schritt zügig voran und somit wurde die Nachfrage nach Autoteilen immer größer. Wie man hört, wurden damals auch ganze Autos in ihre Einzelteile zerlegt, um diese dann über die nahe Grenze nach Norwegen zu bringen und sie dort wieder zusammenzubauen. Die damals sehr hohen Einfuhrzölle für komplette Fahrzeuge nach Norwegen machten diese Sache besonders interessant, zumal für einzelne Fahrzeugteile nur minimale Zollgebühren fällig wurden. Und was mit diesen Teilen nach ihrem Grenzübertritt geschah, war für die norwegischen Behörden damals nicht von Bedeutung.
ImageIm Laufe der Zeit wurden diese Bestimmungen gelockert und der "Export" nach Norwegen in dieser Form nicht mehr so lukrativ wie bisher. Aber man sammelte weiterhin Alt- und Unfallfahrzeuge, schließlich war die Nachfrage im eigenen Land nach wie vor sehr groß. Die Wracks wurden rund um die Häuser der Ivanssons abgestellt, auch der angrenzende Wald wurde als Abstellfläche herangezogen. Ende der 1970er- Jahre wurde der Betrieb eingestellt, die Wracks durften bleiben.
Nach all den Jahren haben sich Flora und Fauna dieser Wracks in eindrucksvoller Weise bemächtigt - aus Rostlöchern wachsen Bäume, manche Innenräume wurden zu richtigen Gewächshäusern und dort, wo bei einem Saab einmal der Motor sein zweitaktendes Lied sang, befindet sich heute ein Ameisenhaufen. Im hinteren Teil des Waldes befindet sich der ältere Teil des Fahrzeugbestandes, hier sind die Wracks teilweise übereinander geschlichtet.
Doch manche "Türme" sind umgekippt - sei es durch starken Wind, oder einfach nur, weil ein darunter liegendes Auto einfach zusammengerostet ist, und die große Last nicht mehr tragen konnte.
Durch den Wald fließt ein kleiner Bach, an einer Stelle dient eine VW-Bodenplatte als Brücke. An manchen Stellen haben sich kleine Seen gebildet - in einem hat ein DKW seine letzte Ruhestätte gefunden. Die Atmosphäre ist schaurig und von einer bizarren Schönheit erfüllt. Man hört nur das Rauschen des Waldes und das Zwitschern der Vögel. In diese Geräuschkulisse mischt sich fallweise auch das Knarren einer Türe oder Motorhaube, welche sich - vom Winde umweht - mit letzter Kraft im rostigen Scharnier hält. Viele von ihnen haben bereits den Halt verloren und liegen neben den traurigen Überresten auf dem Waldboden.
Ein auf einem Käfer "abgelegter" Simca 1000 hat resigniert und sich beim Absturz in seine Einzelteile zerlegt - das Vorderteil liegt verkehrt neben dem Käfer, das Hinterteil widersetzte sich und blieb teilweise an seinem "Trägerfahrzeug" hängen, der Mittelteil hat sich in seine Einzelteile aufgelöst. Ein paar Schritte weiter ruht eine DS, deren linke Seite von einer Weide vereinnahmt wurde und diese nahezu "gesprengt" hat.
ImageAber im Stadium des Verfalls ist Citroen’s Göttin noch eine eindrucksvolle Erscheinung. Welche Fahrzeuge sind in Bastnäs zu sehen? Das Spektrum der Fahrzeuge erstreckt sich von den frühen 50er-Jahren bis in die 60er-Jahre. Fahrzeuge der späten 60er-Jahre sind eher selten, ab den 70ern ist fast nichts vorhanden. Aber auch einige Vorkriegs-Fragmente sind zu finden. Man erhält einen durchaus repräsentativen Überblick über den schwedischen Fahrzeugbestand der damaligen Jahre. Wer echte Exoten in Form von Sportwagen oder Sonderkarosserien sucht, wird enttäuscht - es dominieren Limousinen und Kombis, ein VW 1600 TL gilt hier schon als Ausnahmeerscheinung und ein Fiat 850 Coupe der ersten Serie als Gipfel der Sportlichkeit.
Neben Buckel-Volvos, Amazon und einigen wenigen 144ern der ersten Jahre - sogar ein 164er zeigt sein verblasstes Goldmetallic - kann man auch die Typologie der Saab-Modellreihen 92 und 93 ausgiebig studieren, wobei von den absoluten Stückzahlen her die Wagen aus Trollhättan eher geringfügig vertreten sind.
Großer Beliebtheit dürften sich in Schweden auch deutsche Fabrikate erfreut haben, vor allem VW-Käfer (Brezel war nicht zu sehen, aber viele "Ovali"), Typ 3 (hier vor allem als Variant) sowie klassische Hausmannskost aus den Häusern DKW (3=6, Junior), Ford (M-Modelle und sogar einige "Buckel"!) und Opel (Rekord sowie einige Kapitäne verschiedener Baujahre) sind in großer Menge vertreten. Vom "Guten Stern auf allen Straßen" gibt es einige Heckflossen und Pontons und wenn man genau sucht, dann auch einige 170er. BMW findet man nur ganze 3 Stück, ebenso auch Borgward Isabella.
Aber auch Fahrzeuge aus Großbritannien sind reichlich vertreten; besonders auffallend sind die vielen Austin A30/A35, es gibt aber auch A40 Somerset, Cambridge und Devon zu entdecken, weiters noch viele Ford (Anglia, Prefect, Popular sowie Cortina, Consul, Zephyr und Corsair), Vauxhall sowie einige Standard. Von den britischen Sehenswürdigkeiten besonders hervorzuheben ist ein Triumph Mayflower.
ImageAus Frankreich kommen vor allem viele Peugeot 404, die Renault Fregate zählt eher zu den seltenen Erscheinungen (nur 1 Stück) genau so wie Citroen (4 Stk.). Simca gibt es wesentlich mehr, hier findet man sogar Vedette-Modelle. Fahrzeuge aus Italien sind in der großen Minderheit, neben einigen Fiat 850 und 600 ist vor allem ein Fiat 1100 TV der ersten Serie erwähnenswert, denn so etwas ist schon sehr selten zu finden.
Ein schwedisches "Eigengewächs" soll auch noch erwähnt werden - nämlich der Kalmar Tjorven. Dieses Wägelchen wurde von 1967 bis 1972 gebaut, als Antriebeinheit erhielt er den Motor und das Variomatic-Getriebe des DAF 44. Verwendung fand er vor allem im Post- und Zustellverkehr. Von den ca. 2000 gebauten Exemplaren findet man in Bastnäs 2 Stück.
Insgesamt gibt es in Bastnäs rund 1100 Autowracks zu bestaunen. Somit handelt es sich um einen der größten noch erhaltenen Autofriedhöfe in Europa. Es waren einmal mehr Wracks auf dem Gelände, doch vor einigen Jahren wurde eine Wiese - angeblich wegen eines abgelaufenen Pachtvertrages - geräumt, hier fielen rund 250 Exemplare der Schrottpresse zum Opfer. Sämtliche Fahrzeuge sind im Schrott-Zustand.
Eine Bergung oder gar Restaurierung einzelner Fahrzeuge wäre ein aussichtsloses Unterfangen. Und wenn jetzt der große Aufschrei wegen der Seltenheit kommt und Gedanken wegen der Schändung von Oldtimern entstehen - die Autos waren bereits zum Zeitpunkt ihrer Außerbetriebsetzung kaputt bzw. wertlos. Nur wurden sie nie verschrottet und blieben somit als Wracks erhalten. Wie man hört, soll der Platz sogar unter Denkmalschutz gestellt werden, genaue Details wurden aber (noch) nicht bekannt ...
Am Schluss möchten wir noch auf zwei Punkte hinweisen: Allen Besuchern und vor allem Schatzsuchern sei gesagt, dass der Autofriedhof der Ivanssons als lebendes Freilichtmuseum und nicht als "Selbstbedienungsladen" zu sehen ist. Leider findet man immer wieder Spuren der Verwüstung oder von Langfingern, das ist sehr bedauerlich. Und - vergessen Sie auf keinen Fall auf festes Schuhwerk (teilweise morastig) und feste Bekleidung (in der warmen Jahreszeit wegen der Brennesseln) sowie eine ausreichend große Speicherkarte für Ihre Kamera!
Der Autofriedhof von Bastnäs ist auf alle Fälle eine Reise wert.

 

 
< voriger Eintrag   weiter >