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Donnerstag, 25. April 2024
Mercedes-Benz 300Sc Coupe Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Wiedmaier   

Heft bestellen - Das Objekt der Leidenschaft - Mercedes-Benz 300 Sc Coupé

Text & Photos: Michael Wiedmaier

 

ImageDie Spanne der Überzeugungen, wie der ultimative Traumwagen beschaffen zu sein habe, wie er auszusehen habe und zu welchem Zweck man ihn gebrauchen wolle, ist ebenso breit angelegt wie die Anzahl von Individuen unterschiedlich ist. Jeder Einzelne hat dazu seine ganz ureigenen Ansichten. Dennoch lassen sich zwei Hauptgruppen bestimmen, jeweils an sich in ihren Grundüberzeugungen einig, im Besonderen aber differenziert und der jeweiligen anderen Hauptgruppe diametral gegenüber stehend. Auf der einen Seite der unsichtbaren Trennungslinie stehen die rastlos suchenden Erneuerer, die blind dem vermeintlichen Fortschritt huldigen und das angeblich nicht mehr Zeitgemäße verachten.
Für diese werden die hypertrophen Icks und Ypsilons und Zetts erdacht und gebaut, die dem Anschein nach mit Anabolika vollgepumpt zu sein vorgeben. Da reichen eintausend PS und ein Drehmoment von mindestens achthundert Newtonmetern nicht mehr. Eine solche Konstellation wird als hoffnungslose Untermotorisierung abgetan.  Wichtig ist, dass es immerzu etwas neues, etwas anderes geben muss, denn Stillstand bedeutet für diejenigen nicht bewahren und erhalten, sondern einfach nur Rückschritt. Immerhin bekommen diese Boliden eine grüne Plakette und dürfen damit in die städtischen Umweltzonen einfahren. "Wir tun schließlich was für die Umwelt!" Die vielgelesene Zeitschrift Auto Bild titelte im Juni des Jahres 2004: "360 km/h. Das ist unglaublich schnell. Der Transrapid fährt bis zu 400 km/h. Die Magnetschwebebahn hat allerdings auch keine Räder - und keine Reifen.
Die sind nämlich meistens der Hemmschuh bei der Suche nach immer höheren Tempi. Alltagstaugliche Pneus machten bisher bei spätestens 330 km/h schlapp. Der neue Continental Sport-Contact2 Vmax erlaubt 360 km/h." Na also!
Längstens gibt es Automobile, zugelassen für den öffentlichen Straßenverkehr, die auch 400 km/h schaffen. Aber wozu braucht man solche Autos, die theoretisch Geschwindigkeiten dieser Größenordnung erreichen können, praktisch jedoch nicht. Auch auf diese Frage hat Auto Bild die richtige Antwort parat. Immerhin gibt es ja das Highspeed-Oval im süditalienischen Nardo, auf dem man nach Herzenslust mit Gleichgesinnten um die Wette rasen kann, im mit elektronischer Hightech vollgestopften Automobil, dessen automatisiertes Sechsganggetriebe ganz von alleine schaltet und dessen Sicherheitskontrollsystem verhindert, dass man durch Fahrfehler bedingt aus der Kurve fliegen könnte. Aber wer fährt denn schon nach Nardo? Allein die Möglichkeit, nach Buchwert so schnell fahren zu können, wenn man denn könnte, macht offenbar doch glücklich. Auf der anderen Seite der unsichtbaren Trennungslinie stehen die stoischen Bewahrer, die jeder Veränderung mit äußerster Skepsis gegenüber stehen, zäh an dem für gut Befundenen festhalten und mit etwas Wehmut zurückschauen nach dem noch immer besseren Vergangenen, dem Unzeitgemäßen. Die geschilderten Extrempositionen sind freilich nur Idealtypen. Ein Idealtypus ist in der Wissenschaftstheorie ein zielgerichtet konstruierter Begriff, der Ausschnitte der sozialen Wirklichkeit ordnet und erfasst, indem er die wesentlichen Aspekte der Realität heraushebt und oft mit Absicht überzeichnet. Das war hier die Absicht.
ImageDie mögliche Schnittmenge beider Idealtypen kann jedoch kleiner oder größer ausfallen. Absolut treffend hat dieses Gefühl Fritz B. Busch beschrieben. "Einem eingefleischten Oldtimer-Piloten mag es aber wie mir ergehen: Der Umgang mit einem modernen Automobil, das sich auf Knopfdruck hin bewegt, ist ohne Reiz. Ich ließ eines Tages gar die Flugkarten links liegen und bestieg ein Ford-Modell A, mit dem ich zu einem Pressetermin nach Neapel fuhr, anstatt, wie geplant nach Rom zu fliegen und dort einen Leihwagen zu nehmen. Der 29er Ford brachte mich glücklich hin und wieder zurück, und während die Flugreise längst vergessen wäre, bleibt mir die Fahrt mit dem Ford stets in Erinnerung." (Motor Klassik 1/1985). Ganz ähnliche Gefühle mögen den Herrn bewegt haben, der von sich selbst sagt, mit dem Oldtimervirus infiziert worden zu sein. Dieses Virus konnte er schließlich nur mit einem Mercedes-Benz 300 Sc heilen. Aber diese Geschichte möge er selbst erzählen.

Der Anspruch an stilvolles Reisen. Grand Tour war die Bezeichnung für eine seit der Renaissance obligatorischen Reise der Söhne des europäischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums, durch Mitteleuropa, Italien, Spanien und auch ins Heilige Land. In weiterem Sinne wurden auch die Bildungsreisen erwachsener Angehöriger der genannten Stände so bezeichnet.  Insbesondere in England fand die Grand Tour im achtzehnten Jahrhundert einen reichen literarischen Niederschlag.
Ein Grand Tourer ist demzufolge ein bequem ausgestattetes und kraftvoll motorisiertes Automobil für die Langstrecke. Zwar kann man automobiles Reisen sehr bequem auf den Rücksitzen einer chauffeurgesteuerten Limousine genießen.  Aber der inhärente Reiz des Reisens im eigenen Automobil stellt sich doch erst dann ein, wenn man den Wagen selbst führt. Daher gilt als eingängigstes Format das zweitürige Coupé mit entweder zwei komfortablen Sitzen oder einer Anordnung von zwei plus zwei Sitze bei gleichzeitig großzügigen Unterbringungsmöglichkeiten für das mitgeführte Gepäck. Der Gebrauchswert der hinteren beiden, eher schwer zugängliche Sitzplätze kann hierbei stark variieren, angefangen bei der praktisch ungeeigneten Notsitzanlage bis hin zu zwei gut ausgeformten Einzelsesseln.
Unabhängig von der letztlich favorisierten Ausstattungsform, dürfen die Coupés mit der Markenbezeichnung Mercedes-Benz für sich reklamieren, die Verkörperung eines verfeinerten Geschmacks und eines individuellen Anspruchs in Bezug auf die automobile Fortbewegung zu sein. Sowohl bei Stilisten als auch bei der noblen Kundschaft stand hier von der Klassik bis zur Moderne der Anspruch an das stilvolle Reisen im Vordergrund, verbunden mit den Attributen eines besonders repräsentativen Wagens mit sportlicher Note und der Erfüllung allerhöchster Ansprüche an Straßenlage und Geschwindigkeit.  Bei den ab den 1950er Jahren unter dem Markennamen Mercedes-Benz gebauten Grand Tourern der Baureihen W 188 I und W 188 II hat sich von Anfang an die Bezeichnung Coupé etabliert.
ImageManch einer wird sich die Frage stellen "warum gerade dieses Auto?" Dies ist eigentlich ganz einfach zu beantworten.  Im Bereich der klassischen Fahrzeuge ist es meist eine individuelle Entwicklung, die sich über Jahre hinweg ziehen kann. Zumindest war es bei mir so der Fall. Bereits in meiner Kindheit gefielen mir eher die älteren Wagen als jene - jetzt auch schon alten - damals am Markt angebotenen Neuwagen. So kam es wie es kommen musste.
Eines Tages stand der erste Oldtimer in der Garage. Es sollte ein reiner Sportwagen sein und deshalb entschied ich mich für einen Austin- Healey MKIII . Später kamen einige US -Klassiker hinzu und dann, nach einigen Jahren, der erste Mercedes-Benz, ein 350 SL aus dem ersten Baujahr 1971. Seit diesem Zeitpunkt begann in mir langsam das Mercedes-Benz-Oldtimer-Virus zu keimen. Eines Tages besuchte ich gemeinsam mit meiner Frau ein kleines Oldtimertreffen und da stand ein 190 SL aus dem Jahre 1958.  In einem schönen Blau mit grauen Ledersitzen.  Der Besitzer wurde angesprochen und es stellte sich heraus, dass das Fahrzeug zum Verkauf stand. So nagte das Virus weiter. Es verging einige Zeit. Auf der Techno Classica in Essen wurde eine wunderschöne Pagode angeboten, in die sich meine Frau spontan verliebte, und so hatten wir plötzlich drei Mercedes. Nach einigem Hinund-Her-Überlegen beschlossen wir dann den 350SL wieder zu veräußern. Doch während all der Jahre blieb mein größter Wunsch unerfüllt, denn ich war fasziniert von den wunderschönen Formen des W188. Vor allem das Coupé hatte es mir angetan. Dieser Wagentyp hat für mich eindeutig die eleganteste Ausstrahlung aller je von Mercedes-Benz gebauten Fahrzeuge. Allein der Übergang des vorderen Kotflügels in die Türe und der weitere wie die Form eines Trittbrettes ausgebildete Verlauf ist eine einmalig betörende Linienführung. Die Spitze der Geometrie an diesem Fahrzeug ist dann erst richtig zu erkennen, wenn man die Türe geöffnet hat und damit gleichzeitig ein Teil des vorderen Kotflügels aufschwingt - das ist Kunst verbunden mit Ingenieurswissen.
Nun hatte ich mir auch eine besondere Vorgabe bezüglich der Ausstattung meines zukünftigen Mercedes-Benz 300 S gestellt.  Dabei sollte es sich, wie schon gesagt, um ein Coupé handeln, aber mit einem mechanischen Stahlschiebedach und es sollte ein Wagen aus der letzten Baureihe sein, mit dem berühmten Einspritzmotor. Farbe und restliche Ausstattung wollte ich auf mich zukommen lassen. Die Suche, nach diesen Vorgaben, erstreckte sich auf nahezu zehn Jahre. Mal passte zwar die Grundkombination, aber der Wagen war hellblau und hatte rote Ledersitze. Zwar wurde das Auto original so ausgeliefert, dennoch war das für mich eine schreckliche Farbkombination. Ein anderes Mal wiederum war das angebotene Fahrzeug in einem nicht gerade so guten Zustand, der Preis stattdessen doch erheblich hoch angesetzt. Auch die Suche bei den namhaften Restaurationsbetrieben brachte keinen Erfolg. So verging eben ein Jahr nach dem anderen. Die Preise kletterten immer weiter nach oben und schon hatte ich mich mit dem Gedanken befasst, die Suche und den damit verbundenen Kauf aufzugeben, als ich über Bekannte aus der Oldtimerszene erfuhr, dass im Raum Stuttgart von privat ein Mercedes-Benz 300Sc zum Kauf angeboten werde. Ein
Besuchstermin wurde vereinbart und so kam der Tag der Besichtigung heran.

ImageVom Suchen und Finden. Schließlich fanden wir einen Wagen vor, der nach der im Jahr 2007 in einem namhaften Restaurationsbetrieb erfolgten Komplettrestaurierung jahrelang liebevoll gepflegt und vor allem auch technisch bis ins Detail gewartet wurde. Ein Traum von einem Wagen stand vor uns. Tiefschwarze Lackierung und feuerrote Ledersitze - eine Kombination, die an Eleganz nicht zu übertreffen ist. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre waren wir höchst gespannt auf die Preisvorstellung des Verkäufers. Siehe da! Auch diese passte vollkommen in den Rahmen und entsprach voll und ganz dem Zustand des Wagens. Es dauerte nicht lange und wir wurden uns handelseinig. Auf diesem Wege sind wir schließlich doch noch stolze Besitzer des W1880147500048, eines 300 Sc mit Einspritzmotor und Stahlschiebedach - und, was wir gar nicht erwartet hatten, mit der seltenen Sonderausstattung der Nackenstützen geworden.
Von Mercedes-Benz Classic erhielten wir auf Anfrage Kopien der originalen Auslieferungsunterlagen sowie die Datenkarte. Daraus war zu ersehen, dass der Zielort der Auslieferung im Januar 1957 die bayerische Hauptstadt München war. Inzwischen ist der 300Sc fast wieder zu Hause angekommen. Mit diesem Auto zu fahren ist fast wie ein Traum. Vor allem auf Landstraßen, die durch schöne Gegenden führen, ist es ein vollkommener Genuss, in ihm dahin zu gleiten. Der Einspritzmotor ist sehr elastisch und verfügt auch über ein gutes Durchzugsvermögen aus den unteren Drehzahlbereichen. Die Bremsanlage ist überraschend gut dimensioniert und verzögert den immerhin 1.780 kg schweren Wagen sicher und direkt auf die gewünschte Geschwindigkeit. Ganz in seinem Element fühlt sich das große Reisecoupé auch auf der Autobahn, für die es eigentlich gebaut worden ist. Selbst bei höheren Fahrgeschwindigkeiten vermittelt der 300Sc ein sicheres Fahrempfinden.  Am schönsten ist es, wenn wir mit dem Wagen auf die große Reise gehen, vorzugsweise über die Alpen gen Süden. Das schöne schwarze Coupé ist, um dieses abschließend zu sagen, die Erfüllung meines Oldtimer-Traumes. Damit ist das Mercedes-Benz-Oldtimer-Virus bei mir nun geheilt."
 
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