Morris Minor |
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Geschrieben von Wolfgang M. Buchta | |
Heft bestellen - Morris Minor - Ein Auto für Miss Jane Marple Welches Auto symbolisiert England wohl am besten? Der schnittige Jaguar E?Der pfiffige Mini? Der edle Rolls Royce? Das Londoner Taxi? Für den ruralen Süden und Südwesten Englands, dem Land von Agatha Christie‘s Miss Marple und den Helden und Heldinnen von Rosamund Pilcher ist wohl ein viel bescheidenerer Typ das geeignete "Statussymbol"... Wolfgang M. Buchta beschäftigte sich mit Englands erstem Millionen-Seller und Ulli Buchta hat ein paar besonders schöne Exemplare photographiert. ![]() 1915 kam der Morris Cowley auf den Markt, 1928 ein Kleinwagen namens Morris Minor, 1930 der Morris Isis, 1933 der Morris Ten, ... Kurz, aus dem kleinen Motorrad-Laden war einer der größten Automobilhersteller des Landes geworden und 1929 wurde William Morris in den erblichen Adelsstand erhoben und aus Mr. Morris wurde Sir William, fünf Jahre später Baron Nuffield und 1938 schließlich Viscount Nuffield. Ohne jetzt hier auf die feinen Details britischer Adelstitel eingehen zu vollen - Lord Nuffield war ein bedeutender und geachteter Industrieller und eine sprichwörtliche "Stütze der Gesellschaft" und aus den vier Pfund Startkapital war ein multi-millionen Pfund Unternehmen mit zahlreichen Tochterfirmen - Morris Commercial, MG, Wolseley (seit 1927), Riley (seit 1938), die SU Carburettor Company, ... - geworden, das jetzt unter der Bezeichnung Nuffield Organisation firmierte. 1936 heuerte ein junger Ingenieur namens Alec Issigonis bei Morris Motors Limited an. Issigonis war bei Rootes als Fahrwerksingenieur tätig gewesen, ehe Morris ihn abwarb, und seine Vorgesetzten erwarteten noch Großes von ihm. So wurde ihm Ende der 30er Jahre die Entwicklung eines komplett neuen Kleinwagens anvertraut. Der Kriegsbeginn im September 1939 beendete die Entwicklungsarbeiten und Issigonis und seine beiden Kollegen - Jack Daniels und Reg Job - waren vorerst einmal mit "kriegswichtigen Projekten" - Panzer, Panzerwagen, Amphibienfahrzeuge, ... - eingedeckt. ![]() Ausgehend von einigen Handskizzen, die Issigonis auf die sprichwörtliche Serviette gezeichnet hatte, begannen Daniels und Job mit Modellen, die immer größer un detaillierter wurden, ehe 1943 der erste Prototyp auf die Räder gestellt wurde. Der Morris Mosquito genannte Wagen war erwartungsgemäß ein Bruch mit allem, was Morris in den letzten Jahrzehnten tausendfach produziert hatte. Der Mosquito hatte eine selbsttragende Karosserie - OK, das hatte es auch schon beim Morris Ten Series M gegeben - die dem (neuen) Stil der Zeit stromlinienförmig und mit nur mehr angedeuteten Kotflügeln geformt war. Wer darin eine Ähnlichkeit zu zeitgenössischen Konkurrenten aus Deutschland (VW Käfer, damals noch KdFWagen genannt) und Frankreich (Renault 4 CV) oder Italien (Fiat Topolino) zu erkennen glaubt, der liegt wohl nicht so ganz falsch. Vordere Einzelradaufhängung, Torsionsstabfederung, kleine - für die 40er Jahre - 14 Zoll Räder - der Morris Mosquito strotzte von technischen Neuerungen, und auch für den Motor hatte sich Issigonis etwas besonderes einfallen lassen. Anstatt in das Teileregal des Konzerns zu greifen, entwickelte er einen komplett neuen, wassergekühlten Vierzylinder-Boxermotor, der seine Kraft über ein Dreiganggetriebe mit Lenkradschaltung - die eine durchgehende vorderer Sitzbank ermöglichte - auf die Hinterräder abgab. Die Prototypen wurden mit Motoren von sowohl 800 ccm als auch 1.100 ccm getestet. Einer wurde sogar mit dem Kühler hinter dem Motor ausgerüstet. ![]() Aber wir greifen vor. Vorerst einmal gab es erst acht Prototypen, in denen der neue-alte Motor plus Getriebe erprobt wurde. Auch Lenkradschaltung und durchgehende Sitzbank fielen dem Sparstift zum Opfer und wurden zu vorderen Einzelsitzen mit herkömmlichem Schalthebel am Boden. Die Entwicklung dauerte bis 1948 und alle Prototypen hatten eine Breite von 145 cm gehabt, auch ein Parameter, der vom "guten, alten" Morris Ten übernommen worden war. Jetzt, kurz vor der Präsentation und Serienfertigung, erschien der Wagen seinem Schöpfer zu schmal. Kurzerhand wurde ein Prototyp der Länge nach zergesägt und die beiden Hälfte auseinandergerückt, bis Issigonis bei 10 cm "Halt" rief. Reg Job hatte jetzt die undankbare Aufgabe, hunderte Abmessungen der einzelnen Bauteile anzupassen. Nachträglich muss man natürlich anerkennen, dass dem späteren Morris Minor die Operation gut getan hatte, denn er war nicht nur geräumiger geworden, sondern hatte dank breiterer Spur auch eine deutliche bessere Straßenlage. Ein kleiner Schönheitsfehler dieses "last minute change" war allerdings, dass die Produktion der vorderen Stoßstangen bereits in großem Stil begonnen hatte. Anstatt diese zu entsorgen - wir schreiben das dritte Jahre nach Kriegsende und Rohstoffe sind nach wie vor knapp - wurde jede einzelne Stoßstangen auseinendergesägt und durch ein 10 cm langes Zwischenstück wieder zusammengefügt, ein Feature, das praktisch alle Fahrzeuge der ersten Serie haben - solange eben, bis die Vorräte aufgebraucht waren. Angeblich hat kein einziger Kunde und auch kein Motorjournalist den Hintergrund dieser kostenbewußten aber doch wenig eleganten Konstruktion hinterfragt. ![]() Auch den Namen Mosquito, den vermutlich Miles Thomas, der Vizepräsident der Nuffield Organisation ob seiner Bewunderung für die zweimotorige De Havilland Mosquito gewählt hatte, war der "Axt des Chefs" zum Opfer gefallen, der lieber an den erfolgreichen Kleinwagen der 30er Jahre anknüpfen wollte. Wie schon erwähnt waren am Stand von Morris drei Neuerscheinungen zu bewundern, und wahrscheinlich zum leisen Kummer von Lord Nuffield standen eindeutig die beiden Morris Minor - ein geschlossener Zweitürer und ein offener Tourer - im Mittelpunkt des Interesses. Die Motorpresse, die zu dieser Zeit höflicher und weniger kritisch war als heute, überschlug sich in ihrer Begeisterung. "the world‘s supreme small car" schrieb Autocar und nannte den Minor "a real triumph of British design" während Konkurrent Motor dem Morris Minor bescheinigte, dass er fast perfekt sei. Der seitengesteuerte Vierzylindermotor holte aus einem Hubraum von 918 ccm eine Leistung 27 bhp - ausreichend für eine Spitze von 62 mph (knapp 100 km/h) und einer Beschleunigung von rund 38 Sekunden von 0 auf 80 km/h. Das waren auch 1948 keine atemberaubenden Fahrleistungen, aber mit guter Straßenlage, geschmackvollem Innenraum und verbrauchsgünstigen Werten sollte der Minor MM zu einem aggressiven Preis von £ 358 10s 7d eigentlich jede Menge Käufer finden. Allerdings konnten die Käufer keinen Morris Minor finden. Großbritannien hatte zwar den Zweiten Weltkrieg gewonnen, war aber darob mehr oder weniger Pleite gegangen, und Rohstoffe gab es am Weltmarkt nur gegen Devisen. Die amtierende Labour Regierung unter Clement Attlee hatte daher - nicht nur für die Automobilindustrie - die Devise "Export or Die" ausgegeben, d.h. nur wer durch Exporte Devisen ins Land brachte, bekam die begehrten Rohstoffe zugeteilt. So konnten die in Sachen Motorisierung ausgehungerten Briten den neuen Kleinwagen zwar am Messestand bewundern, aber nur wenige konnten ihn auch erwerben, denn 75 Prozent aller Series MM Minors gingen in den Export - nach Australien, in die US A, nach Irland, Südafrika oder Neuseeland,... ![]() Lange hatte Issigonis mit der Positionierung der Scheinwerfer experimentiert, ehe diese bei den Serienmodellen rechts und links des Kühlergrills untergebracht wurden. Aber kaum war die Produktion angelaufen, kehrten die Ingenieure ans Zeichenbrett zurück - am wichtigen amerikanischen Markt drohten neue Vorschriften bezüglich einer Mindesthöhe für die Scheinwerfer. So wanderten diese in die Kotflügel - Issigonis war ergrimmt, dass sein Styling zerstört wurde, aber den Vorschriften war genüge getan. Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass die gefundene Lösung harmonischer war, als beispielsweise beim Austin Healey Sprite "Frogeye", der als kleiner, niedriger Sportwagen natürlich die gleichen Probleme hatte. Bis September 1950, mit der Einführung des Viertürers, wurde die ganze Modellpalette auf die neuen Scheinwerfer umgestellt. Wenig überraschend war der Viertürer anfangs auch den Exportmärkten vorbehalten. Abgesehen von den Scheinwerfern, wurden am Morris Minor der Serie MM bemerkenswerte Änderungen realisiert. Der Motor bekam statt der Thermosyphonkühlung eine Wasserpumpe, wodurch erstmals eine Heizung angeboten werden konnte - natürlich als kostenpflichtiges Extra - und der Tourer bekam statt der zweifelhaften Seitenscheiben aus Plexiglas echte Glasscheiben und ob dieses Luxus wurde auf Convertible umbenannt. Die Serie MM wurde bis Februar 1953 in 176.000 Stück gebaut. ![]() Natürlich konnte Leonard Lord dem Erfolg des Morris Minor nicht untätig zusehen, und so präsentierte Austin 1951, an die Namensgebung der Vorkriegszeit anknüpfend, den "New Austin Seven", der heute besser unter seinem offiziellen Namen als Austin A30 bekannt ist. Dank der "Gnade der späten Geburt" war der A30 der perfekte Konkurrent des Minor, der in allem ein wenig besser war - selbsttragende Karosserie, vier Türen, um ein paar Pfund billiger, und dank seines modernen OHV-Motors eine um rund 10 km/h höhere Spitzengeschwindigkeit und deutlich besseren Beschleunigungswerte. Aber überraschender Weise sollte der Minor von seinem Konkurrenten, der nach Stückzahlen immer in seinem Schatten stand, am meisten profitieren. Per Ende März 1952 fusionierten die beiden Erzrivalen zur British Motor Corporation, wodurch einer der größten europäischen Automobilkonzerne entstand, und damit war es ein Leichtes, den größtem Kritikpunkt am Morris Minor, den altersschwachen Motor, zu ersetzen. Bereits im April 1952 waren die ersten Morris Minor mit dem neuen Motor, der als BMC A-Motor - Austin-Healey Sprite, MG Midget, Mini, 1100, ... - in die Geschichte eingehen sollte, unterwegs, und die Fahrleistungen waren deutlich verbessert. Äußerlich waren die Fahrzeuge der Serie II - Zweitürer, Viertürer und das beliebte Cabrio - kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden, lediglich ein Badge auf der Motorhaube hatte sich geändert ... ![]() Die Post hatte als wichtiger Großkunde natürlich ein "Recht" auf teilweise skurrile Sonderkonstruktionen, um die Erbsenzähler im Postministerium glücklich zu machen. Offenbar hatten diese, die Erbsenzähler, in die Fahrkünste ihrer Postboten kein besonderes Vertrauen, und die erste Generation hatte vordere Kotflügel aus schwarzem Gummi(!), die leichte Kollisionen ohne Schaden verkraften sollten. Da in den "normalen" Kotflügeln beim Minor die Scheinwerfer sitzen, mussten diese jetzt in Form von "Stilaugen" auf die Kotflügel montiert werden - eine gleichermaßen aufwendige wie optisch unbefriedigende Lösung. Es wird wohl für immer ein streng gehütetes Geheimnis des Postmaster General bleiben, ob dadurch in Summe auch nur ein Pence erspart wurde ... Gespart wurde auch in der Fahrerkabine - ein Sitz kostet weniger als zwei, und statt des Beifahrersitzes können vielleicht noch drei Päckchen transportiert werden. Auch eine Heizung wurde als entbehrlicher Luxus angesehen, sind doch die Winter im Norden Englands und in Schottland bekannt mild. Dafür hatte der Postbeamte an heißen Sommertagen eine Klimaanlage, sozusagen - die Windschutzscheibe konnte auf der Fahrerseite ausgestellt werden. Mit der zweiten Generation der Nutzfahrzeuge, der Serie III - zur Serie MM der PKW gab es ja keine korrespondierende LCVs - hatte eine standardmäßige Frontpartie, aber dafür als Sicherheitseinrichtung an der Fahrertür ein unübersehbares Yale-Sicherheitsschloss. ![]() 1956 wurde der Minor im Inneren heller, denn die bis dahin geteilte Windschutzscheibe wurde durch eine einteilige, gewölbte Scheibe ersetzt, und auch die Heckscheibe wurde größer. Letzteres ist auf den ersten Blick kaum sichbar, erforderte eine komplett neue Pressform für das Dach. Im gleichen Jahr wurde der BMC A-Motor im Minor von 803 ccm mit 30 PS auf 948 ccm und 37 PS vergrößert. Zusammen mit einem neuen Getriebe stieg die Spitzengeschwindigkeit um mehr 10 Meilen auf 73 mph (117 km/h) und auch die Beschleunigungswerte verbesserten sich deutlich. Die zeitgenössische Motorpresse war wieder einmal begeistert und die Käufer ebenfalls. ![]() Logisch dass diese einzigen, während der gesamten Bauzeit des Morris Minor angeboteten Sondermodelle heute gesuchte Sammlerstücke sind, von denen noch mehr als 40 bekannt sind. Bis 1962 wurden über 540.000 Exemplare vom Minor 1000 gebaut, ehe dieser vom Morris Minor 1000 abgelöst wurde. Das klingt etwas verwirrend, aber für 1963 bekam der Minor einen auf 1.098 ccm vergrößerten Motor mit 48 PS. Origineller Weise wurde dieser allerdings nicht als Minor 1100 vermarktet, sondern es blieb bei der Bezeichnung Morris 1000. ![]() Der Traveller und die Nutzfahrzeuge hatten ein um ein Jahr längeres Produktionsleben, allerdings keine feierliche Verabschiedung. Irgendwann im letzten Quartal 1971 - sogar die Produktionsunterlagen sind verschollen - rollte der letzte Traveller vom Band und im Dezember 1971 der endgültig letzte Morris Minor, ein Van für die GPO (General Post Office) von einem letzten Auftrag über 2.350 Mail Vans. Die genauen Produktionsszahlen des Morris Minor sind umstritten, aber nach den besten Quellen wurdem 1.619.857 Morris Minor aller Typen produziert, 326.626 davon Light Commercials und davon wiederum, damit man eine Vorstellung vom Umfang bekommt, rund 50.000 Vans für die Royal Mail, von denen der letzte bis 1982 bei der British Telecom seinen Dienst versah. ![]() ![]() ![]() ![]() |
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