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Freitag, 26. April 2024
Reisebericht Wolfsburg Drucken E-Mail
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

Heft bestellen - Reisebericht Wolfsburg - Autostadt!

Eigentlich hat alles auf der Vienna Auto Show im Jänner begonnen, wo wir vom VW XL-1 - siehe S. 58 - gewaltig angetan waren. Bedauerlicherweise hatte VW Österreich - welche Überraschung bei 250 Exemplaren weltweit und einem Stückpreis von EUR 111.000 - keinen Dauertestwagen zur Hand, aber das zweitbeste Angebot - Wie wäre es mit einer Probefahrt in der Autostadt in Wolfsburg? - klang auch verlockend.

Text: Wolfgang M. Buchta
Photos: Ulli & Wolfgang M. Buchta

  ImageUnd so begab es sich, dass ein volles "Team Austro Classic" - Ulli und Wolfgang Buchta sowie Michael und Christopher Gross - eines Freitag Abends ein Auto Richtung Wolfsburg bestiegen ...

Was ist eigentlich diese Autostadt?
In den 1990er Jahren hatte Volkswagen die Idee, einen "automobilistischen Themenpark" für alle Freunde der Marke(n) und die, die es werden sollten, zu bauen, naheliegenderweise in der "VW-Welthauptstadt", in Wolfsburg.  Das schmucke, jetzt Autostadt genannte 28 Hektar große Areal ist eine Parklandschaft, die von zahlreichen Wasserflächen aufgelockert wird. Europas größter Autokonzern schuf also genau das, was in Wien derzeit so viel Staub aufwirbelt: Die Autostadt ist eine riesige Fußgängerzone.  Über das Gelände verteilt sind acht "Marken Pavillons", die jeweils einer Konzernmarke - VW, Porsche, Seat, Skoda, Lamborghini, Audi, VW Nutzfahrzeuge sowie dem "Premium Clubhouse", in dem derzeit ein "verchromter" BugattiVeyron residiert - gewidmet sind.
Im Konzernforum inszeniert sich der VW Konzern und bietet Besuchern aller Altersstufen etwas, wobei vor allem dafür gesorgt wird, dass die Kinder, die einen signifikanten Anteil der Besucher ausmachen, unterhalten werden. Schließlich kommen an einem typischen Besuchstag rund 500 Käufer, die ihren neuen VW oder Seat direkt "am Geburtsort" abholen, meist wohl mit der ganzen Familie.  Neben den (denkmalgeschützten) Schornsteinen des alten Kraftwerks, welches das Werk mit Strom versorgt, sind sicherlich die beiden 48 Meter hohen, gläsernen Autotürme, in denen je 400 Neuwagen auf ihre Abholung warten, die markantesten Wahrzeichen der Autostadt.  Für uns und unsere Leser am spannendsten ist sicherlich das "Zeithaus" genannte Museum, das eine Sammlung von rund 200 "Meilensteinen der Automobilität" in wechselnden Ausstellungen - man kann also ruhig öfter kommen - zeigt.
ImageLobend sei erwähnt, dass dabei nicht nur Konzernmarken ins Rampenlicht gerückt werden, sondern durchaus anerkannt wird, dass auch andere Hersteller epochale Fahrzeuge gebaut haben.
Zum Zeitpunkt unseres Besuches waren die Exponate nach der Anzahl der Zylinder arrangiert.  Ja, richtig gelesen, die Anordnung beginnt mit dem Benz Velo, einem Porsche Traktor und einem NSU Quickly. Zweizylinder von Citroen (2 CV) und DKW, Dreizylinder von Wartburg, u.s.w. bis zu den 12-Zylindern von Lamborghini und dem 16-Zylindern Auto Union D-Type und den Bugatti Veyron. Den würdigen Abschluß der Reihe bildete der Bugatti EB 118 mit sage und schreibe 18 Zylindern. Und, ja natürlich, auch der Wankelmotor - NSU Ro 80, Wankelspider und Citroen M 35 - hat ein Plätzchen gefunden.  Eine zugegeben unorthodoxe Systematik, aber warum nicht ...
Wird der Besucher vor lauter Schauen und Staunen hungrig, so finden sich am Areal nicht weniger als 13(!) Restaurants - da sollte für jeden Geschmack und für jede Brieftasche etwas dabei sein. Und wenn es zu spät wird, gibt es direkt am Gelände der Autostadt das Ritz-Carlton Wolfsburg, ein nobles "Fünf-Sterne-Superior-Hotel".  Ist die Autostadt einen Besuch wert? Die 28 Millionen Besucher seit der Eröffnung sprechen wohl eine deutliche Sprache, allerdings sollte man sich genügend Zeit nehmen, ein Tag ist eigentlich zu kurz ...

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VW XL-1

Im April 2002 fuhr der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch von Wolfsburg zur Hauptversammlung der Gesellschaft nach Hamburg, eine Tatsache die per se geringen Informationswert hat. Allerdings war Piëch mit einem Volkswagen unterwegs, der die gut 200 km lange Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 72 km/h und einem Verbrauch von 0,89 (!) Liter/100 km zurücklegte.
ImageDer auf den sprechenden Namen "1L" getaufte Zweisitzer verfügt über zwei hintereinander liegende Sitze und kommt daher mit einer Breite von nur 1,25 m aus. Der unglaubliche Cw-Wert von 0,159 wird unter anderem durch den Verzicht auf jegliche Rückspiegel erreicht, die durch winzige Kameras ersetzt wurden.
Dank exotischer Materialien wie Carbon wiegt der 1L nur 290 kg und der 299 ccm-Diesel bringt mit nur 8,5 PS Leistung das Gefährt auf eine Spitze von 120 km/h.  Und der 1L war nicht nur ein "Gag" - Piëch und später sein Nachfolger Martin Winterkorn erklärten vollmundig, dass das 1-Liter-Auto binnen 10 Jahren in Serie gehen sollte.
Im September 2009 präsentierte VW in Frankfurt mit dem L1 einen bereits sehr seriennahmen Nachfolger: 380 kg, Zweizylinder-Diesel plus Elektromotor mit 39 PS und 7-Gang-DSG-Getriebe.  Der Verbrauch wurde zwar jetzt mit 1,38 Liter angegeben, aber dafür lag die Spitze bei 160 km/h und die Reichweite bei 720 km.
Im Jänner 2011 schließlich wurde die vorerst letzte und Serienversion, der XL-1, wegen dem wir nach Wolfsburg gefahren waren, auf der Qatar Motor Show präsentiert. Die beiden Passagiere sitzen jetzt, leicht versetzt, nebeneinander, was sowohl die Stirnfläche als auch die Alltagstauglichkeit erhöht.  Die selbsttragende Karosserie besteht auf kohlefaserverstärktem Kunststoff und hat einen CW-Wert von 0,186. Der TDI-Dieselmotor leistet jetzt 48 PS und der Elektromotor, der vom Lithium-Ionen-Akku versorgt wird, 20 kW. Das Gesamtgewicht legt jetzt bei 795 kg.  Mit voll geladenen Akkus und einem vollen - 10 Liter - Dieseltank liegt die Reichweite bei 550 km, d. h. der Durchschnittsverbrauch liegt bei knapp 2 Liter/100 km. Rein elektrisch kann der XL-1 rund 50 km fahren.  Das vielleicht bemerkenswerteste am XL-1: Es ist kein Prototyp, keine Studie und kein "Concept Car" - jeder von uns, kann ihn kaufen!
Auf der Vienna Auto Show stand der XL-1 mit dem, zugegeben stolzen, Preisschild von EUR 111.000, und die geplante Stückzahl wurde mit 250 Exemplaren angegeben, die angeblich bereits so gut wie ausverkauft sind.  Aber über Preis und Verfügbarkeit sind wohl noch nicht die letzten Worte gesprochen: Kürzlich machte in US-Medien das Gerücht die Runde, dass der XL-1 in den USA um 50.000 Dollar erhältlich sein sollte ...
Und, so fragt ihr euch jetzt, wie fährt sich die Hightech-Zigarre von VW?  In einem Wort zusammengefasst: Guat, echt guat!
Für den typischen Limousinenfahrer ist das Einsteigen in den Sitz auf Randsteinhöhe vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, aber für "gelernte englische Sportwagenfahrer" wirklich kein Problem und mit Übung sogar mit beachtlicher Grazie möglich.
Einmal drinnen wird es ausgesprochen gemütlich und Lenkrad, Automatikschalthebel, Gas und Bremse liegen genau dort, wo man diese erwartet.  Startknopf dücken, Schalthebel auf D, EV-Modus auswählen (für elektrischen Betrieb) und es geht elektrisch - also lautlos und mit gummiband-artiger Beschleunigung trotz nur 20 kW - los.
Bei stärkerer Beschleunigung, sich leerenden Akku oder durch Auswahl des Hybrid-Fahrmodus schaltet sich automatisch der Diesel dazu, der sich akustisch deutlich bemerkbar macht, aber schließlich befindet er sich direkt hinter den Passagieren und Geräuschdämmung wäre ein Feind des Leichtbaus.  Beim Bremsen rekuperiert der XL-1 so wie alle Elektroautos, d. h. die Bewegungsenergie wird nicht nur in abgenützte Bremsbeläge und Wärme verwandelt, sondern fließt brav wieder in den Akku zurück. Bremst der Fahrer zu stark oder zu abrupt, so folgt die Strafe auf den Fuß: Die Keramikbremse klingt wie eine normale Bremse mit komplett abgefahrenen Bremsbelägen, wenn Eisen auf Eisen trifft und das Pickerl in weite Ferne rückt - aber das ist, so versicherte uns unser freundlicher Instruktor, ganz normal beim XL-1 und vielleicht sogar beabsichtigt, um uns zum Rekuperieren zu erziehen.
Leichter gewöhnt man sich an die beiden Bildschirme in den Türen, auf denen das Bild der beiden Rückspiegel, pardon Kameras, sichtbar ist, und ein deutlicheres Bild liefert, als die meisten konventionellen Außenspiegel.
Fazit: Die vier Austro Classic Tester waren sich einig: Am liebsten, wären wir mit dem XL-1 gleich zur 800 km Nachtfahrt nach Wien aufgebrochen ...
 
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