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Donnerstag, 25. April 2024
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Geschrieben von Hannes Denzel   

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Graz ist als Hochburg der österreichischen Zweiradindustrie hinlänglich bekannt. Natürlich waren auch in der Bundeshauptstadt Wien etliche Hersteller zu Gange, und dass im oberösterreichischen Steyr die berühmten Waffenräder produziert wurden, weiß jeder Velozipedist. Wer aber vermutet heute noch, dass auch im südlichsten Bundesland innovative Fahrmaschinen gebaut wurden?

Text & Photos: Hannes Denzel

  ImageSeltsame Dinge geschahen in Kärnten schon ab 1879: da gab es z. B. den Landmaschinenbauer Josef Erlach in Korpitsch, seine eigenartigen Zwei- und Dreiräder waren komplett aus Blechprofilen vernietet. Es gab sie in verschiedenen Größen: gegen Einzahlung von 50 Kronen bekam man ein kleines Zweirad geliefert, mit dem man üben konnte. Hatte man genug Fahrsicherheit gewonnen, gab man das zurück und bekam gegen weitere 50 Kronen ein richtig erwachsen wirkendes Rad, bei dem das kleine Vorderrad gelenkt und das riesige Hinterrad über Schubstangen angetrieben wurde. "Erlach Draisine" nach seinem Erbauer hieß das Unikum, von dem es auch eine dreirädrige Version gab, welche im TMW erhalten blieb. Erlachs Geselle Valentin Wiegele übernahm später den Betrieb, stellte aber konventionelle Hochräder her.
Optisch weniger skurril, dafür vom Material auffällig waren die Räder der Herren Grundner & Lemisch aus Oberferlach: sie verschraubten Bambusrohre in Stahlmuffen, eine Bauweise, die auch in England und den USA praktiziert wurde. Einerseits geriet das Rad dadurch besonders leicht, und andererseits sah es sehr gefällig und nobel aus. Bis ca. 1905 entstanden in Oberferlach Bambusräder, sogar Tandems wurden gebaut. Dann verliert sich die Spur der Firma, hinterlässt aber einen Abdruck in Form eines Motor-Zweirads, von dem nur ein Exemplar erhalten ist - oder womöglich gar nicht mehr gebaut wurden? Wer weiß ...
"Carinthia" heißt die Maschine, sie dürfte zwischen 1905 und ‘06 entstanden sein. Bambusoder Flachblechteile findet man an ihr nicht, sie besitzt vielmehr einen gutbewährten Stahlrohrrahmen, welcher der damaligen Mode folgend sehr lang geraten ist. Angetrieben wird sie über einen Flachriemen von einem Viertakt-Einzylindermotor mit einem automatischen Saugventil und einem französischen Longuemare Spritzvergaser.  Die Motornummer lautet 652. Ursprünglich hatte der Motor eine Niederspannungs-Abschlagzündung, deren Mechanismus im Gehäuse noch vorhanden ist. Um eine höhere Leistung zu erzielen wurde sie später durch eine Hochspannungs-Magnetzündung von Erea-Böhler ersetzt, auch der Zylinder wurde getauscht. Die Carinthia war jetzt stark genug, um auch einen Beiwagen ziehen zu können.
ImageDer ist heute nicht mehr vorhanden. Das Solo-Motorrad stand jahrelang stark heruntergekommen im Haus eines ehemaligen Angestellten der Kärntner Firma, bzw. bei dessem Nachkommen.  Sie war in Sammlerkreisen wohlbekannt, die vielen heimischen Interessenten hatten allerdings das Nachsehen: der bekannte bayrische Oldtimer-Sammler Franz Xaver Scherer bekam den Zuschlag und konnte den seltenen Vogel in seine Voliere bringen. Behutsam hat er die Carinthia wieder aufgebaut, aber so weit als möglich im Originalzustand belassen. Hin und wieder bekommt sie Freigang - natürlich unter Aufsicht - wie zuletzt bei der Classic Expo 2012, wo sie bei der MVCA-Sonderausstellung wieder einmal den ehemaligen Landsleuten ihre Aufwartung machte.  
 
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