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Montag, 29. April 2024
Entschleunigung auf Rädern Drucken E-Mail
Geschrieben von Jürgen Splet   

Heft bestellen - Entschleunigung auf Rädern

Wir sehen sie manchmal – im Sommer, knapp am Straßenrand dahinzuckelnd – ein ehemaliger Bauwagen als Wohnwagen, davor ein alter Traktor – Individualisten auf ihrem Weg quer durch Europa und der Gelassenheit des Ungetriebenen...

Text und Bilder: Jürgen Splet

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Doch eine geplante Reise mit der Traktorgruppe, fixe Stationen, ein Programm – das gibt‘s doch eher selten! –  Wie kam es denn dazu? Tja, das ist schnell erzählt! Der Poysdorfer Oldtimerclub hatte eigentlich von Anfang an auch eine sehr starke Fraktion an Traktorliebhabern – und da gab‘s natürlich die unausweichlichen Reibepunkte bei Ausfahrten: Die Traktoristen maulten, dass nie etwas für sie geplant würde – von gelegentlichen Treffen rund um den Kirchturm mal abgesehen. Das war 2003 ... Der Clubvorstand präsentierte daraufhin 2004 die Idee, eine Traktor-Tour nach St. Petersburg zu organisieren – wenn schon Überland, dann ordentlich! Geschichtlicher Hintergrund: Als Zar Alexander I. zum Wiener Kongress reiste, war Poysdorf die letzte Station vor Wien – er lernte dort den lokalen Weinbau kennen und schätzen. Schon bald rollten die ersten Weinfasslieferungen Richtung St. Petersburg -  und dieser Tradition folgend sollte ein (volles) Weinfass am Anhänger der Fahrt auch einen sinnhaften Hintergrund verleihen. Die Beteiligung der Traktoristen war überschaubar: Zwei Traktoren, zwei historische Motorräder und ein Begleitbus nahmen die Strecke in Angriff – und kehrten nach ca. 5.000 km innerhalb von vier Wochen wieder wohlbehalten zurück – wer jemals länger auf einem alten Traktorsitz saß, weiß um die Befindlichkeit der Gesäße der Reisenden! Das Medienecho war entsprechend und so entstand in diesem Club (der auch das Traktorwandern für Touristen -– man pilotiert so ein Gefährt durch die Weingärten – oder wird gefahren – initiierte) eine gewisse Tradition für Traktorfernreisen,.


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2006 stand dann die Fahrt zum und über den Großglockner am Programm – immerhin 11 Traktoren beteiligten sich an dieser Reise –, wieder zwei Jahre darauf fuhr der Konvoi nach Dettel-bach, der deutschen Partnerstadt Poysdorfs und 2010 war dann wieder eine lange Strecke angesagt: Griechenland und der Berg Athos mit den dazugehörigen Weingütern waren das Ziel der Traktortour! 2012: wieder nach Westen – das Fürstentum Liechtenstein als Ziel, letztlich sind die Stammlande dieses alten Adelsgeschlechts die Ländereien des nördlichen Weinviertels bis hin in den südmährischen Raum und  2014 war ein neues Ziel anzupeilen – wieder mit entweder historischem Bezug oder Bezug zum Weinbau. Und da praktisch alle österreichischen Markenschaumweine auf Produkten aus dem Großraum Poysdorf basieren – und die Champagne auch auf der gleichen Breite liegt wie unsere Gegend – war es irgendwie „logisch“, dorthin und dann nach Paris zu fahren – der Eifelturm als Sahnehäubchen sozusagen! Dass so eine Tour natürlich eines  gewissen Planungsaufwands bedarf, sei nur am Rande erwähnt.


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Am Donnerstag, den 16. Juli 2014 begann das Abenteuer, an dem sich sieben Steyr-Traktoren (der älteste Bj. 1948) und ein Massey-Ferguson beteiligten. Der älteste Fahrer war noch einiges älter – er war Bj. 1938! Es war ein gemütlicher Abschied, wie es ja auch der Grundgedanke so einer Reise ist – nua net hetz‘n! Die Ausfahrt begann eigentlich erst am nächsten Tag, jetzt wurde mal gefeiert!


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Der endgültige Aufbruch am Freitagmorgen stand wettermäßig unter einem guten Stern – was im letzten Sommer beileibe keine Selbstverständlichkeit war! Traktoren, welche abseits ihres natürlichen Verbreitungsgebietes auf der normalen Straße bewegt werden, fallen dort -natürlich auch den gleichen Fallen zum Opfer – z. B: mangelhaft beschilderten Umleitungen, deren es an diesem Tage gleich zwei gab. Sommer ist ja auch bekanntlich Bauzeit – und falsch abbiegen mit dem Traktor ungleich zeitraubender als mit anderen Verkehrsmitteln!
Der erste Teil der Strecke führte innerhalb Österreichs über Maria Dreieichen ins Waldviertel und dort weiter nach Oberösterreich. Pannenfrei und bei schönem Sommerwetter! Mit Streckendetails  etc. will ich euch nicht langweilen – wer so langsam unterwegs ist, sieht natürlich auch viel und hat schöne Begegnungen – am besten die Beteiligten bei Interesse selbst fragen!


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Wer erinnert sich noch an die NSU-Geschichte im Sommer bezüglich Waging am See in Bayern? An die Regenschlacht vor Ort? Ja, auch die Traktorwanderer wurden dort erstmals auf ihrer Reise so richtig schön eingeweicht – irgendwie bleibt das Wasser dort nicht im See. Der Regen blieb den Reisenden in Bayern auch weiterhin erhalten – aber Neuschwanstein war trotzdem ein Fixpunkt – muss einfach sein! Weiter gen Westen – langsam, aber unaufhaltsam, wie Traktoren nun mal sind – schließlich war das Bodenseeufer erreicht. Die größte Schwierigkeit dieser Etappe sollte wieder einmal eine schlecht beschilderte Umleitung sein, die die Traktoren zu einer unfreiwilligen Fahrt auf einer Autostraße zwang. Von dort ab war das Geläuf dann ziemlich bergig – und der kleinste Traktor kam ganz schön ins Keuchen – aber nicht zum Kochen, dazu war es zu kalt und nass ... Sommer 2014 eben!
Am folgenden Tag war Frankreich erreicht – und wenn es schon am Weg liegt, dann nimmt man ein Erntedankfest mit alten Traktoren und ein wenig weiter das Schlumpfmuseum mit – die Hallen voller hochkarätiger Fahrzeuge sind ohnehin eine eigene Reise wert!  Die nächsten Tage fuhr die Karawane durch die Champagne – wechselnde Orte, wechselndes Wetter, viele Eindrücke – alleine die Weite der Weinhügel ist unglaublich – Rebstöcke bis zum Horizont!


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Jetzt war die erste „echte“ Reparatur vonnöten: eine Wohnwagendeichsel hatte den andauernden „Spitzengeschwindigkeiten“ nicht standgehalten und musste verstärkt werden – kein Grund für langen Aufenthalt – und am Freitag, den 1. August, sah man von den Vororten erstmals auf Paris.
2. August – Der große Tag: Der Empfang in der Botschaft ist geplant, dorthin wurden die Traktoren von zwei Polizisten eskortiert, die nicht sehr ortskundig sind – daraus ergaben sich einige Aufenthalte und lustige Fotos von Motorradpolizisten mit großer Straßenkarte am Tank – doch pünktlich  um 11 Uhr wurde die Botschaft erreicht. Es wartete schon eine große Gruppe, die mit dem Bus aus Österreich angereist war – und mittendrinnen Frau Dr. Ursula Plassnik, die Botschafterin Österreichs in Frankreich. Auch der frühere französische Botschafter war anwesend und alle erlebten eine fröhliche Grillparty im Botschaftshof! Und nach der Grillerei eskortierten die Polizisten die Traktorfahrer zum Eiffelturm – diesmal ohne Umwege. Dieser Tag war auch der Wendepunkt der Fahrt, ab jetzt fuhr man wieder Richtung Heimat ...


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…doch davor wurde am Sonntag erst mal gerastet.  Per Bus mit Führer eine Stadtrundfahrt durch Paris – es gibt schlimmeren Zeitvertreib, speziell, wenn zu diesem Zeitpunkt ein großes Oldtimertreffen stattfindet! Dann noch eine Schifffahrt auf der Seine und das Abendessen auf der Champs Elysee – sozusagen leben wie der Herrgott in Frankreich – zumindest einen Tag lang! Auch der Montag wurde noch als Ruhetag verbracht – allerdings bereits mit vorbereitenden Arbeiten für die Rückfahrt – es gibt immer was zu tun….
Die nächsten drei Tage zuckelte die Kolonne vorerst auf der gleichen Strecke, später abzweigend über Metz Richtung Osten – und ab Donnerstagabend war der deutsche Sprachraum bei Saarbrücken erreicht – was vieles wieder vereinfachte. Der Regen blieb vorerst in Frankreich zurück ...
Am Freitag kam der Tross „zufällig“ zurecht, um bei einem Kirchweihfest dabeizusein – Samstag dann Geschichte mit der Besichtigung eines antiken (römischen) Weingutes, Kultur als Ausgleich zur vorherigen Völlerei.  Am Sonntag wurde der Rhein per Fährschiff überquert und die Reise auf der sogenannten Nibelungenstraße fortgesetzt.  Montag, 11. August – die Karawane zog weiter Richtung Dettelbach, der Partnerstadt Poysdorfs. Es wurde wieder ein langer Abend! Und auch eine richtige Reparatur war nun doch nötig : bei einem der Traktoren wird eine wichtige Mutter nicht mehr fest – Gewinde beleidigt. Jedoch: wozu hat man ein Schweiß-gerät?!? Eben ...
Die Route führte anderntags weiter ostwärts durch die fränkische Schweiz, am Mittwoch wurde Fürth erreicht, dort war das (Mittelalter-)Drachenfest mit Sommertheater (das Stück heißt Drachenstich, man ist eindeutig auf der Nibelungenstraße unterwegs!). Ein schöner Abend, der sehr feucht endete – allerdings äußerlich ... Weiter über den Bayrischen Wald nach Österreich – langsam machte sich eine gewisse Müdigkeit, gepaart mit dem Heimtrieb, bemerkbar. Die letzten beiden Tage – Freistadt, Waldviertel, in Krumau die letzte Nachtrast  – und auch ein letzter Check des „Maschinenparks“ – es sollte ja nicht just bei der letzten Fahrt noch etwas schiefgehen!


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Der Sonntagmorgen – nur 110 km liegen noch vor den Traktoren und ihren Fahrern – und die wollten sie rasch hinter sich bringen. Bei aller Liebe zum Objekt – aber irgendwann hat man dann auch genug! Daher wurde früh aufgestanden (kalt war‘s ohnehin) und schon um 8 Uhr schallte das übliche Motorgeräusch alter Steyr-Traktoren in die Gegend. Bereits um 12 Uhr wurde Laa/Thaya erreicht – und endlich wieder ein Schnitzel bestellt! Grillen ist lustig, aber es darf auch mal paniert sein ... In Poysdorf selbst galt es noch einige Begrüßungstermine zu absolvieren. Fotoposen, Hände schütteln - dann noch ein Abendessen mit der Stadtgemeinde bzw. deren Vertretern – man darf sagen, ein Abschluss, wie er auch in jedem Asterix-Band zu finden ist: Ein fröhliches Festessen – mit gefesseltem Barden ... Wohin es 2016 geht? Man wird sehen – Sooo weit sicher nicht mehr, aber es gibt da ja noch einige bislang unbesuchte Weingebiete im österreichischen Umland. Wir sind gespannt!

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