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Donnerstag, 28. März 2024
Best of Wales Drucken E-Mail
Geschrieben von Wolfgang M. Buchta   

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Wolfgang M. Buchta hat sich die Geschichte einer ganz raren Marke näher angesehen und Ulli Buchta hat dazu die Bilder geliefert ...

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Wenn du einen Porsche, Ferrari oder Mercedes fährst, brauchst du nichts erklären – die Marken kennt jeder und weiß, wofür sie stehen. Fährst du hingegen einen Tornado, einen Turner oder einen Fairthorpe, schaut dich dein Gegenüber meist nur verständnislos an, was eine Erklärung – ... kleine, englische Marke ... Großserientechnik und Kunststoffkarosserie ... so ähnlich wie Lotus, aber rechtzeitig wieder eingegangen, bevor sie berühmt wurden ... – erfordert, eine Erklärung, die auch auf die Marke Gilbern ganz gut passt.

Die Firma „Gilbern Sports Cars (Components) Ltd“ wurde 1959 durch Giles Smith und Bernard Friese, der als deutscher Kriegsgefangener nach Großbritannien gekommen und dort nach dem Krieg geblieben war - gegründet. Smith war von Beruf Fleischhauer, und von Berufung Autoliebhaber, aber zumindest Friese brachte eine gewisse Erfahrung in der Verarbeitung von Fiberglas mit in die neue Firma.

Sitz des jungen Unternehmens war Llantwit Fardre, Pontypridd, Glamorgan, Wales, knappe 20 km nordwestlich von Cardiff, und machte Gilbern - ein Akronym der Vornamen der beiden Gründer - zu einer ganz raren Spezies - zu einer walisischen Automarke ...

Eigentlich wollte Friese nur ein oder vielleicht zwei Einzelstücke für seinen Partner und sich selbst bauen, aber das Resultat war so gut, dass sich die beiden Partner schnell zu einer (kleinen) Serienproduktion entschlossen. Die „Produktion“ begann in einer winzigen Werkstatt in Village, Pontypridd, aber schon bald übersiedelten die beiden in größere Räumlichkeiten im nahe gelegenen Llantwit Fardre.

Wie bei den meisten „Mitbewerbern“ wurden die Gilberns anfänglich als Bausätze, also als sogenannte „Kit Cars“ – was Gilbern-Besitzer bis heute nicht gerne hören – angeboten, die in Großbritannien zu dieser Zeit steuerlich begünstig waren. Aber später konnten die Kunden auch komplette Fahrzeuge erwerben.

Das erste Modell von Gilbern wurde schlicht „Gilbern GT“ genannt, und war ein 2+2 Coupé mit dem 948-ccm-Motor aus dem Austin A35 (GT Mk I), für den optional ein Kompressor von Shorrocks erhältlich war. Ganz wenige Exemplare wurden von dem wesentlich potenteren Coventry Climax Motor angetrieben. Auch für Käufer des „Bausatzes“ kam die Kunststoffkarosserie komplett ausgestattet mit Scheiben, Verkabelung und Tapezierung, und der Kunde musste „nur“ mehr die Mechanik „hinein schrauben“.


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Spätere Versionen bekamen den leistungsstärkeren Motor der B-Serie mit 1.500 bis 1.800 ccm, wie er beispielsweise auch im MG A und MG B verbaut wurde. Mit dem MG B-Motor wurde aus dem Gilbern GT der Gilbern 1800. In Summe entstanden von diesem Typ (wahrscheinlich) 277 Stück.

Als die Zeitschrift „The Motor“ 1961 einen GT mit 1.600er-Motor testete, kamen die Motorjournalisten auf eine Spitze von 151 km/h und brauchten 13,8 Sekunden für eine Beschleunigung auf 100 km/h. Der Preis des Testwagens lag bei £ 251,-.


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Regelmäßige Einsätze bei Motorsportveranstaltungen gaben der Marke eine gewisse Bekanntheit, so dass Gilbern 1965 von der „Society of Motor Manufacturers and Traders“ als Mitglied akzeptiert wurde – eine Vorbedingung dafür, dass man auf der International Motor Show in Earls Court seine Modelle präsentieren durfte. Auf den Ausstellungen hatte Giles Smith seine legendären Auftritte, bei denen er, um die Festigkeit der Kunststoffkarosserie zu dokumentieren, am Dach eines Autos herumtanzte und dazu auch noch beide Türen öffnen ließ.

1966 wurden dem 1800 ein optisch ähnliches, aber luxuriöseres und stärkeres Modell zur Seite gestellt. Der Gilbern Genie wurde von einem 2,5- oder 3,0-Liter-V-6 aus dem Hause Ford angetrieben und hatte ein Schaltgetriebe mit optionalem Overdrive. Ein Großteil der restlichen mechanischen Komponenten kam weiterhin von BMC.


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1967 wurde die Produktion des Gilbern 1800 eingestellt, und 1968 die des 2,5 Liter Genie.

1968 war es um die Finanzen von Gilbern etwas schlecht bestellt, so dass man sich auf die Suche nach einem Investor machen musste - und ausgerechnet in der „Ace Capital Holdings Ltd“, einem Hersteller von „einarmigen Banditen“ fand, die gleich die ganze Firma übernahm, was kurz darauf Giles Smith zum Verlassen seines Unternehmens veranlasste.

Für rund ein Jahr war der Genie 3.0 das einzige Modell - mit rund 202 Exemplaren sollte der Genie das rarste Serienmodell bleiben - und 1969 wurde die bewährte Form neuerlich überarbeitet, das Chassis verstärkt und mit größeren Bremsen ausgestattet. Fertig war der Gilbern Invader, der mit elektrischen Fensterhebern und Holzarmaturenbrett deutlich luxuriöser und natürlich teurer als der Vorgänger war.

Der im Juli 1969 präsentierte Invader wurde nicht mehr als Bausatz sondern ausschließlich als Fertigfahrzeug angeboten. 1970 kam ein Invader Kombi dazu, und ein automatisches Getriebe konnte gegen Aufpreis geordert werden.

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 Nach knapp 10 Jahren begann der Niedergang von Gilbern. Ace Capital Holdings setzte nach am Abgang von Smith zwei neue Direktoren - Mike Leather und Maurice Collins - ein, aber 1970 wurde die Muttergesellschaft selbst übernommen, und die „Großmutter“, Mecca Leisure Group, ein Betreiber von Nachtclubs, Hotels, Bingo-Salons und – später – der Kette „Hard Rock Cafe“ hatte an einem kleinen, walisischen Autohersteller wenig Interesse und verkaufte das ganze Unternehmen an Maurice Collins, der seinerseits zwei Jahre später an seinen Co-Direktor Mike Leather verkaufte.

1971 kam eine leicht überarbeitete Mk II-Serie auf den Markt, der ein Jahr später der Mk III folgte.

Teuer gewordene Modelle – 1972 kam der Gilbern Invader aus stolze £ 2.693,- , die neue VAT (Mehrwertsteuer) auch für Bausatzautos und interne Probleme durch die rasch wechselnden Besitzerverhältnisse führten schließlich – einen weiteren Besitzerwechsel und mehr als 600 gebaute Invaders später – zur Produktionseinstellung im Jahre 1974.

Aber Gilbern „ging mit Stil“ und präsentierte kurz vor dem Ende ein spektakuläres „Concept Car“ namens T11. Der von Stardesigner Trevor Fiore gestylte T11 hatte einen Rohrrahmen, Kunststoffkarosserie und einen getunten 1,5-Liter-Motor aus dem Austin Maxi als Mittelmotor. Das Einzelstück existiert noch, und wurde nach knapp 40 Jahren von einem Sammler restauriert.

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