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Freitag, 29. März 2024
Die letzten Mohikaner Drucken E-Mail
Geschrieben von Redaktion   

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Bugatti – die Marke stand in den 1920er- und 1930er-Jahren nicht nur für Luxus, sondern vor allem auch für Motorsport. Nicht umsonst gilt der legendäre Bugatti 35 als der erfolgreich-s-te Rennwagen der Automobilgeschichte, der in den Jahren 1924–1930 mehr als 2.000 (!) Rennsiege errungen haben soll.

 

Die Bugatti-Rennwagen der Nachkriegsjahre


War es reine Verwegenheit oder Abenteuerlust, die Roland Bugatti und Direktor Pierre Marco in den frühen 50er-Jahren überfiel, einen Bugatti-Formel-1-Rennwagen selbst entwickeln zu wollen, um sich der etablierten Konkurrenz von Mercedes, Ferrari, Lancia, Maserati und Vanwall entgegenzustellen?

Goldene Zwanziger


Oder war es die Rückbesinnung auf die erfolgreiche Zeit der goldenen 20er-Jahre, als die grazilen Art-Deco-Kunstwerke 35, 51, 54 und 59 der Konkurrenz den Auspuff zeigten? Ettores 240 PS-starker Achtzylinder-T59-Diätkünstler brachte 1933 gerade einmal 750 Kilogramm auf die Waage, während der SSK von Mercedes, nur 30 Pferdestärken muskulöser, mit 450 Kilo Übergewicht in Rubensstatur antrat. Dieses Ungleichgewicht änderte sich ab 1934 schlagartig, als der Motorsport zum politischen Spielplatz mutierte. Die hochgerüsteten teutonischen Silberfischerln der Auto Union und von Mercedes fuhren abwechselnd mit Mussolinis Alfa-Streitmacht um diktatorischen Ruhm in der höchsten Motorsportklasse. Genialist Ettore Bugatti versuchte verzweifelt gegenzuhalten, geriet dabei jedoch mit seiner Firma in finanzielle Schieflage.

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Angespannte Finanzlage


Der noble und schnelle Typ 57 war 1938 Bugattis einziger Straßenwagen im Angebot. Viel zu teuer, um in großen Stückzahlen Absatz zu finden. Auch das zweite Standbein der Firma, die Herstellung von Eisenbahn-Triebwagen mit Verbrennungsmotoren, kämpfte mit Nachfrageproblemen. Ihre 12,75-Liter-Bugatti-Royale-Antriebsmotoren erwiesen sich mit 40 Liter Verbrauch pro hundert Kilometer als viel zu durstig.

Beim 24-Stundenrennen von Le Mans 1939 konnte Bugatti aus finanziellen Nöten nur noch einen einzigen Werksrenner einsetzen. Jean Pierre Wimille und Pierre Veyron gewannen mit dem 57C Tank zum zweiten Mal dieses prestigeträchtige Rennen für die Molsheimer Edelschmiede.

Ständige Mitarbeiterstreiks veranlassten den verbitterten „Le Patron“, seinen Lebens- und Arbeitsplatz nach Paris, in die Rue Boissière zu verlagern. Das Werk in Molsheim, wo die Buchhaltung kaum mehr die Rechnungen für die unzähligen Rotstifte bezahlen konnte, leitete Ettores Sohn Jean, der in des Vaters Fußstapfen treten sollte.

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Letzter Vorkriegs-Auftritt


Am 30. Juli 1939 fand das erste „International Prescott Hill Climb“ statt – vom Bugatti-Owners-Club initiert. Jean Bugatti schickte einen einzigartigen T59 nach Gloucestershire, mit aufgeladenem 4,7-Liter-Achtzylinder-Typ 50B-Motor und Zwillingsrädern auf der Hinterachse. Der frischgebackene zweifache LM-Sieger Jean Pierre Wimille saß am Steuer des Monsters. Erzielte zweitbeste Zeit hinter Raymond Mays auf seinem wendigeren ERA. Dies sollte der letzte Einsatz eines Werks-Bugattis vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sein. Und der Letzte unter der Leitung von Jean Bugatti, der am 11. August 1939 bei einer Testfahrt tödlich verunglückte. Am 1. September befahl Hitler den Überfall auf Polen. Am 3. September erklärten Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg.

Dunkle Zeiten


Während der deutschen Besatzungszeit fertigte Hans Trippel den SG6/41 Schwimmwagen in den gepachteten Molsheimer Bugatti-Werken, während Ettore Bugatti in Paris mögliche Konzepte einer Nachkriegsautoproduktion erdachte. Sein neuer Typ 73C-Rennwagen sollte künftig dem Privatfahrer als Siegerauto in der 1500er-Rennklasse dienen. Der vom Renner abgeleitete T73A-Sportwagen sollte für breiten Absatz und kommerziellen Erfolg sorgen.

Erster Nachkriegs-Auftritt


Zum ersten Autorennen nach dem Krieg, am 9. September 1945 im Pariser Park „Bois de Bolougne“, reiste „Le Patron“ in seinem Royale persönlich an, um seine Vorkriegsrenner, die aus ihren Verstecken geholt wurden, siegen zu sehen. 200.000 weitere Besucher feuerten ihre alten Helden entlang der 2,8 Kilometer langen Strecke an. Im Hauptrennen waren gleich fünf Bugattis am Start.

Jean Pierre Wimille auf demselben T59/50B, mit dem er den letzten Bugatti-Vorkriegseinsatz in Großbritannien bestritt. Maurice Trintignant auf jenem 51er, in dem sein Bruder Louis 1933 im Training von Peronne ums Leben kam. Der jahrelang unter Heu verborgene Renner wollte im Training nicht so richtig laufen. Hilfsbereit machten sich Wimille und Pierre Veyron über dessen Vergaser her, worin sie unzählige kleine bohnenförmige Krümel entdeckten, die den Kraftstofffluss verhinderten. Die vorgefundenen Nager-Hinterlassenschaften bescherten Trintignant den prägnanten Spitznamen „Le Petoulet“ („les petoules“ = Rattenexkremente), den er fortan humorvoll akzeptieren musste.

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Letzter Sieg

Wimille ging vom letzten Startplatz ins Rennen, weil er zu spät zum Rennen erschien. In Militärdiensten war es ihm untersagt, seine Kaserne frühzeitig zu verlassen. Dafür beeilte er sich umso mehr, im Rennen an die Spitze zu stürmen. Nach vier Seiltanz-Runden lag er bereits an erster Stelle und gewann das Rennen mit komfortablem Vorsprung. Vor einem Talbot T26, gelenkt von Raymond Sommer. Es war der zweite und letzte Renneinsatz des T59/50B. Der letzte Bugatti-Sieg vor den Augen des Firmengründers, die er am 23. August 1947 für immer schloss.

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Bugatti T73


Die Idee, einen Wagen für die Voiturette-Klasse der Formel 2 bis 1500 Kubikzentimeter zu konstruieren, schwebte Ettore Bugatti schon 1937 vor. Als er erkannte, aus finanziellen Gründen bei Grand-Prix-Rennen mit den hochgerüsteten Alfettas, Mercedes’, Maseratis und ERAs nicht mehr mithalten zu können. Sein Ziel war es, einen Rennwagen herzustellen, den er an hunderte zahlungswillige Privatfahrer verkaufen konnte. Wie einst in den Goldenen Zwanzigern. Ein kommerziell kluger Schachzug, um die Finanzen der wirtschaftlich maroden Firma wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen.

1946 entwarf und baute er zwei Varianten eines Anderthalbliter-Vierzylinder-Kompressormotors: Die 80-PS-Version dieses Triebwerks besaß nur eine obenliegende Nockenwelle, die drei Ventile pro Zylinder bespielte. Zylinderblock und -kopf waren, wie bisher bei Bugatti üblich, in einem Stück gegossen. Dieser optische Leckerbissen war für den Einbau in den viersitzigen Straßensportwagen T73A auserkoren. Das – laut Werksangaben – 240 PS starke Doppelnockenaggregat jedoch ausschließlich für den 73C-Renner, der leider nur am Papier und in wenigen Einzelteilen entstand. Eine Konstruktionszeichnung, datiert 9.10.1945, lässt klar erkennen, dass Ettore Bugatti bei der Konstruktion des 73C nur geringfügig von seinem in den 20er-Jahren verwirklichten Erfolgskonzept abweichen wollte.

Während die Konkurrenz zunehmend leichte Rohrrahmenkonstruktionen erdachte, fungierte beim T73-Konzept noch immer der gute alte, sich nach vorne verjüngende Leiterrahmen als Tragwerk. Traditionelle Starrachsen vorne und hinten, auf Blattfedern aufgehängt, standen ausgeklügelten Einzelradaufhängungsfahrwerken der Mitbewerber gegenüber. Selbst was Aerodynamik und Schwerpunktlage anbelangt, ließ sich der geniale Konstrukteur von der revolutionären Außenwelt kaum beeindrucken: Der Fahrer saß exponiert und aufrecht über dem Getriebe thronend im breit ausladenden „Armsessel“. Ein sehr hoch bauender Motor mit davor stolz im Wind stehendem Hufeisengrill trug ebenso nur wenig zur Windschlüpfrigkeit des T73C bei. Die große Bugatti-Revolution hielt jedoch bei der Motorkonstruktion Einzug. Der Vierventil-Zylinderkopf war erstmals vom Zylinderblock getrennt abnehmbar. Neuartige Hydrostößeln befanden sich im Erprobungsstadium. Als Ferrari-Motoren-Papst Lampredi das 73er-Triebwerk zum ersten Mal sah, zeigte er sich schwer beeindruckt: „Das ist kein Bugatti-Motor, das ist ein moderner Offenhauser!“

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Paris 1946/1947


1946, am ersten Pariser Autosalon nach dem Zweiten Weltkrieg, präsentierte Bugatti lediglich seine neuen Motoren der Öffentlichkeit. Ein Jahr später, kurz nach Ettores Tod, den viersitzigen 73A-Sportwagen mit aufregender Pourtout-Stromlinien-Karosserie. Stylistisch seiner Zeit weit voraus, mit viel Leder und Holz im Innenraum, aber keinem Motor unter der Haube …

Von den ursprünglich zwanzig geplanten 73C-Rennwagen sollten 15 Stück in französischer Privatfahrerhand bleiben. Die restlichen fünf Fahrzeuge sollten über den Kanal nach Großbritannien geliefert werden. Kein einziges Auto wurde jedoch in der Pariser Werkstatt, in der Rue Débarcadère, fertiggestellt. Lediglich Fahrgestelle, Motoren und Einzelteile, die viele Jahre nach Aufgabe des Projekts interessierte Käufer fanden.

Fünf Mal T73C


1960 erwarb der Brüsseler Bugatti-Händler Jean De Dobbeler Chassis-Nummer 73C001 inklusive Motor, Getriebe und Zubehör. Er schneiderte ein Monopostokleid im Stile von Bugatti-Werksdesigner Antonio Pichetto auf das Fahrgestell und verkaufte anschließend den Rennwagen (heute: Harada Collection, Japan). Danach besorgte er sich Chassis-Nummer 73C002 aus dem Molsheimer Lager, veräußerte es an einen amerikanischen Sammler, ehe Tom Wheatcroft (Donington Race Car Museum) 1973 daran Interesse zeigte und eine aerodynamische Karosserie, inspiriert von Wimille’s 1937er 3-Liter, daraufsetzte (heute im Privatbesitz, USA). Chassis-Nummer 73C003 fand seinen Weg nach Mulhouse, ins „Musée National de l’Automoblie“ (Ex-Schlumpf).

Die restlichen beiden Fahrgestelle 73C004 und 73C005 kaufte Bart Loyens in den 60er-Jahren. Mit blauem Zwillingsanzug, Pichettos T59/50B gleichend, wurden sie zu vollwertigen Rennwagen aufgebaut. Facel-Vega-Guru John Barton bot 004 2016 bei einer Bonhams-Versteigerung zum Verkauf an. Tom Darks Schwesterauto 005 ist stets erfolgreich im historischen Rennsport unterwegs und zeigt damit das verkannte Potential des antiquiert wirkenden Renners auf, wenn er den ERAs und Maseratis um die Ohren fährt. Wobei der historische Rennsport nicht immer ein korrektes Abbild seiner vorgegaukelten Rennepoche widerspiegelt.

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Schwierige Nachkriegssituation

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der in Mailand geborene Ettore Bugatti mit italienischem Pass um seine 1909 im elsässischen Molsheim gegründete Firma kämpfen. Als Italiener galt er in Frankreich vorerst als „feindlicher Ausländer“. Erst mit seiner Einbürgerung am 20. März 1946, begannen die rechtlichen Mühlen zur Rückgabe seiner französischen Besitzungen langsam zu mahlen. Zu langsam! Als ihn die positive Nachricht von der eingeleiteten Restituierung erreichte, war Ettore Bugatti bereits gesundheitlich schwer erkrankt.

Die Leitung, der vom Kriege hart in Mitleidenschaft gezogenen Firma, wurde nach dem Tode Ettore Bugattis an seinen Wegbegleiter, Testfahrer und Werksmechaniker Pierre Marco übertragen. Marco war Franzose mit italienischer Herkunft und seit 1919 treuer Mitarbeiter der Firma. Ihm zur Seite stand Ettores zweiter Sohn, der 1947 erst 25-jährige Roland, welcher 1951 die Firmenleitung übernahm. Neben zaghaften Versuchen, die Automobilproduktion mit schönen modernen Karosserien auf übrig gebliebenen und veralteten T57-Vorkriegsfahrgestellen in Schwung zu bringen, lag das Hauptgeschäft der Firma bei Wartungs- und Reparaturarbeiten an den zahlreichen alten Straßenfahrzeugen sowie Eisenbahntriebwagen. Die französische Armee forderte Motoren an, selbst Webstühle wurden in Molsheim im Kundenauftrag gefertigt. Die Fachpresse forderte jedoch vehement die Rückkehr der Firma zu ihrem ursprünglichen Stammgeschäft, dem Automobilbau.

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T252 Sportwagen


Ende 1953 fassten Roland Bugatti und Pierre Marco den mutigen Entschluss, einen 200 km/h schnellen vierzylindrigen 1500 ccm-Roadster auf den Markt bringen zu wollen. Der hochentwickelte T252 sollte die Konkurrenz von MG, Triumph und Porsche mächtig aufmischen. Mit einem Doppelnocken-Leichtmetall-Motor und vielen weiteren fortschrittlichen Ideen, die der mögliche Werbeträger in seinen Genen trug: Der neue Bugatti T251 Formel 1.

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T251 Formel 1


Die Nachricht, dass Bugatti wieder in die Formel 1 einsteigen möchte, schlug wie eine Bombe ein. Die „Federation Internationale de l’Automobile“, kurz FIA genannt, beschloss nach zwei Übergangsjahren 1952 und 1953, als die F1-Weltmeisterschaft aufgrund Fahrzeugmangels mit F2-Fahrzeugen ausgetragen wurde, ein ab 1954 geltendes, neues Motorenreglement: Unaufgeladene Motoren durften mit einem maximalen Hubraum von 2,5-Liter an den Start gehen, Kompressormotoren jedoch nur kärgliche 750 ccm Zylinderinhalt aufweisen.

Colombo


Als Konstrukteur und Ideenlieferant für dieses riskante und herausfordernde Projekt konnte der erfahrene italienische Ingenieur Gioacchino Colombo gewonnen werden. Colombo konzipierte bereits 1937 die überaus erfolgreiche Alfa „Alfetta“ 158 mit seinem 1,5-Liter-Leichtmetall-Achtzylinder und Transaxle-Getriebe an der Hinterachse. Er entwickelte für Enzo Ferrari 1947 einen 60°-V12-Motor, der in unterschiedlichsten Varianten und Hubraumgrößen bis in die späten 80er-Jahre „Springende Pferde“ beflügelte, ehe er 1951 wieder zu Alfa Romeo zurückfand. Farinas-Weltmeister-158 von 1950 kam, von Colombo runderneuert, mit Fangio am Steuer als Typ 159 1951 erneut zu Champion-Ehren. Ende 1952 führte sein Weg zu Maserati. Gemeinsam mit Vittorio Bellentani entwarf er den 250F, dessen Fertigstellung er nicht mehr mitverfolgen konnte, da er zu diesem Zeitpunkt schon seine Arbeit für den Formel-1-Bugatti aufnahm.

Vorschusslorbeeren


Als der belgische Journalist Jacques Ickx, Vater von Formel-1-Star Jacky, sich bei einem Besuch im Elsass über die Grundzüge des Sensationsprojekts informierte, posaunte er: „Es wird das exklusivste und revolutionärste Auto sein, das jemals die Grand-Prix-Welt bereicherte! Dieser neue Bugatti wird sämtliche, bisher anerkannten Konstruktionsprinzipien infrage stellen, ... zeigt französische Technik auf höchstem Niveau!“

T251-Antrieb


Nach guter alter Bugatti-Tradition folgte Colombo der Idee, ein Reihen-Achtzylinder-Triebwerk mit zwei obenliegenden Nockenwellen vom Blatt weg zu konstruieren. Mit Doppelzündung, vier Ventilen pro Zylinder, beatmet von vier Weber-Doppelvergasern. Jedoch zusammengesetzt aus zwei Leichtmetall-Vierzylinderblöcken mit Mittelabtrieb. Ein wenig an den legendären 2,9-Liter-Alfa-Motor von 1931 erinnernd. Als Kurzhuber ausgelegt, mit 75 Millimeter Bohrung bei 68,8 Millimeter Hub, erwartete die Bugatti-Mannschaft ein Drehvermögen von mindestens 9000 U/min. Mit der prognostizierten Leistung von 230 PS hinkte man der Konkurrenz um 40 Pferdestärken hinterher. In der Endausbaustufe sollten erträumte 280 PS bei phantasievollen 12.000 Umdrehungen zur Verfügung stehen.

Dieses Motorlayout entsprach weitgehend dem damals üblichen Standard. Seine Einbaulage konnte jedoch als einmalig revolutionär bezeichnet werden, nämlich hinter dem Fahrersitz quer eingebaut. Eine Einbaulage, die sich erst mehr als zehn Jahre später beim Formel-1-Honda RA272 wiederholte. Und später in der Formel 1 nimmer mehr. Obwohl Pläne bei Ferrari existierten, dem 156 Sharknose 1962 zwei 750er Gilera-Vierzylindermotoren quer nebeneinander einzupflanzen.

Ein längs eingebauter Reihen-Achter hätte eines Lastwagen-Radstands bedurft. Ähnlich der 1930er-Jahre-Mittelmotor-Auto-Union-V16.

Dank des Quereinbaues reichten gerade einmal 218,4 Zentimeter Achsabstand. 1,5 cm weniger, als beim wendigen Mikro-Familientransporter Fiat 600 Multipla.

Das Fünfganggetriebe mit Porsche-Synchronisierung schmiegte Colombo platzsparend parallel an den rechtsseitigen Vierzylinderblock an. Die Eingangswelle wurde über Stirnräder mittig zwischen den beiden Blöcken angetrieben. An der Ausgangswelle befand sich ein weiterer Stirnradsatz, der zum Differential führte, welches über die beiden Antriebswellen mit je zwei Kreuzgelenken für Vortrieb sorgte.

Die Benzintanks verbaute Colombo nicht, wie bei den meisten Autos der Konkurrenz, schwerpunktmäßig ungünstig hoch im Heck, sondern links und rechts des Cockpits, tief unten, aerodynamisch von der Karosserie eingehüllt. Nur am sehr fortschrittlichen Lancia D50 von 1955 waren die Benzintanks zwischen den Rädern in angehängten Seitenkästen montiert, ehe Enzo Ferrari, als er 1956 das Lancia-Rennteam übernahm, den Tank wieder fahrdynamisch ungünstig ins Heck verlegte.

Tragende Rahmenrohre sorgten für den Wasseraustausch zwischen Motor und dem im Bug liegenden Wasserkühler. Zur Beatmung der vier, zum Wagenbug hin gerichteten Weber-Doppelvergaser, dienten armdicke flexible Schläuche beiderseits des Fahrersitzes, die gierig über eine Hutze unterhalb der Frontscheibe Frischluft einsaugten.

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T251 Fahrwerkskompromisse


Es schien, als wäre dieses in jedem Detail komplexe neue Auto perfekt durchgeplant gewesen. Konstrukteur Gioacchino Colombo pendelte im Zweiwochen-Rhythmus zwischen seinem Mailänder Zeichentisch und der Molsheimer Fabrik, wo die Arbeiten am Formel 1 wegen Geldnot nur sehr schleppend vorangingen.

Pierre Marco stand dem Projekt, je komplizierter und teurer es wurde, immer skeptischer gegenüber. Als sich der technisch unerfahrene und eigentliche Initiator des Projekts, Roland Bugatti, auch noch konstruktiv miteinbringen wollte, war sowohl bei Colombo, als auch bei Marco die Luft draußen. Colombo zeichnete eine sehr saubere Fahrwerksskizze mit vier einzeln aufgehängten Rädern, die bei Roland Bugatti überhaupt keinen Zuspruch fand. Dieser schwörte vehement auf bugatti-typische Starrachsen vorne und hinten. Er schickte Colombo wieder zurück an den Zeichentisch, woraufhin dieser zähneknirschend eine optimierte Starrachskonstruktion – hinten nach dem De Dion-Prinzip – mit diagonal über Hebel wirkende Schraubenfedern präsentierte. Das eingefederte Rad übertrug die Kraft über Hebel auf den gegenüberliegenden unteren Rahmenpunkt, wodurch das kurveninnere Rad zusätzlich belastet wurde. Doppelte Druckstreben vorne und Zugstreben hinten sollten die in der Mitte des Rahmens mit einem Gleitzapfen geführten Trampelachsen längs stabilisieren. Genial für einen Starrachser, aber auch kompliziert.

Mailand–Molsheim


Das ursprünglich von so hohen Erwartungen erfüllte Projekt schien aus dem Ruder zu laufen. Colombo zog sich ins Mailänder Büro zurück. In Molsheim bastelte die Bugatti-Mannschaft nach eigenen Eingebungen am Rennwagen weiter. Ex-Ferrari-Chefmechaniker Stefano Meazza wurde von Colombo ins Werk abbestellt, um die dortigen Vorgänge zu kontrollieren und in geordnete Bahnen zu lenken, doch er geriet ständig in den Machtkampf dreier rivalisierender Fronten. Colombo lieferte Ideen, die nicht so umgesetzt werden konnten, wie er es sich vorstellte. Roland Bugatti schien davon überzeugt zu sein mit seinen eigenen, biederen Vorschlägen, günstig und einfach das ersehnte Ziel, F1-Weltmeister zu werden, erreichen zu können. Pierre Marco sah den Untergang der Firma voraus. Colombos Vorschläge schienen schlichtweg unfinanzierbar, Roland Bugattis Einmischungen machten aus einer Jahrhundertvision ein holperndes Leiterwagerl. Ein Finanzdebakel war in jeder Hinsicht bereits vorprogrammiert.

Ernüchternde erste Tests


Am 29. Juli 1954 lief der 2430 ccm-Achtzylinder das erste Mal, gleich 72 Stunden lang, auf dem Prüfstand. Die gemessenen 230 PS waren eindeutig zu wenig, um den 40 PS stärkeren Ferrari D50 und 625 Paroli bieten zu können. Im Aufgabenbuch stand jedoch vorrangig, das Auto fertig zu bauen und das Fahrwerk bei Testfahrten zu optimieren. An der Leistungsfähigkeit des Motors könne danach noch nachgebessert werden. Die erste Testfahrt des fertigen Wagens fand erst 15 Monate später, am 4. Oktober 1955 am Flughafen von Straßburg-Entzheim, statt. Der Molsheimer Renner unterschied sich mit seiner pummeligen Optik deutlich von seinen schlank wirkenden zigarrenförmigen Gegnern. Sehr breitbauchig und übergewichtig wirkend stand er da. Wobei Letzteres auch tatsächlich zutraf. Mit speckigen 750 Kilo brachte der T251 satte 200 Kilogramm mehr auf die Waage, als der gleich schwache, vierzylindrige BRM P25 von 1955. Windschlüpfrigkeit konnte man ihm jedoch nicht absprechen mit seiner breiten Front, der sportwagenähnlichen Silhouette, wenn man sich die Räder von Kotflügeln überdeckt vorstellte.

Pierre Marco ließ es sich nicht nehmen, die Jungfernfahrt des Neuen auf dem 2,8 Kilometer langen Rundkurs, der aus zwei langen Geraden und zwei 180 Grad-Kurven bestand, selbst zu absolvieren.

Nach wenigen Runden vermeldete der erfahrene Testfahrer, dass das Auto selbst auf der Geraden kaum zu halten wäre. Der drastisch kurze Radstand, die ungewöhnliche Motorplatzierung und der sehr hohe Schwerpunkt in Verbindung mit dem neuartigen Federungssystem zwinge dem Typ 251 ein besonders nervöses Fahrverhalten auf.

Der so euphorische Jacques Ickx, der den T251 einst so in den Himmel lobte, wohnte auch den ersten Testfahrten bei. Er zog als Resümee, dass es besser wäre, ein derart ungewöhnliches Auto intensiv zu testen, bevor es in den harten Rennbetrieb geschickt wird. Man sollte dem Projekt noch ausreichend Zeit geben und keine voreiligen Entscheidungen treffen, die man nachher bereuen würde.

 Von den unerfreulichen Testerfahrungen gewarnt, veranlasste man im Bugatti-Werk den Bau eines zweiten verbesserten Wagens mit einem um 10 Zentimeter verlängerten Radstand.

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Voreilige Entscheidungen

Bevor dieser noch fertig war, lud Roland im März 1956 renommierte Piloten zu Testfahrten nach Entzheim ein, um einen würdigen Werksfahrer für das neue Bugatti-Team auszuwählen. Neben „Petoulet“ Maurice Trintignant, der 1956 schon bei Vanwall unter Vertrag stand, bewarben sich der 50-jährige und ehemalige Le-Mans-Sieger Louis Rosier, der 60-jährige Veteran Philippe „Phi-Phi“ Etancelin und Hernando da Silva Ramos, Sohn eines reichen brasilianischen Geschäftsmannes und einer französischen Mutter, um ein erwartungsgemäß ruhmreiches Bugatti-Cockpit. Trintignant zeigte sich nach ersten Tests zwar skeptisch, sagte jedoch zu, mit einem weiterentwickelten Auto dem Bugatti-Team für einen einmaligen Grand-Prix-Einsatz zur Verfügung zu stehen.

Inzwischen haben sich Roland Bugatti und Toto Roche, Grand Signeur des französischen Motorsports, auf Druck der Fachpresse bereits darauf geeinigt, dass Bugatti beim Grand Prix in Reims am 1. Juli 1956, nach 17 Jahren Abstinenz, sein glorreiches Formel 1-Revival feiern wird. Pierre Marco war entsetzt. Er konnte diese voreilige Entscheidung nicht fassen. Roland Bugatti  hingegen optimistisch und ruhmessicher.   Colombo schon längst eine Randfigur.

Außerordentliche Reims-Probefahrten

Um sicher zu gehen, dass die Premiere des neuen Wagens auf seiner Heimstrecke höchst erfolgreich verlaufen wird, gelang es Toto Roche, die üblicherweise öffentlichen Straßen des 8,2 Kilometer langen Kurses zwischen den Gemeinden Thillois, Gueux und Muizon, für außerordentliche Bugatti-Testfahrten am 18. Juni 1956 sperren zu lassen. Trintignants Rundenzeiten sorgten jedoch für Kopfzerbrechen und Ernüchterung. Mit 2:42 Minuten lag er 13 Sekunden hinter Fangios Mercedes-Zeit von 1954. Aufgrund der Le Mans-Katastrophe fand 1955 kein Grand Prix von Frankreich statt. Die Testanalyse ließ mehrere, durchaus erwartbare Schwachstellen am Typ 251 erkennen. Allem voran galt es, die unharmonische Fahrwerksabstimmung zu beheben und das gefährliche Aufschaukeln und Übersteuern des Wagens zu beseitigen. Trintignant fuhr die langen Geraden in Schlangenlinien. Die selbst entwickelten Scheibenbremsen zeigten zu geringe Wirkung. Ganz zu schweigen, von der notorisch fehlenden Motorleistung. Schier unlösbare Aufgaben, um in knapp zwei Wochen beim Grand Prix konkurrenzfähig antreten zu können.

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Grand Prix-Training


Zum offiziellen Training erschien das stolze Bugatti-Team mit zwei Fahrzeugen. Beide waren nun mit riesigen verrippten Trommelbremsen vom Bugatti Typ 57 anstatt der ineffizienten Scheibenbremsen ausgerüstet. Der zweite T251 hatte nicht nur den 10 Zentimeter längeren Radstand, sondern auch eine konventionellere Hinterradaufhängung, mit außen, nahe des Rades senkrecht montierten Schraubenfedern. Und ein stärkeres Triebwerk, sowie eine gefälligere, leichtere und aerodynamischere Karosserie als der erste Prototyp. Dieses Auto konnte nur kurz vor dem Grand Prix in Entzheim gefahren werden. Mit Roland Bugatti am Volant. Den Initialen „EB“ auf der Lenkradnabe und im Kühlergrill. An den berühmten Vater erinnernd. Trintignant probierte zwar das neue, noch ungetestete Auto im Training, zog es aber vor, im Rennen mit dem erstgebauten Wagen zu starten. Mit dem stärkeren Motor, der am trainingsfreien Samstag umgebaut wurde. „Petoulet“ war in seiner besten Trainingsrunde nur um eine Zehntelsekunde schneller als bei den privaten Tests zwei Wochen davor und Pole-Setter Juan Manuel Fangio im Ferrari D50 um 18 Sekunden pro Runde schneller als Trintignant. Dieser kämpfte erfolgreich und beherzt gegen die drohende Schmach, als Letzter ins Rennen gehen zu müssen. Er konnte André Pilette im alten Sechszylinder-Gordini und André Simons privaten Maserati 250F souverän in Schach halten.

In Trintignants verwaistem Vanwall-Cockpit saß ein gewisser Colin Chapman, der schnelle Zeiten fuhr, ehe er in das Heck des Teamkollegen Hawthorn krachte und am Rennen nicht teilnehmen konnte.

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Erster und letzter Start

Die Ferraris von Fangio, Castelotti und Collins schossen vom Start weg in Führung, gefolgt von Stirling Moss’ Maserati und Harry Schells Vanwall. Trintignant kämpfte im Bugatti wie ein Löwe um jede Position. Er setzte sich im rundenlangen innerfranzösischen Prestigeduell gegen Manzons Achtzylinder-Gordini durch, lag an dreizehnter Stelle, als er mit immer kränklicher klingendem Motor in der 18. Runde die Boxen ansteuerte und wegen klemmender Drosselklappenwellen aufgeben musste.

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Fazit


Vorbei der Traum, die dringend nötigen 10.000 britischen Pfund, von BP für den Grand-Prix-Sieger gestiftet, einstreifen zu können.

Vorbei der Traum, zu „altem Glanz und Glorie“ der berühmten Marke zurückzufinden.

 Vorbei der Traum, mit einem besonders innovativen Konzept die Rennsportwelt auf den Kopf zu stellen …

60 Millionen Francs hatte dieses einmalige Rennabenteuer verschlungen. Allerletzte Substanzen der Firma geraubt. Das T252-Sportwagenprojekt mit dem halben T251-Motor musste abgebrochen werden.

Laut Denis Jenkinson hatte Bugatti geplant, acht T251 im Grand-Prix-Sport auf die Siegerstraße zu schicken. Um in einem Nachsatz aus englischer Sicht ein wenig süffisant anzumerken: „Bearing in mind the very small size of the Bugatti works at Molsheim, it would be foolish to expect too much from such a revolutionary approach to Grand Prix car design!” („Es wäre vermessen zu glauben, dass die sehr kleinen Molsheimer Bugatti-Werke mit ihrem revolutionären Vorstoß das Design der Grand-Prix-Wagen nachhaltig prägen werde!“)

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Die wilden 90er Jahre - Bugatti EB110


Die Wiedergeburt von Bugatti – genauer gesagt der „Bugatti Automobili S.p.A.“ – ist eine der bemerkenswertesten Geschichten der Automobilgeschichte.

Romano Artioli war (der 1932 geborene Artioli erfreut sich bester Gesundheit – also vielleicht lieber „ist“ – aber mit 88 befindet er sich natürlich im wohlverdienten Unruhestand) ein italienischer Unternehmer und einer der größten Ferrarihändler der Welt. „Wirklich großes Geld“ verdiente Artioli als Generalimporteur von Subaru und Suzuki.

Außerdem war Artioli stolzer Besitzer einer beachtlichen Sammlung von Bugattis, und wo Geld und Leidenschaft aufeinander trafen, reifte ein kühner Plan …

1987 kaufte Artioli von „Messier-Hispano-Bugatti“ – zwei große Namen zu einem Konzern für Flugzeugfahrwerke vereint – die Namensrechte für Bugatti und gründete „Bugatti International“, die Muttergesellschaft der bald darauf gegründeten „Bugatti Automobili S.p.A.“. Und da wir in den „anything goes“ 1980er-/1990er- Jahren sind, ließ er eine futuristische (Architekt: Giampaolo Benedini) 82.000 Quadratmeter große Fabrik in Campogalliano bei Modena auf die „grüne Wiese“ stellen.

Und wenn die Fabrik architektonisch spektakulär war, so war es erst recht der geplante Sportwagen – eine technische „Tour de Force“ – V-12-Zylinder-Mittelmotor mit 3,5 Liter Hubraum, Fünfventiltechnik und Stirnradantrieb, der dank vier Turboladern auf 560 PS kam. Dazu kam permanenter Allradantrieb. Das Alu-Chassis der Prototypen stammte von Paolo Stanzani, das finale Karbon-Chassis von Nicola Materazzi, der auch für Ikonen wie Lancia Stratos und Ferrari F40 verantwortlich war. Die Karosserie stammte aus der Feder von Marcello Gandini mit Überarbeitung durch Giampaolo Benedini, dem Schöpfer der Fabrik.

Und das alles mit stilisiertem Hufeisengrill an der Front und dem großen Namen Bugatti! Nur am Rande sei erwähnt: Der Bugatti EB110 – zu Ehren des 110. Geburtstages von Ettore Bugatti – war bei seiner Präsentation im Jahre 1991 „selbstverständlich“ das schnellste Straßenauto der Welt.

Doch Bugatti ist ein Name, der von Natur aus mit Automobilrennen verbunden ist, und Artioli sah das auch so. Wie er kürzlich bestätigte: „Wir waren der Meinung, dass Motorsport für eine Marke wie diese von entscheidender Bedeutung ist. Nachdem wir den mit CNG (Compressed Natural Gas, also Erdgas) betriebenen EB110 gebaut hatten, brach er Rekorde für gasangetriebene Autos (und war auch für den Straßenverkehr zugelassen), aber wir waren uns einig, dass wir mehr tun konnten.

Es wurde beschlossen, zwei Autos in Le Mans und bei Langstreckenrennen in den USA einzusetzen. Dies sind Rennen, von denen eine Marke profitieren kann, wenn sie immer bessere Autos baut.“

Bugatti-Testfahrer und Entwickler Loris Bicocchi formuliert es emotionaler, wobei ein breites Lächeln sein Gesicht überzieht: „Es war unglaublich. Wir waren schon begeistert von den Straßenautos und alles war ehrgeizig, seltsam, fast verrückt, aber die Geschichte dieses Bugatti war von Anfang an verrückt, also machte es irgendwie Sinn.“

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Ehrgeizig, seltsam, fast verrückt …


Was heute vielleicht am seltsamsten ist: Der Hintergrund der EB110-Werksrennwagen ist in der Geschichte der Marke Bugatti und der Bugatti Automobili S.p.A. weitgehend undokumentiert geblieben, und das Wenige, was darüber geschrieben wurde, ist teilweise irreführend.

Allgemein bekannt ist, dass private Rennteams die treibende Kraft hinter der Entwicklung der Renn-EB110 waren, aber ein wenig Nachforschung zeigt eine deutlich andere Geschichte …

In Wahrheit spielte die Bugatti-Fabrik eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Wettbewerbsfahrzeuge, und es führt eine direkte Linie vom ersten Bugatti EB110 Rennprototypen über den Bugatti EB110 Le Mans (LM) von 1994 bis zum letzten des Jahres 1995, dem Bugatti EB110 Sport Competizione (SC). Aber fangen wir am Anfang an.

Das Bugatti EB110-Rennwagenprojekt begann bereits 1993, als der Architekt und Designer Giampaolo Benedini – selbst ein begeisterter Hobby-Rennfahrer – das Potential erkannte, welches ein Motorsportprojekt für den EB110 und die Marke Bugatti als Ganzes hätte.

 Dass der EB110 als reines Straßenauto konzipiert worden war – Sicherheit, Fahrspaß und Benutzerfreundlichkeit, aber nicht als Rennauto, war vielleicht ein kleiner Dämpfer für die hochtrabenden Pläne.

In den Worten des Bugatti-Technikers Vittorio Filippini hört sich das so an: „Der Rennwagen war eine noch größere Herausforderung. Ein Straßenauto mit diesem Leistungsniveau zu bauen, war schwer genug, aber auf der Strecke mit noch mehr Leistung war es eine weitere Steigerung. Wir waren nicht wirklich darauf vorbereitet, aber es fehlte uns nicht an Begeisterung und Entschlossenheit.“

Darüber hinaus erfordert wettbewerbsfähiger Motorsport gewaltige finanzielle Mittel, eine Investition, die sich Bugatti – nachdem bereits astronomische Summen in die Entwicklung des Straßenautos geflossen waren – schlicht und einfach nicht leisten konnte. Gesucht wurde also eine Partnerschaft mit externen Lieferanten mit Motorsporterfahrung.

Letztendlich trafen Romano Artioli und Giampaolo Benedini die mutige Entscheidung, den schwierigen Weg zu gehen.

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Le Mans, 1994:


Das größte Langstreckenrennen der Welt Versetzen wir uns an den Jahresbeginn 1994: Bugatti Automobili S.p.A. war entschlossen, das berühmteste Langstreckenrennen der Welt in Angriff zu nehmen und in weniger als sechs Monaten an der Startlinie zu stehen.

Und warum nicht lieber ein Jahr zuwarten? Nun ja, 1994 war der 55. Jahrestag des bisher letzten Bugatti-Sieges in Le Mans …

Die technischen Partner, die für die Herausforderung ausgewählt wurden, waren „Synergie Automobile“ unter der Leitung von Lucien Monté und „Méca Système“ unter der Leitung von Philippe Beloo.

Diese beiden Unternehmen verfügen über umfangreiche einschlägige Erfahrung. Beide haben an der Entwicklung der Rennversion des Venturi 400 für die neue „Venturi Trophy“ mitgearbeitet.

Das Bugatti-Management versuchte inzwischen einen weiteren Partner an Bord zu holen: Der französische Medienmogul Michel Hommell wollte einen EB110 in der GT1-Kategorie in Le Mans an den Start bringen.

Allmählich kristallisierte sich die Aufgabenteilung heraus: Die Entwicklungsabteilung in Campogalliano „Reparto Esperienze“ würde sich um alle EB110 spezifischen Komponenten kümmern, während sich Synergie und Méca Système um die spezifische Rennausrüstung und die Betreuung der EB110 im Rennen kümmern sollten.

Am 31. Januar 1994 gingen Bugatti und Synergie für erste Testfahrten auf die Rennstrecke von Paul Ricard in Le Castellet. Werkstestfahrer Jean Philippe Vittecoq fuhr den Prototypen, und die Ingenieure von Synergie sahen bald die Probleme.

Der EB110 war technisch äußerst komplex, und sein Layout (kompakte Abmessungen, V12-Motor mit vier Turboladern und 60 Ventilen, Allradantrieb, …) war unter Rennbedingungen – rascher Zugang zu Motor und Getriebe – natürlich ein Albtraum.

Der Testtag bescheinigte dem EB110 ausgezeichnete Straßenlage und Fahrleistungen, aber nach einigen schnellen Runden stellte der Motor seinen Dienst ein. Wenig überraschend hatte sich gezeigt, dass die Technik eines Straßenautos dem Rennbetrieb nicht gewachsen war.

Vom 5. bis 7. Februar war das Bugatti-Team wieder in Le Castellet. Nach drei Tagen das entmutigende Fazit: Das Auto war – trotz radikaler Überarbeitung – immer noch zu schwer. Die Probleme schienen unüberwindbar, und überdies musste die Rennversion erst homologiert werden.

Die ursprüngliche Idee, einen Standard-EB110-Supersport mit leichten Modifikationen durch Synergie aufzubauen, wurde verworfen. Ein komplett neues Auto, von Grund auf mit voller Werksbeteiligung, musste her.

Am 18. Februar 1994 bestellte Synergie ein „nacktes“ Auto – das Carbon-Chassis mit einem leichten Aluminiumdach.

Dieser EB110 „Le Mans“ bekam als Fahrgestellnummer „S16“ und basierte auf dem bei Aerospatiale gefertigten Carbon-Chassis Nr. 106, jedoch ohne VIN-Schild am Carbon-Chassis. Anfang März 1994 wurde das S16-Chassis an Synergie in der Nähe von Le Mans ausgeliefert. Die Montage aller mechanischen Teile konnte beginnen und löste eine rege Reisetätigkeit zwischen Campogalliano und Le Mans aus.

 Die verbauten Komponenten stammten von verschiedenen Subunternehmen: BBS für die Felgen, Michelin für Rennreifen, Esso für Benzin und Öl und Carbone Industry für die revolutionären Bremsscheiben und Bremsbeläge aus Kohlefaser – eine der frühesten Anwendungen von Kohlefaserbremsen.

Ein früher Motor – Motornummer 003 – wurde bei „Reparto Esperienze“ verwendet, um verschiedene Konfigurationen der Luftmengenregelung durchzuspielen, und am 18. März begann Bugatti mit dem Aufbau von Rennmotor Nr. 104, der dann im Rennen Verwendung finden sollte. Am 21. März 1994 wurde das Homologationsblatt für das neue Carbon-Bremssystem von Carbone Industry beim italienischen Verkehrsministerium eingereicht, und am 30. April 1994 kam von dort das OK.

Am 11. April 1994 ersetzte man Ing. T. Carletti als Leiter der Bugatti-Rennabteilung durch den Testfahrer und Ingenieur Dieter Gass.

Am 28. April wurde der EB110 LM mit seinem Motor Nr. 104 in voller Rennspezifikation vereint – ein großer Meilenstein für das Projekt. Mit vier Luftmengenbegrenzern von 35,9 mm Durchmesser zu den vier Turbos leistete der Motor in GT1-Spezifikation 600 PS bei 6.200 U/min.

Die Uhr tickte, und es galt keinen Moment zu verlieren, denn das „Große Rennen“ sollte am 19./20. Juni über die Bühne gehen …

Die Teams mussten 24 Stunden am Tag im Schichtbetrieb arbeiten, und noch Jahrzehnte später erinnert sich Fabio Baroni an die Atmosphäre in der Fabrik: „Wir haben nachts gearbeitet, aber wir wurden nicht dazu gezwungen. Es war instinktiv, wir schauten nicht auf die Uhr. Wichtig war, dass das Auto pünktlich fertig wurde und ordentlich gebaut war.“ Testfahrer Loris Bicocchi ergänzt: „Es war ein Privileg, an dem Projekt mitarbeiten zu dürfen und diese Erfahrungen mitzuerleben. Tag und Nacht zu arbeiten war … wunderbar.“ Am 29. April 1994 – keine zwei Monate bis zum Rennen – war der Rennwagen gegen Mittag fertig und wurde sofort zum Riccardo Paletti Circuit in der Nähe von Varano (Italien) transportiert, und am Nachmittag desselben Tages begannen die Testfahrten. Alles schien wie geplant zu funktionieren.

Weitere Tests folgten, und am Wochenende 7./8. Mai war wieder ein „Milestone Tag“: Die offiziellen Tests auf der Rennstrecke von Le Mans standen am Programm, die der brandneue und praktisch ungetestete Rennwagen – Startnummer 34 – unter den Fahrern Alain Cudini, Eric Helary und Jean-Pierre Malcher mehr oder weniger problemlos bestand. Die Leistung passte, und ein kollektives Aufatmen ging durch das ganze Team. Kleinere aerodynamische Retuschen – vordere Stoßstange, Lufteinlässe für die Bremsen, neu positionierte Fernlicht-Scheinwerfer … – gaben dem Wagen sein endgültiges Aussehen, das in einer offiziellen Photosession dokumentiert wurde.

Unter der Karosserie wurden weitere Optimierungen an Federn und Stoßdämpfern vorgenommen. Der Rennwagen hatte mittlerweile rund 1.400 Testkilometer „am Buckel“. Die Distanz des Siegerfahrzeuges von 1994 sollte mit 4.678,40 km mehr als das Dreifache betragen …

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Der längste Tag


 Mitte Juni, wenn die Nächte am kürzesten sind, beginnt traditionell die Le Mans-Woche mit all ihrer Hektik auf der großen französischen Rennstrecke. Zum Gedenken an die große Tradition des 24-Stunden-Rennens fuhr der blaue EB110-Werksrennwagen auf eigener Achse und über öffentliche Straßen – mit Polizeieskorte, begleitet von einem Straßen-EB110 und mit temporären Nummern, welche die Polizei dafür zur Verfügung gestellt hatte – zur technischen Abnahme am 14. Juni.

Mit den Resultaten des offiziellen Qualifyings am Mittwoch und Donnerstag konnte der EB110 LM – LMGT1-Klasse – durchaus zufrieden sein: Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 190,55 km/h lag die schnellste Runde bei 4:16,94. Dies war die 17. schnellste Zeit in einem Feld von 50 Autos – 9. Startreihe neben der Callaway Corvette mit der Startnummer 51. Im Rennen sollten sich Eric Helary, Alain Cudini und Jean-Christophe Boullion am Steuer abwechseln.

Am 18. Juni 1994 um 15:20 Uhr nahmen die Rennwagen die Startaufstellung ein, und um 15:59 Uhr gab Innenminister Charles Pasqua das Startsignal.

Überspringen wir die kürzeste oder vielleicht doch längste Nacht des Jahres, und wir können stolz berichten, dass Startnummer 34 bei Sonnenaufgang gut im Rennen lag und im Team eitel Wonne herrschte. Nach der 15. Stunde lag der EB110 LM auf dem 6. Platz in der Gesamtwertung(!).

Dem breiten Grinsen folgten die ersten Probleme. Um 07:15 Uhr fuhr Boullion mit Turbo-Problemen an die Box, ging wieder auf die Strecke, um 20 Minuten später mit zwei glühenden Turbos auf der linken Motorseite an die Box zurückzukommen. Der Tausch der Turbos – es sollte nicht der letzte sein – gestaltete sich ob der kompakten Bauweise des EB110 schwierig, aber einige Boxenstopps (und ein zum Glück rasch gelöschtes Feuer) später war Startnummer 34 um 15:13 Uhr wieder im Rennen; alle technischen Probleme schienen behoben zu sein. Nur mehr 47 Minuten bis zur Zielflagge …

 Auf der Mulsanne Straight um 15:45 Uhr musste Boullion beim Überrunden einer Dodge Viper ausweichen, verlor die Kontrolle über das Auto und kollidierte mit den Leitschienen – nach 230 Runden, 23:45 Stunden und 15 Minuten vor dem Ende des Rennens. Der EB110 LM lag zu diesem Zeitpunkt auf dem 17. Platz in der Gesamtwertung.

Mit 230 Runden hatte der EB110 LM zwar mehr Runden zurückgelegt als die Plätze 17 (Venturi 400GTR) und 18 (Honda NSX), aber laut Reglement musste der Wagen bei Rennende fahren, um in die Wertung zu kommen. Aus, Ende, vorbei!

Keine Platzierung, aber allgemeine Anerkennung für die Leistung des Teams mit einem komplett neuen, in weniger als sechs Monaten entwickelten Rennwagen. Und zumindest die vier Mechaniker des Teams – P. Bichet, M. Meiche, M. Benevelli und A. Benedetti – erhielten vom Veranstalter den „Prix ESCRA“ für die beste technische Leistung im Rennen.

Der verunfallte Wagen ging zurück ins Werk, wo er einer gründlichen Untersuchung unterzogen wurde. Der Verschleiß aller Teile lag im Rahmen des Erwarteten, und IHI, der japanische Hersteller des Turboladers konnte feststellen, dass der hohe Verschleiß der Turbolader auf die Luftmengenrestriktoren zurückzuführen war.

Der Wagen wurde mit seinem Originalmotor – Nr. 104 – instand gesetzt und an Michael Hommell, dessen Rennteam ja den EB110 an den Start gebracht hatte, für sein Museum übergeben. Dort sollte er bis April 2013 verbleiben …

Obwohl das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1994 für den EB110 LM im Ruhestand endete, war das ganze Abenteuer äußerst positiv ausgegangen und demonstrierte die „Romantik des tapferen Bugatti-Traums“.

Die in Le Mans gemachten Erfahrungen flossen in die Weiterentwicklung der Straßenwagen ein, und alle beteiligten Teams schmiedeten Pläne für einen neuen, weiterentwickelten Rennwagen. Die Fortführung des Le-Mans-Programms schien – ein Sponsor wurde noch gesucht – gesichert …

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IMSA/BPR 1995


Auf dem Weg in die USA In der zweiten Hälfte des Jahres 1994 wurde Bugatti von Gildo Pallanca-Pastor kontaktiert. Pallanca-Pastor war Unternehmer und Erbe des Vermögens einer Familie von monegassischen Immobilien-Entwicklern. Der junge Mann war „Gentleman-Driver“ und hatte sein eigenes Rennteam – „Monaco Racing Team (MRT)“ – aufgebaut. Und er hatte ehrgeizige Pläne: Er wollte einen Wagen in der amerikanischen IMSA-Championship in der „GTS1 Supreme Class“ fahren, in der umkämpften „Global BPR Championship“ und schlussendlich auch bei den 24 Stunden von Le Mans. Mit zwei Autos und der Option auf einen dritten Reservewagen.

Seine Ideen wurden bei der „Bugatti Automobili S.p.A.“ wohlwollend aufgenommen, und – da die Zusammenarbeit am Le-Mans-Projekt so gut funktioniert hatte – Synergie mit dem Projekt „The IMSA“ beauftragt.

Trotz der vielen wertvollen Erfahrungen aus dem Le Mans-Projekt 1994 sah der Zeitplan diesmal nicht besser aus. Ernsthafte Gespräche fanden im Dezember 1994 statt, und das erste IMSA-Rennen war für Juni 1995 geplant … Also wieder viel Entwicklungsarbeit in sechs kurzen Monaten.

Im Dezember holte Bugatti die ersten Angebote von den Sublieferanten ein, und „The IMSA“ bekam einen Namen: EB110 „SC“ für „Sport Competizione“.

Der Schlüssel zum Erfolg würde das Gewicht sein, und so wurde jeder Bauteil – vom Fahrwerk bis zum Rückspiegel – auf die Möglichkeit der Gewichtsreduktion geprüft. Fahrwerk, Turbos, Felgen, Reifen, … alles wurde neu überdacht, entwickelt und getestet, und Mitte Februar konnte der Bau von drei Rennwagen beschlossen werden, deren technische Spezifikation mit dem Kunden MRT festgelegt worden war.

Im März die gute Nachricht, dass die Veranstalter der IMSA-Rennserie das Überrollkäfigmodell für gut befunden hatten. Die weniger gute Nachricht war, dass die wirtschaftliche Gesundheit von „Bugatti Automobili S.p.A.“ alles andere als gut war, worunter auch die Beziehung zu den Lieferanten litt.

Die Bestellungen für die Straßenwagen lagen weit unter dem Plansoll, und Bugatti bemühte sich irgendwie, den Cashflow aufrechtzuerhalten und die Subunternehmer zu bezahlen.


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Die finanzielle Situation hatte natürlich auch Auswirkungen auf das IMSA-Projekt, da Lieferanten Bestellungen ablehnten oder Vorauszahlungen verlangten. Angesichts dieser Probleme blieb nichts anderes übrig, als das Sport Competizione-Programm schrittweise zu verkleinern.

 In diesen schwierigen Zeiten musste Bugatti kürzer treten und besann sich auf die „edle Kunst des Recycling“ von Bauteilen, die im Werk bereits vorhanden waren. So wurde der Motor Nr. 004 in überarbeiteter Form zum „004 IMSA“.

Während die Tests mit „004 IMSA“ fortgesetzt wurden, wurde Bremsenspezialist Brembo beauftragt, neue 8-Kolben-Bremssättel für die neue – speziell für den EB110 SC entwickelte – Radnabe zu produzieren. Andere Lieferanten wurden um Angebote für Reifen (Michelin), Auspuffsystem (Tubi Style), Sicherheitsausrüstung (Sparco) und integrierte Wagenheber (AP Racing) gebeten.

Weitere Probleme tauchten auf. Brembo konnte die 8-Kolben-Bremssättel nicht rechtzeitig liefern, und die (finanziellen) Konflikte verzögerten resp. reduzierten die Lieferung der Teile, sodass Ende Mai nur die Teile für ein Auto – und dafür nicht einmal alle – vorhanden waren.

Im Juni begann die Endmontage des EB110 SC unter Verwendung des EB110 Supersport-Fahrgestells mit der Nummer „S44“. Die Montage des Bugatti EB110 SC war um den 14. Juni abgeschlossen.

Eine gewisse Verwirrung herrschte um den Motor, da sowohl Motornummer 151 als auch 128 in den originalen Werksunterlagen genannt wurden. Eine mögliche Erklärung ist, dass Motor 128 dem IMSA-Reglement und Motor 151 dem Reglement von BPR/Le Mans entsprach.

Wie auch immer! Am 19. Juni wurde der EB110 SC auf der Rennstrecke von Vallelunga letzten Fahrwerkstests unterzogen, für gut befunden und an den Kunden in die USA ausgeliefert.

Der Bugatti EB110 Sport Competizione – aka Bugatti EB110 SC – war endlich fertig und wog – voll rennfertig mit allen Flüssigkeiten und einem Motor in voller Rennspezifikation – 1380 kg. Zum Vergleich: Der Straßensportwagen EB110 SS kam auf vergleichsweise stattliche 1.800 kg.

In den USA stieg der EB110 SC sofort ins Renngeschehen ein und war am 24./25. Juni 1995 beim „Lysol 200 Busch Nascar“ drei Stunden Rennen in Watkins Glen in der GTS1- (Grand Touring Supreme) Klasse mit der Startnummer 01 am Start.

Und dies durchaus erfolgreich: Auf Goodyear- Reifen (statt Michelin) kamen Gildo Pallanca-Pastor und Ex-F1-Pilot Patrick Tambay mit 2:01,749 im Training auf Platz 25. Nach drei Stunden Rennen sah es noch besser aus: Platz 19 im Gesamtklassement und Fünfter in der Klasse. Nicht schlecht für ein brandneues Auto, das buchstäblich im letzten Augenblick und mit minimalem Budget fertig geworden war.

Patrick Tambay erinnerte sich viele Jahre später: „Es war eine sehr, sehr aufregende Erfahrung. Während des Rennens begann etwas Nieselregen, und unser Allradantrieb bedeutete, dass sich das Blatt zu unseren Gunsten wendete. Wir fingen an, die anderen Autos zu überholen.“

Nach dem Auftritt in Watkins Glen im Bundesstaat New York übersiedelten der EB110 SC und seine Protagonisten nach Kalifornien an den Sears Point Raceway. Das Rennen (15. Juli) war ein kurzes (nur 1:45 Stunden), also war Gildo Pallanca-Pastor allein am Steuer. Er qualifizierte sich auf dem 22. Platz mit einer Zeit von 1:43,786 und kam im Rennen trotz einer Reifenpanne immerhin auf den beachtlichen 6. Platz in der Klasse und den 16. insgesamt.

Auf dieses US-Abenteuer folgte ein Wechsel in die japanische BPR-Meisterschaft (BPR) zum 1000-km-Rennen in Suzuka (26./27. August 1995).

Das BPR-Reglement unterschied sich von IMSA, insbesondere in Bezug auf den Durchmesser der Turbobegrenzer. Deshalb kehrte der EB110 SC nach Campogalliano zurück, um seinen Motor gegen einen nach BPR-Reglement auszutauschen (Motor Nr. 151). Im Gegensatz zu früheren Rennen war der Wagen mit Michelin-Reifen ausgestattet, und Seitenspiegel waren jetzt kleine muschelförmige Objekte von Magneti-Marelli.

Die Fahrer waren Gildo Pallanca-Pastor und Eric Hélary, und das Auto startete nach dem Qualifying von einem starken 12. Platz.

Leider fiel der EB110 SC in der 104. Runde mit Getriebeproblemen aus. Der Wagen wurde zur Reparatur ins Werk gebracht, aber am 15. September 1995 schlug das Schicksal zu: Die „Bugatti Automobili S.p.A.“ wurde von einem vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter für bankrott erklärt, und ab diesem Datum war der Zugang zur Campogalliano-Fabrik strikt untersagt. Das Rennauto wurde vorübergehend beschlagnahmt.

Trotz sofort eingeleiteter rechtlicher Schritte bedeuteten unvermeidliche Verzögerungen das Ende der Saison 1995 für den EB110 SC.

Die IMSA-Saison 1996 begann für das Monaco Racing Team (MRT) am 8. Januar erneut mit Tests auf der Daytona-Rennstrecke in Florida, wo der Bugatti die 16. schnellste Zeit des Tages und – noch wichtiger – die zweitschnellste Zeit der GTS1-Klasse erreichen konnte. Die Rundenzeit von 1:53,247 verfehlte die Pole Position der Klasse um vier Hundertstelsekunden.

 Am 3. Februar wurde der Wagen mit der Startnummer 05 in den 24 Stunden von Daytona von Gildo Pallanca-Pastor, Derek John Hill (Sohn von Phil Hill) und Olivier Grouillard gefahren. Das Qualifying lief gut, und der EB110 erreichte eine Zeit von 1:52,611, womit er den 21. Startplatz belegte.


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Das Rennen begann bei Trockenheit, aber bald setzte Regen ein, was dem EB110 – Allradantrieb! – eine Chance gab.

In der zweiten Stunde hatte der EB110 SC den erstaunlichen 6. Platz im Gesamtklassement erreicht. Leider warfen Probleme an Getriebe und Elektronik den EB110 SC in der 7. Stunde nach 153 fehlerfreien Runden aus dem Rennen.

Nach Daytona kehrte das Auto wieder nach Europa zurück und – da die „Bugatti Automobili S.p.A.“ ja Geschichte war – wurde die Arbeit in den MRT-Werkstätten in Monaco durchgeführt.

Die SC wurde für die BPR-Meisterschaftsrunde in Monza („4 Ore GT di Monza“) genannt, war aber nicht am Start. Wahrscheinlich wollte das Team seine begrenzten Ressourcen auf die 24 Stunden von Le Mans konzentrieren.

Für Le Mans bekam der EB110 SC die Startnummer 62, und als Fahrer waren Gildo Pallanca-Pastor und Patrick Tambay genannt. Der Wagen war aerodynamisch weiter verfeinert worden – mit größerem Heckflügel und übergroßen Luftauslässen an den Frontflügeln.

Aber im Prequalifying von Le Mans kam es zur Katastrophe. In der entscheidenden Runde kam Patrick Tambay von der Strecke ab, und die Fahrt endete in einem Reifenstapel.

„Es war mein Fehler“, wird Tambay später mit entwaffnender Ehrlichkeit zugeben. „Ich war von der blauen Flagge überrascht und bin zu schnell vom Gas gegangen. Das Auto hat sich gedreht und ist in die Reifenwand eingeschlagen.“

Der französische Fahrer blieb unverletzt, aber der Bugatti war beschädigt. Mangels der erforderlichen Teile – das Werk war ja geschlossen – konnte MRT die Reparatur nicht durchführen und musste sich vom Training zurückziehen …

MRT kontaktierte „Bugatti Fallimento S.p.A.“, die für die Liquidation aller Vermögenswerte von „Bugatti Automobili S.p.A.“ zuständige Firma, in der Hoffnung, Ersatzteile oder unfertige Fahrzeuge erwerben zu können. Letzteres war schlussendlich erfolgreich, denn obwohl die Produktion Monate zuvor eingestellt worden war, gab es mehrere unvollendete EB110 Supersport auf der Produktionslinie des Werks.


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Der EB110 SC wurde erfolgreich repariert, und ehemalige Bugatti-Mitarbeiter, die jetzt für die „Bugatti Fallimento“ arbeiteten, begutachteten den Wagen bei MRT.

Da bei Rennwagen häufig der Motor gewechselt wird (für die verschiedenen Rennserien) wurde entschieden, dass nur ein universeller Motorcode (B110-01) in die Identifikationsplakette eingraviert wurde, um zukünftige technische Abnahmen zu erleichtern.

Gildo Pallanca-Pastor tat sich für die nächste Runde der BPR-Meisterschaft – „2 Heures de Dijon“ am 8./9. Juni 1996 – mit Bertrand Ballas zusammen. Der EB110 SC entsprach wieder den BPR-Spezifikationen und bekam die Startnummer 18. Im Training reichte eine Zeit von 1:24,517 für einen starken 4. Platz.

Der erste Lauf lief reibungslos, und der EB110 SC verbesserte sich auf die 3. Position. Im zweiten Lauf kollidierte der EB110 SC mit einem konkurrierenden Porsche und fiel aus. Der weitere Mangel an Teilen verhinderte, dass der EB110 SC 1996 in Le Mans an den Start gehen konnte, womit die kurze, aber dramatische Motorsportkarriere des Bugatti EB110 leider zu Ende war.

„Es war traurig, dass Monaco Racing als privates Team nicht über die Mittel verfügte weiterzumachen, aber Bugatti war ein großes Abenteuer für alle“, fasste Patrick Tambay die Epoche zusammen.

Wie schon der EB110 LM wurde der EB110 SC repariert und die Karosserie zunächst in makelloser, grauer Lackierung – ohne Sponsorenaufkleber – fertig gestellt. Erst Jahre später wurde der Wagen restauriert und trug wieder die „IMSA Kriegsbemalung“ von 1995 und die legendäre Startnummer 01.

Der Bugatti EB110 SC, Bugattis letzter Werksrennwagen, wurde von Gildo Pallanca-Pastor selbst bis zu einer Familientragödie im Jahr 2015, in Monaco, behalten.

Heute befinden sich sowohl der Bugatti EB110 LM als auch der Bugatti EB110 SC in einer privaten Sammlung.

Blick vom Fahrersitz

 

Dale Drinnon, der unter anderem für „Automobile“ und „Octane“ schreibt, ist „für uns“ die beiden EB110- Rennwagen gefahren …

Wie wird es also sein, den letzten Rennwagen von Bugatti „sportlich“ zu bewegen?

Man weiß nie genau, was einen erwartet, wenn man seinen Hintern zum ersten Mal in einen unbekannten Rennwagen positioniert. Selbst von Serienfahrzeugen abgeleitete Rennwagen können sehr von den Ursprungsmodellen abweichen und wahre Teufel sein …

Natürlich bin ich von der Chance begeistert, die beiden letzten Renn-Bugattis in direktem Vergleich testen zu dürfen.

Ich habe zwar eine ganze Reihe von Kilometern mit EB110 SS-Modellen – auf welchen sie basieren – einschließlich einem brandheißen Werksprototypen – mit sehr viel mehr „Pferden unter der Haube“ als für diese beiden angegeben werden – getestet, trotzdem wollen wir es vorsichtig angehen und beginnen mit einem Rundgang um das Le Mans-Auto.

Schon seit der Weltpremiere hat mir das Aussehen des EB110 gefallen, und abgesehen von der Lackierung und ein paar Details wie den Felgen sieht der EB 110S Le Mans (Fahrgestell Nr. S16) dem „normalen“ EB110 SS sehr ähnlich.

Auch der Innenraum wirkt vertraut: Alle Instrumente sind da, sogar bis hin zur Borduhr – natürlich klassisch analog. Die Lenksäulenbedienhebel entsprechen dem Serienmodell, allerdings befinden sich Starterknopf, Kraftstoffpumpenschalter, elektrische Hauptschalter und dergleichen auf einer Carbonplatte über dem Schalthebel, wo auch der Joystick für die elektrischen Außenspiegel residiert. Äußerst wichtig übrigens, da der Innenspiegel nur dazu gut ist um zu bestätigen, dass der Heckflügel noch immer da ist.
Passform und Verarbeitung spiegeln hier die beste Motorsporttradition wider: „Schlagen Sie einfach drauf, verdammt noch mal, der Transporter wartet!“

Aber die Ergonomie des Fahrers ist nahezu perfekt – sobald man einmal die Rohre des Überrollkäfigs überwunden hat. Und denken Sie nicht einmal daran sich anzuschnallen, solange Sie nicht diese elende Tür mit Scherenscharnier geschlossen haben.

Das Starten dauert – bei kaltem Motor – ein paar Umdrehungen des Startermotors. Sobald dieser warm ist, genügt ein einziger Druck auf den Startknopf.

Die Kupplung wirkt sanft und progressiv, und es gibt genug Drehmoment im unteren Bereich, um wie ein zivilisierter Mensch loszufahren und nicht wie ein Straßenrowdy.

Beim Stichwort „zivilisiert“ begegnen wir immer wieder dieser Tatsache: Das Motorgeräusch ist nicht viel anders als bei der Straßenversion – ein schönes, zurückhaltendes V12-Stöhnen, unterbrochen von vierfachem Turbo-Zwitschern. Ich habe in keinem EB110 je Ohrenstöpsel benötigt, unabhängig von der Fahrweise.

Die Lenkung ist moderat und proportional, der Pedalabstand ist ideal, die Schaltung ist präzise und eine wahre Freude. Die Turboverzögerung ist vernachlässigbar, und während bei 3.500 U/min ein massiver Leistungsanstieg einsetzt, ist die Leistung bei niedrigeren Drehzahlen mehr als lebhaft.

Bis auf Rasseln, Schlägen, Stöhnen und die rauen Kanten, die sich die Karosserie nach dem Entfernen der Innenverkleidung bewahrt hat, kommt der Wagen Romano Artiolis Konzept von Bugatti als liebenswürdiges und gediegenes modernes Hypercar sehr, sehr nahe!
Was jedoch jeden EB110 ausmacht, ist der Allradantrieb. Zugegeben, dieser kommt mit einem Wendekreis, der dem einer Büffelherde gleicht, aber Kurvenfahrt, Stabilität und allgemeine Traktion, die das System mit sich bringt, sind einfach erstaunlich, und dies ganz ohne elektronische Fahrerassistenztechnologie.

Nasse Bergstraßen wie diese Fotoshooting-Standorte rund um den Salzburgring und den Familiensitz des verstorbenen VW-Konzernchefs Ferdinand Piëch (und Vater der Post-Artioli Bugattis, die – was für ein Zufall – mit Allrad ausgestattet sind) würden wohl die meisten anderen Hypercars traurig aussehen lassen.

Leider bekamen weder der LM noch das IMSA-Auto, der 110S Sport Competizione (Fahrgestell Nr. S44) die Chance, die Probleme – den Gewichtsnachteil des Allradantriebs bei Trockenheit – zu lösen. Fahrer Patrick Tambay schwärmte später vom SC als „Klasse für sich“ bei Regen in Watkins Glen.

Auch wenn die beiden Rennwagen technisch praktisch ident sind, profitierte der SC von den Erfahrungen aus dem LM: Verbessertes Cockpit-Layout und Finish, rennspezifisch digitale Instrumentierung, neue Karosserie für schnellen Zugang zu Reparaturen bei Boxenstopps und ein Überrollkäfig, der mir nicht bei jeder Asphaltwelle gegen den Kopf schlägt. Der SC schlägt den LM außerdem mit einigen sehr handlichen Lüfterrädern, die einige Millimeter größere Bodenfreiheit, gleichermaßen praktisch, wenn es um das Fahren auf der Straße oder auf der „guten, alten“ (und unebenen) Sebring-Rennstrecke geht, und um ganz kleinlich zu sein, die geänderte Beschriftung der Schalter auf Englisch.

In der aktuellen Form hat der SC nicht die Tendenz, im Leerlauf zu verrußen, wie es der LM getan hat; möglicherweise eine kleine Änderung im Motor-Management-Programm?

 Was die pure Leistung angeht, so ist diese äußerst zufriedenstellend. Dank der rund 400 Kilo, die der SC auf der Basis EB110 SS verloren hat, hat sich die Beschleunigung offiziell verbessert und ist für mich einfach umwerfend. Das Handling ist ausgewogen und vorhersehbar, für mich das Wichtigste bei einem richtigen Rennwagen.

Trotz der erheblichen Masse und der begrenzten Sicht nach hinten fühlt sich der EB110 wie ein viel kleineres Auto an – knackig und spritzig, wie ein italienischer Sportwagen sein soll, und ohne das nervende Untersteuern, das den Allradantrieb oft begleitet. So wurde dies auch von ehemaligen Besitzern und Rennfahrern des SC in unserem Interview beschrieben.

Bugatti schickte genau das, was das Reglement gefordert hatte, auf die Rennstrecke: Eine Rennstrecken-taugliche Version eines Straßenautos, das weltweit verkauft wurde.

Dass sie im Wettbewerb nicht erfolgreicher waren, ist eine dieser kleinen Tragödien in einem Sport und einer Branche voller kleiner Tragödien, und von einem Misserfolg zu sprechen, wäre eine große Ungerechtigkeit, die dieses großartige Auto nicht verdient hat.

Zweieinhalb Jahrzehnte später könnten die letzten Bugatti-Werksrennwagen besser als später Höhepunkt der Automobilentwicklung bezeichnet werden, die noch direkt mit dem Fahrer kommunizierten, ohne die zahllosen elektronischen „Helferlein“ heutiger Automobile. Sicher, die Elektronik hat schnellere Reflexe als der beste Fahrer, aber der EB110 hat eine Seele.

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Text (EB110): Johann Petit und Dale Drinnon, bearbeitet und übersetzt von Wolfgang M. Buchta
Text (frühe Nachkriegsjahre, T73, T251): Alexander Trimmel
Bilder: Bugatti-Werksbilder, Ulli Buchta, Archiv Alexander Trimmel, Archiv Austro Classic, PM Image, Jürgen Skarwan

 
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